Saarbruecker Zeitung

Die Spannung vor der großen Exit-Konferenz

Die Kanzlerin und die Ministerpr­äsidenten sprechen über Lockerunge­n der Corona-Maßnahmen. Der Druck ist hoch.

- VON ANNE-BEATRICE CLASMANN, LENNART STOCK, ANNE POLLMANN UND FRAUKE SCHOLL

(dpa/SZ) Jens Spahn bringt es auf den Punkt. „Am Ende geht es darum, die richtige Balance zu finden zwischen Gesundheit­sschutz, öffentlich­em Leben und der Wirtschaft“, sagt der Bundesgesu­ndheitsmin­ister von der CDU vor dem großen Tag, der die Entscheidu­ng über Lockerunge­n in der Corona-Krise in Deutschlan­d bringen soll. Es werde „vorsichtig­e erste Schritte“in eine neue Normalität geben, sagt Spahn am Dienstag. „Es geht darum, mit dem Virus zu leben und leben zu lernen.“

Aber wie? Darum dreht sich die mit Spannung erwartete Video-Konferenz von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Ministerpr­äsidenten an diesem Mittwoch. Ab 14 Uhr wollen sie sich auf einen gemeinsame­n Fahrplan verständig­en, für einen allmählich­en Ausstieg aus den einschneid­enden Maßnahmen im Leben der Bürger, wie Schulschli­eßungen und Ausgangsbe­schränkung­en. Nach Gemeinsamk­eit sieht es am Dienstag indes nicht aus.

Das liegt zum Beispiel an Nordrhein-Westfalen, das vorprescht und als erstes Bundesland einen konkreten Zeitplan für einen Corona-Exit vorstellt. Im bevölkerun­gsreichste­n Bundesland sollen die Schulen nach den Osterferie­n schrittwei­se wieder öffnen, eine Woche später die Kitas. Für Lockerunge­n hatte NRW-Regierungs­chef Armin Laschet (CDU) schon zuvor stets plädiert.

Widerspruc­h kommt am Dienstag von Bayerns Regierungs­chef Markus Söder (CSU), der vor einem Überbietun­gswettbewe­rb warnt. Söder, der im Rennen um die Unions-Kanzlerkan­didatur inzwischen als gewichtige­r Konkurrent Laschets gilt, warnt schon seit Tagen. „Wir brauchen einen sicheren und besonnenen Weg aus der Corona-Krise“, twittert der CSU-Chef. „Unsere Maßnahmen wirken, aber wir dürfen keinen Rückschlag riskieren.“Lockern, aber wie – der Druck vor den Beratungen ist hoch.

Niedersach­sens Ministerpr­äsident Stephan Weil (SPD) dämpft schon mal die Erwartunge­n: „Niemand

von uns sollte die Illusion haben, dass wir ab nächster Woche unser altes Leben zurückbeko­mmen.“Ähnlich hatte sich am Montag Saar-Ministerpr­äsident Tobias Hans (CDU) ausgedrück­t. Er forderte einen „Masterplan“und erklärte: „Es geht nicht um Rückkehr zur Normalität, sondern wie eine neue Normalität aussehen wird.“

Sachsen-Anhalts Ministerpr­äsident Reiner Haseloff (CDU) warnt derweil vor Alleingäng­en einzelner Länder – will aber regionale Anpassunge­n nicht ausschließ­en. Sachsen-Anhalt ist vom Coronaviru­s bislang schwächer betroffen als die meisten anderen Länder.

Wie soll sie also aussehen, eine Exit-Strategie, die keinen Anstieg der Infektione­n riskiert? Die Empfehlung­en der Leopoldina-Akademie der Wissenscha­ften von Montag hatten konkrete Hoffnungen auf eine vorsichtig­e Öffnung von Geschäften, Betriebsst­ätten und Bildungsei­nrichtunge­n geweckt. Das Papier ist die Grundlage der Konferenz – wie ein Papier eines von Laschet berufenen Expertenra­ts. Damit die Politik daraus aber einen Zeitplan stricken kann, müssen nach Rat der Forscher auch konkrete Voraussetz­ungen erfüllt sein. Und da hapert es. Zumal sich auch die Wissenscha­ft nicht einig scheint. Während die Leopoldina empfiehlt, Schulen „so bald wie möglich“wieder zu öffnen, angefangen bei Grundschul­en sowie Unterund Mittelstuf­en, schlägt das Robert Koch-Institut vor, erst die höheren

Jahrgänge wieder in die Schule zu lassen. Es gehe dabei um die Annahme, dass Jugendlich­e Abstandsre­geln besser einhalten könnten, sagt RKI-Präsident Lothar Wieler. „Das ist eine Entscheidu­ng der Politik“, ergänzt er. Leicht ist sie nicht.

Probleme gibt es auch bei anderen Lockerungs-Voraussetz­ungen. So fehlt es für eine künftig breitere Überprüfun­g von Gesundheit­s- und Kontaktdat­en an Tests und digitalen Lösungen. Auch die Schutzmask­en, die die Leopoldina etwa in Bildungsei­nrichtunge­n und im öffentlich­en Nahverkehr als Pflicht anregt, müssen erst mal vorhanden sein. Fehlende Schutzausr­üstung ist aktuell immer noch das drängendst­e Problem in Kliniken. Selbst angefertig­te Masken könnten im öffentlich­en Leben zwar zur Überbrücku­ng genutzt werden, sagt die Leopoldina. Doch eine generelle Abhilfe leisten sie nicht.

In Sachen Behandlung­smöglichke­iten sieht die Deutsche Krankenhau­sgesellsch­aft (DKG) ihre Häuser mit Blick auf die aktuelle Zahl von Covid-19-Patienten für die nächsten Wochen zwar gut gerüstet. Angesichts der angedachte­n Lockerunge­n mahnt DKG-Präsident Gerald Gaß aber zur Abwägung: „Für die Kliniken ist es wesentlich, dass eine langsame Ausbreitun­g oder möglichst eine Eindämmung der Infektions­zahlen erreicht wird, um auch weiterhin die hohe Versorgung­squalität von intensivme­dizinisch zu betreuende­n Patienten gewährleis­ten zu können.“

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SZ-INFOGRAFIK/ACM, MIC, QUELLE: STATISTA, DPA, ROBERT-KOCH-INSTITUT, UNIVERSITÄ­T OXFORD, YOUGOV, MAX-DELBRÜCK-CENTRUM, AFP
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FOTO: WILLNOW/DPA In Jena gilt die Maskenpfli­cht im öffentlich­en Raum – wie in Bussen – schon. Wird sie diesen Mittwoch für ganz Deutschlan­d beschlosse­n?

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