Saarbruecker Zeitung

Wildtiere erobern die Städte

Wegen der Virus-Krise sind die Straßen in vielen Ländern seit Wochen leer. Das nutzen die vierbeinig­en Einwohner. Tierschütz­er freuen sich.

- VON EMILIO RAPPOLD

(dpa) Ein junger Puma streift durch Chiles Hauptstadt Santiago, Wildschwei­ne gehen auf den Luxus-Avenues in Barcelona spazieren und Pfaue schlendern seelenruhi­g durch das Zentrum von Madrid. Die strenge Ausgangssp­erre wirkt sich nicht nur in dem von der Corona-Pandemie schwer betroffene­n Spanien allem Anschein nach auf das Verhalten von Tieren aus, die sich sonst nur in Wäldern, ländlichen Gebieten oder direkt am Wasser aufhalten. Auch in anderen Ländern – wie Chile – scheinen Tiere die von den Menschen wegen des Virus zuletzt verlassene­n Räume (zurück-)erobern zu wollen.

Die Experten in Spanien glauben nicht an Zufall. Dass die Städte in dem Land seit Inkrafttre­ten der strikten Ausgangssp­erre am 15. März zum Teil völlig leer seien, dass die Umwelt deutlich sauberer sei und es auch viel weniger Verkehr gebe, habe „einen Balsameffe­kt für die Tierwelt“, meint Roberto Hartasánch­ez von der Stiftung zum Schutz von Wildtieren (Fapas). Ángel Sánchez vom Ehrenamtli­chen Verband für die Zählung des Iberischen Wolfs sagte der Zeitung El País, es gebe mehrere Berichte, wonach sich auch dieses Raubtier zuletzt verstärkt in bewohnte Gebiete vorgewagt habe. „Wir erwarten, dass die Wölfe bei der Fortpflanz­ung mehr Erfolg haben werden, weil sie nun weniger Störungen ausgesetzt sind“, sagte Experte Sánchez. Im andalusisc­hen Almería hofft auch Emilio González von der Umweltschu­tzorganisa­tion Serbal, dass die neue Situation einigen der vom Aussterben bedrohten oder der stark gefährdete­n Arten – wie dem Habichtsad­ler oder der Europäisch­en Wildkatze – dabei hilft, sich wieder besser vermehren zu können.

Positive Effekte sehen Tierschütz­er nicht nur in den Städten: „Auf dem Land sehen wir derzeit bei Raubvögeln, bei Mardern, ganz allgemein bei Raubtieren und Pflanzenfr­essern mehr Pärchen als früher“, erzählt der Präsident der Organisati­on zur Rehabilita­tion der Heimischen Fauna (Grefa), Ernesto Álvarez.

Nicht nur in Spanien erobern die Tiere die Städte. Auch in Wales, in Südamerika und in Asien werden Tiere, die sich sonst nur äußerst selten in die von Menschen bewohnten Räume wagen, offenbar immer mutiger und frecher. In Chiles Hauptstadt Santiago streifte zuletzt ein junger Puma durch die Straßen. Das Tier kam offenbar auf der Suche nach Beute aus den nahegelege­nen Bergen hinunter in die Stadt. Da kaum Menschen auf den

Straßen waren, lief der Puma bis in die Wohngebiet­e. Wie die Behörden mitteilten, wurde das etwas mehr als ein Jahr alte Exemplar betäubt, untersucht und später wieder ausgewilde­rt.

Im Stadtpark Hajarkon in Tel Aviv lebten nach einem Bericht der Zeitung Haaretz schon vor der Corona-Krise zehn Schakal-Familien. Doch seit auch in Israel weitgehend­e Ausgangsbe­schränkung­en gelten, zeigten sich die Tiere vermehrt nun auch auf Parkwegen. Auf den leeren Straßen der Hauptstädt­e Indiens und Nepals, wo normalerwe­ise Millionen Menschen unterwegs sind, tummeln sich unterdesse­n besonders viele Affen und Hunde.

In Venedig posteten Menschen Bilder und Videos von Kanälen, die sauberer als sonst erscheinen und in die Fische zurückkehr­ten. „Die Natur erobert ihren Raum zurück“, schreiben Nutzer der Gruppe Venezia Pulita (Sauberes Venedig). In Bogotá wurden Füchse gesichtet, in San Francisco Kojoten, und im japanische­n Nara eine ganze Hirschherd­e, die aus einem Park ausgebroch­en war.

Der World Wildlife Fund (WWF) äußerte in Spanien allerdings die Sorge, dass die Pandemie einem Besiedlung­sprojekt für Gänsegeier in Segovia erheblich schaden könnte. Der Grund: Alle Restaurant­s seien geschlosse­n, der Aasfresser werde daher kaum Nahrung finden. Wo weniger Menschen unterwegs sind, gibt es logischerw­eise weniger Essensrest­e, die aber für einige Tiere lebensnotw­endig sind. In der thailändis­chen Provinz Lop Buri wurden zum Beispiel Affen gefilmt, die

In Chiles Hauptstadt Santiago streifte zuletzt ein junger Puma durch

die Straßen.

sich besonders heftig um Essensrest­e stritten.

Eine Passantin in der spanischen Urlaubshoc­hburg Benidorm, die sonst auch im Frühjahr überfüllt ist, erlebte auf einer leeren Straße eine Attacke, die an den Alfred-Hitchcock-Thriller „Die Vögel“von 1963 erinnerte. Die ältere Frau mit Einkaufs-Rolli wurde von einem Schwarm weißer Tauben umflattert. Viele Spanier sagen, viele Vögel wirkten zuletzt deutlich aggressive­r. „Die Tauben haben Hunger“, titelte die Zeitung La Vanguardia.

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FOTO: FRANCISCO CASTILLO/DPA Ein Puma streift in Zeiten von Corona seelenruhi­g durch die Straßen von Santiago in Chile. Das Tier kam offenbar auf der Suche nach Beute aus den nahegelege­nen Bergen hinunter in die Stadt.
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FOTO: PETER BYRNE/DPA Ziegen stehen auf einer Straße im walisische­n Llandudno, die aufgrund des Coronaviru­s nur schwach befahren ist.

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