„Wir treten stark auf die Ausgabenbremse“
Beim Automobilzulieferer ZF steht die Produktion weltweit weitgehend still – außer in China. Wie geht es jetzt weiter?
Stephan von Schuckmann ist als Leiter der ZF-Division Pkw-Antriebstechnik für 13 Getriebewerke und insgesamt 21 000 Mitarbeiter verantwortlich – von denen ein Großteil zurzeit wegen der Corona-Krise nicht wie gewohnt zur Arbeit kommen kann.
Herr von Schuckmann, die Produktion bei ZF steht weitgehend still, nicht nur in Saarbrücken. Ich nehme an, Sie haben jetzt dennoch keinen Urlaub. Wie sieht Ihr Tag während der Krise aus?
VON SCHUCKMANN Zurzeit sind wir sehr stark damit beschäftigt, diese Krise zu managen. Das ist eine in dieser Form noch nie dagewesene Situation. Wir haben weltweit die Produktion eingestellt – außer in China, wo sie derzeit wieder anläuft. Das Ausmaß in der Division Pkw-Antriebstechnik ist immens. Wir mussten über 75 Prozent der insgesamt 21 000 Mitarbeiter in der Division nach Hause schicken. In Deutschland haben wir das Instrument der Kurzarbeit, in den anderen Ländern gibt es entsprechende Länderregelungen. Das zu managen war ein Kraftakt an sich. Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite habe ich mich, gerade zu Beginn der Krise, intensiv damit beschäftigt, unsere Mitarbeiter zu schützen und schnell starke Maßnahmen einzuführen, damit es innerhalb unserer Werksstrukturen keine hohen Infektionszahlen gibt. Urlaub habe ich also definitiv nicht.
Wie fühlt man sich als Manager, wenn man so viele Mitarbeiter heimschicken muss?
VON SCHUCKMANN Auch für mich ist es eine sehr ungewöhnliche Aktion, so etwas zu leiten. Das ist natürlich nichts, was man tagtäglich tut. Ich empfinde sehr starkes Mitgefühl. Besonders für die einzelnen Mitarbeiter ist das eine Riesenherausforderung. Zum einen ist es ja jeder gewohnt zur Arbeit zu kommen und den kollegialen Umgang zu pflegen. Dieses Miteinander entfällt nun. Zum anderen gibt es auch ganz spezielle Herausforderungen. Wenn ich mich persönlich zum Beispiel in die Lage versetze, dass viele Mitarbeiter, die Kinder haben, jetzt vor der Herausforderung stehen, sich Zuhause um ihre Kinder kümmern zu müssen, weil die Schulen geschlossen sind, gleichzeitig aber beide Elternteile arbeiten müssen. Das muss man erst mal hinbekommen. Das ist nicht einfach.
Wie lange kann ZF den Stillstand durchhalten?
VON SCHUCKMANN Ich kann hier keinen Zeitraum prognostizieren. ZF an sich ist ein sehr solide finanziertes Unternehmen. Wir haben natürlich die Möglichkeit, so eine Durststrecke eine Zeit lang durchzuhalten. Das können wir aber nur, wenn wir jetzt sehr starke Sparmaßnahmen umsetzen. Ohne diese Maßnahmen wird es nicht funktionieren.
Was gehört zu den Sparmaßnahmen?
VON SCHUCKMANN In Deutschland wenden wir Kurzarbeit an. Das ist eine der Maßnahmen. Darüber hinaus treten wir stark auf die Ausgabenbremse. Wir versuchen zum Beispiel,
Investitionen zu schieben, die wir vielleicht in einer Zeit ohne Krise getätigt hätten.
Bis wann hoffen Sie, dass eine Entscheidung fällt, dass es wieder weitergeht und wie bereiten Sie sich auf den Neustart vor?
