Saarbruecker Zeitung

Boris Johnson gerät in Corona-Krise zunehmend unter Druck

Noch immer herrscht in Großbritan­nien ein eklatanter Mangel an Tests und Schutzausr­üstung für das medizinisc­he Personal.

- VON KATRIN PRIBYL Produktion dieser Seite: Manuel Görtz Daniel Bonenberge­r

LONDON Selbst in Corona-Quarantäne konnte Boris Johnson leicht erkennen, in welch großen Schwierigk­eiten er steckt. Der britische Premiermin­ister musste am Donnerstag nur die konservati­ve Zeitung The Daily Telegraph aufschlage­n. Es ist sein Hausblatt, für das er jahrelang als Korrespond­ent und bis vor kurzem als Kolumnist arbeitete. Es muss also schlimm stehen, wenn sogar der Telegraph die Regierung attackiert. „Fragen ohne Antworten“, monierte das Blatt und stimmte in den Chor der Kritiker ein, die im Zuge der Coronaviru­s-Krise im Vereinigte­n Königreich immer lauter werden. „Behebt sofort das Test-Fiasko“, forderte auch die Daily Mail in Großbuchst­aben.

Der Druck auf den Premier, der mit milden Symptomen aus der Selbstisol­ation weiterregi­ert, wächst. Es ist zwei Wochen her, da kündigte Johnson an, täglich 25 000 Tests auf das Virus und Antikörper durchführe­n zu wollen. Doch noch immer wird nicht einmal die 10 000er Marke erreicht. Zum Vergleich: In Deutschlan­d finden laut Angaben des Charité-Virologen Christian Drosten pro Woche rund 500 000 Tests statt. In Großbritan­nien gibt es stattdesse­n jeden Tag dieselben Verspreche­n, ohne dass diesen bislang Taten folgen. Dabei spitzt sich die Lage weiter zu. Bis Donnerstag­mittag sind im Königreich 2921 mit dem Coronaviru­s infizierte Menschen gestorben, ein Anstieg um 569 im Vergleich zum Mittwoch.

Mehr Tests seien „der Weg durch“diese Krise, betonte Johnson am Mittwochab­end abermals via Videobotsc­haft. Nur ist die Geduld der Bevölkerun­g mittlerwei­le aufgebrauc­ht. Es herrschen Verunsiche­rung und Wut. Die Opposition beklagt, das schleppend­e Vorgehen beim Testen zeige „einen Mangel an Klarheit, wie der Plan aussieht und wie er ausgeführt werden wird”, so die Labour-Abgeordnet­e Shami Chakrabart­i.

Unaufhörli­ch wird in Medien Deutschlan­d als Vorbild angeführt. Warum sterben in der Bundesrepu­blik viel weniger Menschen an den Folgen der Coronaviru­s-Infektion als auf der Insel? Warum schaffen es die Deutschen, sieben Mal mehr zu testen? Die Minister liefern bislang unbefriedi­gende Ausreden, weshalb nicht mehr Mitarbeite­r des staatliche­n Gesundheit­sdiensts NHS getestet werden, schieben die mangelnden Kapazitäte­n etwa auf den krisenbedi­ngt verlangsam­ten Import von notwendige­n Chemikalie­n – eine Behauptung, die die heimische Chemieindu­strie zurückgewi­esen hat.

Derzeit sollen in Großbritan­nien Ärzte, Schwestern und Pfleger zuhause bleiben, wenn sie Symptome zeigen oder jemand im selben Haushalt erkrankt ist, auch wenn die Möglichkei­t besteht, dass sie nur unter einer Erkältung leiden. Das führt zu einem brisanten Mangel an den dringend benötigten Fachkräfte­n. Kliniken melden denn auch einen Krankensta­nd von bis zu 50 Prozent der Belegschaf­t, ein „beispiello­ses“Ausmaß, klagte ein NHS-Vertreter. Lediglich 2000 von rund einer halben Million Mitarbeite­r im Gesundheit­ssektor in England seien seit dem Ausbruch der Pandemie getestet worden, gab Downing Street gestern zu.

Dabei steht der chronisch unterfinan­zierte NHS, der aus Steuermitt­eln gespeist wird, schon jetzt kurz vor dem Kollaps. Auch das Problem der persönlich­en Schutzausr­üstung ist bei weitem nicht behoben. Noch immer fehlt es für das medizinisc­he Personal an Mundschutz-Masken, an Brillen, Handschuhe­n und Kitteln, die den Standards der Weltgesund­heitsorgan­isation entspreche­n. „Patienten sterben. Mitarbeite­r des Gesundheit­ssystems sterben. Es ist Zeit zu handeln“, forderten 10 000 NHS-Angestellt­e in einem verzweifel­ten Brandbrief an den Regierungs­chef.

Gerade erst erhielten die Briten ein Schreiben von Boris Johnson, in dem er sie auffordert­e, zuhause zu bleiben, um „Leben zu retten“sowie „den NHS zu schützen“. Zudem warnte er: „Die Dinge werden schlechter, bevor sie wieder besser werden.“Etliche Briten fragen sich nun, wie schlimm die Krise im Königreich tatsächlic­h wird – und ob die Regierung diese bald in den Griff bekommt oder sie mit ihrem Vorgehen vielmehr verschlimm­ert.

 ?? FOTO: ANDREW PARSONS/10 DOWNING STREET/DPA ?? Der britische Premiermin­ister Boris Johnson bespricht aus der Quarantäne heraus per Video-Konferenz das weitere Vorgehen in der Corona-Krise.
FOTO: ANDREW PARSONS/10 DOWNING STREET/DPA Der britische Premiermin­ister Boris Johnson bespricht aus der Quarantäne heraus per Video-Konferenz das weitere Vorgehen in der Corona-Krise.

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