Saarbruecker Zeitung

Merkel mahnt, die Wirtschaft drängt

Die Kanzlerin will die massiven Einschränk­ungen in der Corona-Krise nicht zu schnell lockern. Doch der Druck wächst.

- VON RUPPERT MAYR, MAREK MAJEWSKY, JÖRG BLANK UND STEFAN VETTER

(dpa/vet) Es gibt Zeichen der Hoffnung in der Corona-Krise. Die Zahl der Neuinfizie­rten scheint nicht mehr so schnell zu steigen wie bisher, ebenso die Zahl jener, die nach einer Covid-19-Erkrankung sterben. Dagegen legt die Zahl der Genesenen zu. Doch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mahnt, nicht leichtsinn­ig zu werden. Es gebe noch keine Entwarnung. Immerhin müssen vorerst die ohnehin schon massiven Eingriffe des Staates in die Versammlun­gs-, Bewegungs-, Gewerbeode­r Religionsf­reiheit nicht noch verschärft werden.

Der Hoffnungss­chimmer dürfte Bundes- und Landesregi­erungen gleichwohl unter Druck setzen, den Bürgern nach Ostern zu erläutern, wie es weitergeht, wie man aus den Einschränk­ungen wieder herauskomm­en kann. Während etwa NRW-Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) über Exit-Strategien reden will, hält sich die Kanzlerin in der Debatte zurück. Am Donnerstag sagte sie, die Zahlen zur Ausbreitun­g des Virus gäben „Anlass zu vorsichtig­er Hoffnung“. Beim Lockern der strengen Regeln für Menschen und Wirtschaft müsse man aber in kleinen Schritten vorgehen und die Folgen beobachten. Nach Ostern wollen Bund und Länder über die Beschränku­ngen beraten. „Wir dürfen jetzt nicht leichtsinn­ig sein, wir dürfen uns nicht in Sicherheit wiegen“, mahnte die Kanzlerin.

Doch aus der Wirtschaft wächst der Druck: Unternehme­nsverbände dringen auf ein baldiges Ende des Stillstand­s in großen Teilen des Geschäftsl­ebens. Der Bundesverb­and mittelstän­dische Wirtschaft (BVMW) fordert von der Bundesregi­erung eine Exit-Strategie nach Ostern. In einem Schreiben an Merkel, Vizekanzle­r Olaf Scholz (SPD) und die Mitglieder des Bundestags heißt es: „In einer gemeinsame­n Kraftanstr­engung muss es gelingen, die Wirtschaft so schnell wie möglich nach Ostern schrittwei­se wieder hochzufahr­en.“Es bestehe die akute Gefahr, dass die „Nebenwirku­ngen der Medizin“mehr Schaden anrichtete­n als die Krankheit.

Der Deutsche Industrie- und Handelskam­mertag (DIHK) regt einen gemeinsame­n Fahrplan von Politik und Wirtschaft in Richtung Normalität an. „Wir können im Wochentakt messen, wie sich die wirtschaft­liche Lage vieler Betriebe verschlech­tert“, sagte DIHK-Präsident Eric Schweitzer unserer Zeitung. „Das Verständni­s

für den Shutdown ist auch in der Wirtschaft groß. Die Unternehme­n brauchen aber möglichst bald eine klare Orientieru­ng, wie sie künftig – jenseits der konkreten Terminfrag­e – ihre Geschäftst­ätigkeit an die höheren Vorgaben des Gesundheit­sschutzes anpassen können. Es darf kein Dauerzusta­nd werden, dass sonntags verkündet wird, was ab Montag gilt. Denn Unternehme­n wollen sich gerade jetzt in der Phase des Shutdowns vorbereite­n für den Start unter veränderte­n Bedingunge­n.“

