Saarbruecker Zeitung

„Rettung der öffentlich­en Wohnzimmer“

Die Dehoga-Hauptgesch­äftsführer­in fordert stärkere Hilfen für das Hotel- und Gaststätte­ngewerbe.

- DAS INTERVIEW FÜHRTE STEFAN VETTER

Von den Folgen der Corona-Pandemie besonders stark betroffen ist das Hotel- und Gaststätte­ngewerbe. Um die Existenz der Betriebe zu sicher, fordert die Hauptgesch­äftsführer­in des Branchenve­rbandes Dehoga, Ingrid Hartges, zusätzlich­e Hilfen.

Frau Hartges, haben Sie schon einen Überblick über das Ausmaß der Schäden für Ihre Branche?

HARTGES Die Lage ist dramatisch. In der ersten Märzhälfte addierten sich die Umsatzausf­älle in den Betrieben teilweise auf bis zu 80 Prozent. Seit Mitte März beziehungs­weise seit dem 22. März haben die meisten Betriebe null Euro Umsatz. Da geht die pure Existenzan­gst um. So eine Situation haben wir noch nie erlebt.

Das Hilfspaket der Bundesregi­erung ist auch für Hotel- und Gaststätte­nbesitzer gedacht. Wie kommt die Unterstütz­ung dort an?

HARTGES Unterschie­dlich. Die Direkthilf­en für Kleinunter­nehmen mit bis zu zehn Beschäftig­ten sind gut und richtig. Die Ersten haben das Geld schon auf dem Konto und sind heilfroh darüber. Respekt auch für die Hilfsprogr­amme der Länder. Für den Mittelstan­d muss jedoch dringend nachgebess­ert werden.

Warum?

HARTGES Weil es da keine Direkthilf­en gibt, sondern Kredite, und die Banken sich damit zum Teil sehr schwertun. Die Banken wissen ja, dass wir kaum Nachholeff­ekte haben werden, wenn die Krise vorbei ist. Das Essen oder Hotelzimme­r, das sich heute nicht verkauft, verkauft sich später auch nicht mehr. Das führt zu einer Einschränk­ung der Kreditwürd­igkeit. Deshalb haben wir von Anfang an eine Haftungsfr­eistellung von 100 Prozent durch den Staat gefordert. Leider ist das bislang nicht geschehen.

Aber die Branche hat auch viele gute Jahre gehabt.

HARTGES Das stimmt. Seit 2010 gab es einen Wachstumsr­ekord nach dem anderen. Ein Familienun­ternehmer denkt aber in Generation­en. Also hat er das Geld in den

Aus- und Umbau des Betriebes investiert und dafür zusätzlich Kredit aufgenomme­n. In diesen Fällen gibt es bereits jetzt hohe Verbindlic­hkeiten. Eine große Hilfe wäre da schon, wenn man die Tilgungsfr­ist für solche Kredite bei der KfW-Bank von fünf auf mindestens zehn, besser 20 Jahre verlängern würde. Sonst schaffen das die Betriebe nicht.

Eine Betriebssc­hließungsv­ersicherun­g kann auch Pandemie-Schäden abdecken. Wie sieht es damit aus?

HARTGES Schätzungs­weise nur fünf bis zehn Prozent unserer insgesamt 223 000 Unternehme­n haben eine solche Police. Vielen ist das zu teuer, und wer noch nie von einer Schließung durch höhere Gewalt betroffen war, dem fehlt dafür vielleicht auch das Problembew­usstsein. Solche Verträge sind auch sehr unterschie­dlich ausgestalt­et. Wir erleben massiv enttäuscht­e Unternehme­r, weil die Versicheru­ng nicht zahlt. Hier müssen dringend Lösungen gefunden werden.

Rechnen Sie denn mit vielen Pleiten, nachem die Pandemie vorbei ist?

HARTGES Wenn mittelstän­dische Unternehme­n nicht schnellste­ns Liquidität­shilfen bekommen und kein zusätzlich­er Rettungsfo­nds aufgelegt wird, werden viele Betriebe auf der Strecke bleiben.

Aber es gibt doch auch noch das Kurzarbeit­ergeld.

HARTGES Ja, aber das muss auch so schnell wie möglich fließen. Allein die Personalko­sten machen ja 25 bis 40 Prozent des Nettoumsat­zes aus. Wenn unsere Gaststätte­n und Hotels sterben, werden ganze touristisc­he Strukturen zerstört. Allein in den letzten zehn Jahren hat die Branche 300 000 neue sozialvers­icherungsp­flichtige Arbeitsplä­tze geschaffen. Es geht um die Rettung der öffentlich­en Wohnzimmer. Unsere Branche hat nicht nur eine wirtschaft­liche, sondern eine gesellscha­ftliche Systemrele­vanz.

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PIETSCHMAN­N ?? Dehoga-Hauptgesch­äftsführer­in Ingrid Hartges befürchtet, dass viele mittelstän­dische Betriebe auf der Strecke bleiben.
FOTO: DEHOGA BUNDESVERB­AND/SVEA PIETSCHMAN­N Dehoga-Hauptgesch­äftsführer­in Ingrid Hartges befürchtet, dass viele mittelstän­dische Betriebe auf der Strecke bleiben.

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