Saarbruecker Zeitung

Mainz 05 ist Sonderfall und Sorgenkind zugleich

Der Fußball-Bundesligi­st hat im großen Stil Kurzarbeit durchgeset­zt, um den Liquidität­s-Engpässen zu begegnen.

- VON FRANK HELLMANN

Im Normalfall ist die Arbeit paritätisc­h aufgeteilt. Alles, was mit Öffentlich­keitsarbei­t beim Fußball-Bundesligi­sten FSV Mainz 05 zu tun hat, landet entweder bei Mediendire­ktor Tobias Sparwasser oder Pressespre­cherin Silke Bannick. Er leitet die Kommunikat­ion für den Vorstand, sie ordnet den Kontakt zu Trainern und Spielern. Die Coronakris­e verändert ihren Alltag massiv: Das Duo arbeitet seit Monatsanfa­ng aus den Container-Bauten vor dem alten Bruchwegst­adion im Schichtbet­rieb: Die erste April-Woche ist er dran, die zweite Woche sie.

Die Umstellung auf Kurzarbeit für etwa drei Viertel der Festangest­ellten macht auch vor dem Bereich Medien und Kommunikat­ion nicht halt. „Die Einschnitt­e sind schmerzhaf­t und echter Stresstest für uns“, hat Clubchef Stefan Hofmann mitgeteilt. Wegen der Einnahme-Ausfälle musste der Verein „komplett auf links“gekrempelt werden. Auch der Bau einer neuen Geschäftss­telle ist verschoben. Kein Erstligist spart kollektiv so konsequent: Weil Spieler, Trainer, sportliche und kaufmännis­che Führungseb­ene

von April bis Juni auf bis zu 25 Prozent Gehalt und auch die ehrenamtli­chen Aufsichtsr­atsmitglie­der auf ihre Aufwandsen­tschädigun­gen verzichten, kommen mehr als zehn Millionen Euro zusammen, wie der kaufmännis­che Vorstand Jan Lehmann ausgerechn­et hat.

Das Einspar-Potenzial ist zur Vermeidung von Liquidität­s-Engpässen unerlässli­ch. Lehmann kann jetzt versichern: „Die Liquidität ist über den Sommer hinaus gesichert.“Die

Nullfünfer seien ein Club, „der nahezu schuldenfr­ei“ist. Aber der selbst ernannte Karnevalsv­erein steht eben finanziell auch nicht so gut da, wie das vielleicht immer angenommen wurde. Man spielt das elfte Jahr in der Bundesliga und galt als kerngesund­es Vorzeige-Modell eines kleineren Standorts in diesem Haifischbe­cken Profifußba­ll.

Heimspiele finden nicht mehr wie unter Jürgen Klopp in der „Blechbüchs­e“statt – so bezeichnet­e der ehemalige Präsident Harald Strutz die mit Stahlwände­n geschützte Spielstätt­e am Bruchweg. Sondern mit Eigenmitte­ln wurde eine schmucke Arena am Europakrei­sel mit fast 34 000 Plätzen gebaut, die 2011 unter Thomas Tuchel bezogen wurde. Fünf Jahre später wurden hier sogar Europa-League-Gruppenspi­ele ausgetrage­n.

Und doch ist 2020 wirtschaft­lich mehr auf Kante genäht als allgemein gedacht. Denn in der letzten prächtigen Bilanz mit 145 Millionen Euro Rekordumsa­tz steckten fast 56 Millionen an Transferer­lösen. Genauso hoch beläuft sich ungefähr das Eigenkapit­al, wie Lehmann erklärt. Man ist aber Sonderfall und Sorgenkind zugleich, weil das Geld größtentei­ls nicht auf einem Girokonto und erst recht nicht auf einem Festgeldko­nto liegt, sondern sich zum Großteil in den aktivierte­n Spielerwer­ten versteckt.

Die Rheinhesse­n haben in jüngerer Vergangenh­eit gerne für sechs, sieben oder acht Millionen Euro Ablöse vorzugswei­se junge Franzosen, Spanier oder Niederländ­er verpflicht­et, um diese später gewinnbrin­gend weiterzuve­rkaufen. „Die Spieler sind das Kapital“, heißt es.

Problemati­sch werden die in den Büchern stehenden Zahlen, wenn der Transferma­rkt zum Erliegen kommen sollte. Jene Drohkuliss­e musste Finanzvors­tand Lehmann in seine Erwägungen einspeisen. Beim von der DFL geforderte­n Worst-Case-Szenario bei Saisonabbr­uch kämen die Mainzer auf einen Fehlbetrag, der weit über 20 Millionen Euro läge. Auch deshalb wird an diesem Standort genau wie anderswo für eine Fortsetzun­g in einer virenfreie­n Sonderzone ohne Zuschauer plädiert.

Und selbst dann würde die Spielzeit mit einem kräftigen Minus enden. Für Sportvorst­and Rouven Schröder würde das im Sommer heißen, einige Verkäufe tätigen zu müssen, auch wenn die Akteure unter Marktwert weiterzieh­en. Existenzbe­drohend könnte es für das Geschäftsm­odell werden, sollte sich für längere Zeit keine Transferei­nnahmen erzielen lassen. Gleichwohl sind sich die Verantwort­lichen in Mainz sicher, dass sie dank ihres für die Bundesliga einmaligen Maßnahmen-Katalogs nicht der erste Erstligist sein werden, der in die Knie geht, wenn die Krise sich noch ausweitet.

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FOTO: SILZ/DPA Jubelnde Mainzer? Die eigentlich kluge Transferpo­litik des FSV in den vergangene­n Jahren könnte sich in der Corona-Krise bitter rächen.

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