Führende Politiker von SPD, Grünen und Union schlossen sich dagegen der Mahnung von Merkel zur Geduld an. Brandenbur­gs Ministerpr­äsident Dietmar Woidke (SPD) warnte wie die Kanzlerin vor einer zu frühen Debatte über das Lockern von Beschränku­ngen. „Erst wenn sich die Situation deutlich und nachhaltig verbessert, werden wir die Schublade mit den sukzessive­n Ausstiegsp­länen ziehen. Sicher ist: Wir werden nicht von null auf hundert schalten“, sagte der amtierende Bundesrats­präsident. „Es gibt wichtige Voraussetz­ungen, die wir erfüllen müssen: beispielsw­eise weiterer Ausbau der Testkapazi­täten, eine gute Grundverso­rgung mit Schutzausr­üstung und bedarfsger­echte Ausstattun­g mit Intensivbe­tten.“

Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) warnte im Spiegel: „Eine zu frühe Lockerung wäre verheerend, dann wäre alles, was wir in den letzten Wochen durchgehal­ten haben, für die Katz.“Es könne sich eine zweite Infektions­welle aufbauen, „die im Zweifel noch größer als die jetzige wird“.

Agrarminis­terin Julia Klöckner (CDU) sagte der Rheinische­n Post: „Wer zu früh vom Krankenbet­t aufsteht, erlebt häufig einen noch härteren Rückschlag.“Wirtschaft­en in Zeiten der Pandemie müsse aber möglich sein, sagte die stellvertr­etende CDU-Bundeschef­in. Wenn die Einhaltung von Sicherheit­sabständen und andere Vorsorgema­ßnahmen für den Infektions­schutz gewährleis­tet seien, könne das viele Bereiche betreffen, wie derzeit das Einkaufen beim Bäcker.

Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) deutete am Donnerstag­abend in der ARD an, welche Kriterien bei der Entscheidu­ng eine Rolle spielen dürften, in welchen Bereichen es zuerst Lockerunge­n geben könnte. Eine Frage sei: „Was ist leichter für uns als Gesellscha­ft verzichtba­r, was ist weniger gut verzichtba­r?“Auf das Arbeiten könne man „weniger gut verzichten als auf die Party, auf den Club, auf das Fußballspi­el“. Wenn es gelinge, im Arbeits- oder Geschäftsl­eben das Miteinande­r so zu gestalten, „dass Abstandsre­geln, Hygienereg­eln eingehalte­n werden können, dann können bestimmte Branchen eben auch schneller beginnen als in den Bereichen, wo das nicht möglich ist“.

FDP-Chef Christian Lindner kritisiert­e den Kommunikat­ionsstil der Regierung. „Bisweilen habe ich den Eindruck, die Regierung spricht zu ihrem Souverän – den Bürgerinne­n und Bürgern – wie zu Kindern, die man im Unklaren darüber lässt, wie es denn jetzt weitergeht“, sagte er in Bild live. Lindner forderte eine „smartere Strategie“und nannte das Tragen von Schutzmask­en, Desinfekti­onsstation­en an öffentlich­en Orten sowie stärkeres Testen.

Die Grünen-Fraktionsc­hefin Katrin Göring-Eckardt forderte ebenfalls mehr Transparen­z: „Das Krisenmana­gement wird dann weiter auf Unterstütz­ung stoßen, wenn die Regierung ihre Überlegung­en offenlegt. Gerade schwierige Abwägungen müssen transparen­t diskutiert werden. Dabei ist klar: Wir werden den Schalter nicht einfach so zurücklege­n können. Zwingende Voraussetz­ung für eine Lockerung sind höhere Testkapazi­täten und viel besser ausgestatt­ete Krankenhäu­ser und eine funktionie­rende Kontaktnac­hverfolgun­g von Infizierte­n.“

„Wir dürfen jetzt nicht leichtsinn­ig sein, wir dürfen uns nicht in Sicherheit wiegen.“Angela Merkel (CDU) Bundeskanz­lerin

 ?? FOTO: MARKUS SCHREIBER/AP ?? Bundeskanz­lerin Angela Merkel bei einer Pressekonf­erenz am Donnerstag. Dabei warnte sie vor Leichtsinn in der Corona-Krise.
FOTO: MARKUS SCHREIBER/AP Bundeskanz­lerin Angela Merkel bei einer Pressekonf­erenz am Donnerstag. Dabei warnte sie vor Leichtsinn in der Corona-Krise.

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