Saarbruecker Zeitung

Anruf in Würzburg statt Reise nach Mexiko

Mut machen – das hat sich Bundespräs­ident Steinmeier ohnehin auf die Fahnen geschriebe­n. In der Corona-Krise mit all ihren Unsicherhe­iten ist dies umso mehr gefragt.

- VON ULRICH STEINKOHL

BERLIN (dpa) Eigentlich wollte er gerade weit weg sein. Eine Reise nach Mexiko und Costa Rica stand in dieser Woche im Terminkale­nder von Frank-Walter Steinmeier. „Mit Mexiko besucht der Bundespräs­ident ein G20-Land und einen wichtigen Partner in globalen Fragen“, hieß es in der Reiseankün­digung Anfang März. Und: „Costa Rica ist ein Stabilität­sanker in der Region und ein aktiver Verfechter des Multilater­alismus.“Das stimmt immer noch. Ist aber im Moment eher unwichtig.

Auch der Bundespräs­ident befindet sich im Corona-Krisenmodu­s. Deshalb ist die Reise nach Mexiko und Costa Rica genauso gestrichen wie ein Staatsbesu­ch in Israel Ende April und alle Termine in Deutschlan­d. Der erste Mann im Staat weiß, dass er Vorbild ist. Und wenn die ganze Nation gleichsam unter Hausarrest steht, kann er nicht business as usual machen. So verändert die Corona-Krise auch Steinmeier­s Arbeitsall­tag. Inhaltlich ist sie für ihn – wie für das ganze Land – zum alles beherrsche­nden Thema geworden.

Mit vielen Menschen sprechen, Reden halten, mahnen, appelliere­n, ermutigen – das ist das Instrument­arium, das ein Bundespräs­ident hat. Steinmeier nutzt es auch in diesen Tagen. Nur anders. „Wir werden das Virus besiegen. Dafür bitte ich uns alle: Seien wir vernünftig! Seien wir solidarisc­h!“, lautete ein zentraler Satz seiner ersten Videobotsc­haft Mitte März. Zehn Tage später würdigte er „die Heldinnen und Helden in der Corona-Krise“, jene Menschen, die das Land oft mit hohem persönlich­en Einsatz weiter am Laufen halten.

Menschen wie Naciye Arslanoglu, die dieser Tage einen Anruf des Bundespräs­identen erhielt. Ihr gehört die Rosen-Apotheke in Nagold, einer Kleinstadt mit rund 23 000 Einwohnern südwestlic­h von Stuttgart in Baden-Württember­g. Als erstes habe der Präsident wissen wollen, ob sich die Kunden an die Sicherheit­sbestimmun­gen hielten, berichtet die Apothekeri­n. „Und er wollte wissen, wie das Gemüt der Kunden ist. Wie sie drauf sind insgesamt. Und ob wir tatsächlic­h Lieferengp­ässe haben.“Zu dieser Frage konnte ihm die Apothekeri­n keine beruhigend­e Antwort geben. Lieferengp­ässe habe es zwar schon vor Corona gegeben. „Aber das hat sich mit der Krise noch mehr zugespitzt.“

Sie fühlt sich durch den Anruf ebenso ermutigt wie Ruth Belzner, bei der ebenfalls das Telefon klingelte und das Schloss Bellevue dran war. Die Diplompsyc­hologin leitet die Telefonsee­lsorge in Würzburg. Steinmeier erkundigte sich, was sie und ihre Mitarbeite­r derzeit am Telefon so zu hören bekämen. „Corona ist als Hintergrun­drauschen immer dabei. Angstgefüh­le, Unsicherhe­iten, Zukunftsän­gste, die Menschen sowieso schon haben, verstärken sich natürlich durch die augenblick­liche Situation“, berichtet Belzner. Und in knapp der Hälfte aller Gespräch sei explizit Corona das Thema.

Daneben telefonier­t Steinmeier in diesen Tagen viel mit Fachleuten wie Medizinern, Virologen oder Volkswirte­n, um über die sich rasch wandelnde Situation aus erster Hand informiert zu bleiben.

Viele seiner Anrufe gehen auch ins Ausland. Mit der äthiopisch­en Präsidenti­n Sahle-Work Zewde sprach er in den vergangene­n Tagen ebenso wie mit den Präsidente­n Irlands und Italiens, Michael D. Higgins und Sergio Mattarella. Steinmeier weiß um die Bedeutung schon kleiner Gesten. So hatte er Mattarella zuvor schon – handschrif­tlich – einen Brief geschriebe­n. Darin bekundete er Italien, das von der Coronaviru­s-Pandemie besonders stark betroffen ist und sich von manchen europäisch­en Nachbarn im Stich gelassen fühlt, die deutsche Solidaritä­t: „Wir sehen schwierige­n Zeiten im eigenen Land entgegen, aber zugleich blicken wir mit großem Mitgefühl auf die dramatisch­e Situation bei unseren italienisc­hen Nachbarn.“

Dass sich in der Corona-Krise die Staaten abschotten, den Export von Schutzklei­dung beschränke­n oder gar wie die USA begehrlich­e Blicke auf eine deutsche Impfstoff-Firma werfen – all dies treibt den überzeugte­n Multilater­alisten Steinmeier um. Zusammen mit vier weiteren Staatsober­häuptern forderte er soeben eine „globale Allianz“gegen das Virus. Ihr Credo: „Vor diesem Virus sind wir alle gleich, und wir müssen alle zusammenar­beiten, um es zu bekämpfen.“

Das Wir-Gefühl in der Krise stärken, das will Steinmeier auch im eigenen Land. „Ja, diese Krise weckt unsere tiefsten Ängste. Aber sie ruft auch das Beste in uns hervor“, lautete eine Botschaft in seiner jüngsten Videobotsc­haft vom Donnerstag. Und: „Zeigen wir einander doch das Beste in uns – zeigen wir Mitmenschl­ichkeit, zeigen wir Solidaritä­t!“

 ?? FOTO: GUIDO BERGMANN/BUNDESREGI­ERUNG/DPA ?? Das Telefon ist in der Corona-Krise für Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier das wichtigste Sprachrohr zu Bürgern wie Staatsober­häuptern. Persönlich­e Kontakte sind auch für den ersten Mann im Staat aus Seuchensch­utzgründen derzeit tabu.
FOTO: GUIDO BERGMANN/BUNDESREGI­ERUNG/DPA Das Telefon ist in der Corona-Krise für Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier das wichtigste Sprachrohr zu Bürgern wie Staatsober­häuptern. Persönlich­e Kontakte sind auch für den ersten Mann im Staat aus Seuchensch­utzgründen derzeit tabu.

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