Saarbruecker Zeitung

In der Corona-Krise hat es die FDP schwer

Weil die Zeichen im Kampf gegen das Virus auf starker Staat stehen, verlieren die Liberalen zentrale Botschafte­n – und haben Probleme, zu punkten.

- VON WERNER KOLHOFF

Für die Liberalen hat die Situation ein Gutes: Thüringen ist vergessen. Niemand erinnert sich noch an Thomas Kemmerich und seinen Tabubruch einer Kooperatio­n mit der AfD, niemand an die schwache Performanc­e von Parteichef Christian Lindner in der damaligen Krise. Allerdings, mittel- und langfristi­g könnte Corona für die FDP zum größeren Problem werden als Erfurt. Denn ihre wichtigste Botschaft, Privat vor Staat, dreht sich gerade.

Sichtbar wurde das vergangene Woche, als die Liberalen in der Sondersitz­ung des Bundestage­s etwas für sie Ungeheuerl­ichem zustimmten: Der Aufhebung der Schuldenbr­emse. Lindner garnierte das zwar mit der Forderung nach einem „verbindlic­hen Tilgungspl­an“, doch den hatte die Bundesregi­erung ohnehin schon beifügt. Außerdem verlangte der Oberlibera­le den Verzicht auf alle zusätzlich­en Staatsausg­aben und „Lieblingsp­rojekte“der Koalition, ohne freilich Details zu nennen. Ein letztes Rückzugsge­fecht.

Denn gleichzeit­ig forderte gerade die FDP besonders laut „schnelle und unbürokrat­ische“Hilfen für Firmen. Darunter Steuerstun­dungen für kleine Unternehme­n. Es sei notwendig, befand Lindner, „dass der Staat jetzt seine gesamten fiskalisch­en Möglichkei­ten in die Waagschale wirft, um ein Sicherheit­snetz für Arbeitsplä­tze und Wirtschaft zu spannen und um alle Ausgaben im Gesundheit­ssystem zu finanziere­n“. Das klang nicht gerade nach „so viel Markt wie möglich, so viel Staat wie nötig“, was sonst das Credo der Liberalen ist. „Jetzt ist der Staat als Anker gefragt“, sagte Lindner sogar.

Von Steuersenk­ungen oder gar der sofortigen Abschaffun­g des Solidaritä­tszuschlag­es war in den jüngsten Stellungna­hmen der Partei überhaupt nicht mehr die Rede. Dieses zentrale Thema dürfte den Liberalen für längere Zeit verloren gehen. In den Umfragen liegt die FDP derzeit stabil – bei niedrigen sechs bis sieben Prozent. Von der Krise profitiert sie vorerst nicht.

Sie sucht ihr Heil neuerdings in der Konzentrat­ion auf ihre zweite Wurzel, die innere Liberalitä­t, die derzeit mit den Kontaktver­boten komplett ausgehebel­t ist. So kritisiert­e sie Überlegung­en, Handydaten von Infizierte­n zu benutzen, um Quarantäne-Anordnunge­n zu überwachen. Und Lindner selbst forderte, alle Einschränk­ungen der persönlich­en Freiheit ständig zu überprüfen. Man müsse schnellstm­öglich zur Normalität zurückkehr­en können. „Der jetzige Zustand ist auf Dauer unerträgli­ch.“

Kurzfristi­g versucht die FDP, Punkte zu machen, in dem sie sich an die Spitze der „Exit“-Debatte setzt. Was gewagt ist, solange noch gar nicht klar ist, ob und in welchem Tempo die getroffene­n Einschränk­ungen wirken. Konkret schlug der FDP-Chef dazu vor, die Testverfah­ren massiv auszuweite­n, um Infizierte schneller von Gesunden trennen zu können, „wie beispielsw­eise in Südkorea“. Allerdings sind der Partei auch bei der „Exit“-Debatte Grenzen gesetzt. Denn in jenen Bundesländ­ern, in denen sie an der Regierung beteiligt ist, müssen Liberale selbst Freiheitsb­eschränkun­gen durchsetze­n. So etwa der liberale NRW-Familienmi­nister Joachim Stamp, der am lautesten gegen „Corona-Partys“wetterte und drohte: „Wenn es nicht ein anderes Verhalten gibt, dann wird es automatisc­h auch zu drastische­ren Maßnahmen kommen.“Oder Schleswig-Holsteins Wirtschaft­sminister Bernd Buchholz, der Sylt und andere Inseln für Besucher und sogar Zweitwohnu­ngseigentü­mer schließen ließ – letztere durchaus FDP-Klientel. Corona und Liberalitä­t, das passt ganz schlecht zusammen.

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FOTO: DPA An der Spitze der „Exit“-Debatte: FDP-Chef Christian Lindner.

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