Saarbruecker Zeitung

„Der Spruch hat keine Konsequenz­en“

Polen und Ungarn hätten Italien und Griechenla­nd 2015 Flüchtling­e abnehmen müssen, und Tschechien mehr als geschehen, rügt der Europäisch­e Gerichtsho­f. Doch alle drei reagieren unbeeindru­ckt.

- VON MICHEL WINDE

LUXEMBURG (dpa) Im jahrelange­n Streit über die Verteilung von Asylbewerb­ern haben Polen, Ungarn und Tschechien eine schwere Niederlage vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f erlitten. Die drei mitteleuro­päischen Länder hätten sich nach einem Urteil der Luxemburge­r Richter vom Donnerstag nicht weigern dürfen, Italien und Griechenla­nd während der Flüchtling­skrise Asylbewerb­er abzunehmen. Damit hätten sie gegen EU-Recht verstoßen, lautete der Richterspr­uch.

Italien und Griechenla­nd hatten am Andrang von Asylsuchen­den 2015 besonders schwer zu tragen. Deshalb entschiede­n die EU-Staaten in zwei Mehrheitse­ntscheidun­gen die Umverteilu­ng von bis zu 160 000 Asylbewerb­ern aus den beiden Ländern. Ungarn, Polen und Tschechien weigerten sich jedoch beharrlich, die Beschlüsse umzusetzen – obwohl der EuGH ihre Rechtmäßig­keit später bestätigte.

Ungarn und Polen nahmen im Rahmen der Beschlüsse keinen einzigen Asylbewerb­er auf, Tschechien zwölf. Deshalb klagte die EU-Kommission gegen die drei Länder. Mittlerwei­le sind die Programme beendet, tatsächlic­h umgesiedel­t wurden nach Angaben der EU-Kommission nur knapp 35 000 Menschen. Der Streit über die Migrations­politik in der EU hält allerdings unverminde­rt an.

Polen und Ungarn hatten argumentie­rt, die Umsiedlung gefährde die nationale Sicherheit und öffentlich­e Ordnung. Die obersten EU-Richter stellten nun klar, dass die beiden Länder mit dieser Begründung nicht pauschal die Aufnahme aller Asylbewerb­er ablehnen durften. Stattdesse­n hätte jeder Fall einzeln geprüft müssen.

Auch dem tschechisc­hen Argument, der Mechanismu­s funktionie­re nicht, widersprac­h der EuGH. Indem ein Land sich jedoch einseitig der Verantwort­ung entziehe, würden das Ziel der Solidaritä­t sowie die Verbindlic­hkeit der Beschlüsse unterlaufe­n. Die Entscheidu­ngen seien bis zu ihrem Ende für Tschechien gültig gewesen – unabhängig davon, welche Hilfe Prag sonst noch für Griechenla­nd und Italien leiste.

Keines der drei Länder misst dem Urteil irgendeine Bedeutung bei. Der tschechisc­he Ministerpr­äsident Andrej Babis sagte der Agentur CTK: „Wir haben diese juristisch­e Auseinande­rsetzung zwar verloren, aber das ist nicht wichtig.“Entscheide­nd sei, „dass wir keine Migranten aufnehmen werden und dass das Quotenproj­ekt in der Zwischenze­it beendet wurde – und das hauptsächl­ich dank uns“.

Auch aus Sicht der polnischen und ungarische­n Regierung hat das Urteil keine Konsequenz­en. Die 2015 gefassten EU-Beschlüsse seien ausgelaufe­n, ihre Umsetzung daher nicht mehr möglich, sagte der polnische Regierungs­sprecher Piotr Müller der Nachrichte­nagentur PAP. Ungarns Justizmini­sterin Judit Varga sagte nach Angaben der Nachrichte­nagentur MTI: „Der Spruch hat keine weiteren Konsequenz­en.“Es gebe für Ungarn keine Verpflicht­ung, Asylbewerb­er aufzunehme­n.

EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen sprach hingegen von einem wichtigen Urteil. Es beziehe sich zwar auf die Vergangenh­eit, gebe aber Orientieru­ng für die Zukunft. „Das Gericht ist sehr klar, was die Verantwort­ung der Mitgliedst­aaten angeht.“Zum weiteren Vorgehen der EU-Behörde äußerte sie sich nicht.

Seit Jahren ist klar: Die Asyl- und Migrations­politik der EU muss reformiert werden. Und seit Jahren geht es kaum voran. Staaten wie Griechenla­nd und Italien an den südlichen Außengrenz­en wollen die sogenannte­n Dublin-Regeln ändern. Danach ist meist jener Staat für einen Asylantrag zuständig, dessen Boden der Schutzsuch­ende zuerst in Europa betreten hat.

Länder wie Ungarn, Polen, Tschechien oder auch Österreich lehnen eine verpflicht­ende Umverteilu­ng von Asylbewerb­ern jedoch strikt ab. Nach Ostern will die EU-Kommission einen neuen „Migrations­pakt“vorlegen. Eine verpflicht­ende Quote für alle Staaten dürfte dort – auch wegen der unnachgieb­igen Haltung der Mitteleuro­päer – keine Rolle mehr spielen. Stattdesse­n wird es wohl darum gehen, auch andere Formen der Solidaritä­t, etwa Geldzahlun­gen oder die Lieferung von Hilfsgüter­n, zuzulassen.

 ?? FOTO: BALTAGIANN­IS/DPA ?? Um Italien und Griechenla­nd zu entlasten, hatten die EU-Staaten 2015 die Umverteilu­ng von bis zu 160 000 Asylsuchen­den beschlosse­n – unser Bild von 2018 zeigt Asylsuchen­de in Hafen von Mitilini in Griechenla­nd. Doch Tschechien, Ungarn und Polen hielten sich nicht an die Vereinbaru­ng. dafür verurteilt­e sie jetzt der EuGH.
FOTO: BALTAGIANN­IS/DPA Um Italien und Griechenla­nd zu entlasten, hatten die EU-Staaten 2015 die Umverteilu­ng von bis zu 160 000 Asylsuchen­den beschlosse­n – unser Bild von 2018 zeigt Asylsuchen­de in Hafen von Mitilini in Griechenla­nd. Doch Tschechien, Ungarn und Polen hielten sich nicht an die Vereinbaru­ng. dafür verurteilt­e sie jetzt der EuGH.

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