VON SCHUCKMANN Zunächst hoffen wir, dass die Infektionsrate nicht weiter steigt. Der Schutz der Mitarbeiter ist die oberste Prämisse vor jedem operativen Hochfahren. Denn wenn wir wieder anlaufen, müssen wir Bedingungen haben, die unsere Mitarbeiter schützen. Dazu zählt zum Beispiel, dass sie während der Arbeit einen gewissen Abstand halten müssen und wir alle Möglichkeiten der Hygiene ausschöpfen. In Bezug auf das rein operative Hochfahren müssen etwa Maschinen instandgesetzt werden und auch Lieferketten entsprechend in der Lage sein, wieder Teile zu liefern, so dass wir logistisch in der Lage sind, Produkte in die Welt zu schicken.
In China ist die Produktion wieder angelaufen. Der Vorstandsvorsitzende Wolf-Henning Scheider sagte, man könne von den chinesischen Werken lernen. Was denn konkret?
VON SCHUCKMANN Von den chinesischen Werken können wir tatsächlich viel lernen. Zum Beispiel, wie man es schafft, Mitarbeiter vor Infektionen zu schützen. Wir haben in China eine Anlage gekauft, mit der wir in der Lage sind, Schutzmasken herzustellen. Genauso haben wir vor, in Europa und Amerika eigene Schutzmasken zu produzieren, um demnächst den täglichen Bedarf, dort wo Schutzmasken nötig sind, zu decken. Auch aus operativer Sicht gibt es sicherlich einen gewissen Lerneffekt hinsichtlich der
Geschwindigkeit beim Wiederhochfahren.
Sie haben in unserem letzten Interview gesagt, dass sie das Beschäftigungsniveau am Standort halten können, sofern sich die Krise nicht noch weiter verschärft. Die Krise hat sich verschärft und sie wird vermutlich andauern. Was heißt das nun für die Mitarbeiter in Saarbrücken?
VON SCHUCKMANN Hier muss man ein bisschen unterscheiden. Wir sprechen ja nicht von einer Wirtschaftskrise, sondern von einer anders gelagerten Krise, die eventuell in eine Wirtschaftskrise ausarten kann. Also müssen wir erst einmal abwarten, was das für uns bedeutet. Im Moment ist es so, dass wir Kurzarbeit fahren. Das ist aus heutigem Blickwinkel eine ausreichende Maßnahme. Was wir noch nicht wissen, ist, wie die Situation nach dieser Krise aussehen wird. Ich gehe davon aus, es gibt eine Zeit nach Corona, in der wir im üblichen Maße Getriebe produzieren werden, weil die Menschen wieder Autos kaufen.
Wie zufrieden waren Sie mit dem vergangenen Jahr mit Blick auf Saarbrücken beziehungsweise die Pkw-Division?
VON SCHUCKMANN Die Division Pkw-Antriebstechnik hat sehr gut abgeschlossen. Wir konnten 7,3 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaften. Dazu hat auch Saarbrücken einen wesentlichen Teil beigetragen. Und wir haben mit der neuen Getriebegeneration in der Summe mit drei Volumenherstellern Großaufträge abschließen können, davon wird auch Saarbrücken profitieren. So haben wir es geschafft, unsere Zukunft in großem Umfang abzusichern.
Mit Blick auf den geplanten Serienstart der neuen Generation: Können Sie auf Kurs bleiben?
VON SCHUCKMANN Das hängt jetzt natürlich nicht nur von uns ab, sondern auch von den Plänen unserer Großkunden. Der aktuelle Status ist, dass die Großkunden weiterhin Kurs halten, und somit werden auch wir Kurs halten und die Industrialisierung der vierten Getriebegeneration in 2022/2023 vornehmen.
Mit wie vielen Getrieben planen Sie dieses Jahr in Saarbrücken?
VON SCHUCKMANN Das kann ich ehrlich gesagt nicht vorhersagen. Das wäre auch ein bisschen vermessen, weil wir nicht wissen, wie lange die Corona-Krise andauern wird. Da müssen wir auf Sicht fahren und abwarten, was noch kommt.