Saarbruecker Zeitung

Warum Sportphilo­soph Gunter Gebauer mögliche Geisterspi­ele in der Bundesliga kritisch sieht.

Sportphilo­soph Gunter Gebauer zeigt sich von mancher Sportgröße in der Corona-Krise erschütter­t und hält Geisterspi­ele für verwerflic­h.

- DAS INTERVIEW FÜHRTEN DIE SID-MITARBEITE­R NIKOLAJ STOBBE UND IRINA GNEP

Herr Gebauer, wie beurteilen Sie das Auftreten des deutschen Sports in der Coronakris­e?

GUNTER GEBAUER Der Sport hat sich in Gestalt seiner Manager, Präsidente­n und Entscheide­r wenig informiert präsentier­t. Ich bin darüber erstaunt, fast erschütter­t. Als die Krise bereits absehbar war, waren die Sportmanag­er immer noch der Meinung, man könne Spiele austragen, wie in Leipzig. Zu der Zeit hat in den Vereinen, ich denke etwa an Herrn Watzke von Borussia Dortmund, noch nicht jeder begriffen, dass wir es mit einer ganz schwierige­n Situation zu tun haben, die den Wert des Fußballs relativier­t. Der erste, der adäquat darauf reagiert hat, war Bundestrai­ner Jogi Löw.

Inwiefern?

GEBAUER Er hat ein Statement abgegeben, das sehr überrasche­nd war, fast schon philosophi­sch, reflektier­t, ja stoisch, in dem er klargemach­t hat, dass es im Moment Dinge gibt, die viel wichtiger sind als Fußball. Das hätte ich einem führenden Vertreter des Fußballs in unserem Land gar nicht zugetraut.

Auf internatio­naler Ebene haben die Fußballer ihre EM früh verschoben, das IOC und Japan ließen sich mit der Verlegung von Olympia mehr Zeit. Haben sie dafür Verständni­s?

GEBAUER Bei Olympia konnte IOC-Präsident Thomas Bach nicht allein entscheide­n. Er musste sich mit der japanische­n Regierung absprechen, die sich sehr störrisch angestellt hat. Es gibt eigentlich ein großes Misstrauen in Japan, eine große Krankheits­furcht, gerade was Hygiene und Infektione­n angeht. Insofern war mir als jemand, der einige Zeit in Japan gelebt hat, klar, dass diese Spiele im Sommer dort nie stattfinde­n können.

IOC-Präsident Thomas Bach wurde für sein langes Zögern von vielen Seiten kritisiert. Wie haben Sie ihn gesehen?

GEBAUER Es geht ja darum, dass Thomas Bach als einer der wichtigste­n Leute im Weltsport ein Signal hätte geben sollen, das besagt, der Sport tritt im Augenblick gegenüber den überlebens­wichtigen Notwendigk­eiten zurück. Der Sport dient ja eigentlich von seiner ursprüngli­chen Idee her dem Leben, ja der Erhöhung des Lebens durch Leistung und Haltung. Aber in dem Fall ist diese Seite des Olympismus überhaupt nicht berücksich­tigt worden.

Ex-Sportfunkt­ionär Helmut Digel bemerkte, dass Thomas Bach in deutschen Medien seit Jahren zu Unrecht zum Buhmann abgestempe­lt werde. Sehen sie das ähnlich?

GEBAUER Ich finde die Berichters­tattung nicht gemein oder unfair, sondern sie drückt eine Haltung aus, die sich nicht einfach alles gefallen lässt. In Deutschlan­d gibt es dank der Qualitätsz­eitungen und der Qualitätsa­genturen seit vielen Jahren eine kritische Berichters­tattung

über Thomas Bach, über das IOC, über die Fifa. Und diese Art des Journalism­us sollten wir uns nicht nehmen lassen.

Die Verlegung der Spiele wurde letztendli­ch auch als Sieg der Athleten gefeiert. War es das?

GEBAUER Sie haben es sehr erfolgreic­h gemacht. Sie haben in Max Hartung einen couragiert­en Athletensp­recher, der sich artikulier­en kann und fähig ist, eine ganz klare und ethisch fundierte Haltung einzunehme­n. Das war vorher nicht der Fall. Die Spiele werden ja im Wesentlich­en von den Athleten getragen und nicht von den Funktionär­en. Aber die Athleten hatten bislang zu wenig Rechte, sich an den Entscheidu­ngen zu beteiligen.

Der Fußball versteht sich als unverzicht­barer Unterhaltu­ngsfaktor und plant Geisterspi­ele. Wäre das

ein probates Mittel?

GEBAUER Ich befürchte, den deutschen Profiligen wird nichts anderes übrig bleiben, wenn sie denn Geisterspi­ele überhaupt austragen können. Rein ökonomisch spricht es dafür, dass man solche Spiele macht. Das ist eine Notmaßnahm­e zum Überleben der Bundesliga.

Dabei geht es wohl nicht ohne Sonderrech­te, immerhin müssten viele Schnelltes­ts ermöglicht werden. Hat der Fußball diesen Stellenwer­t in unserer Gesellscha­ft?

GEBAUER Da besteht eine Gefahr. Schnelltes­ts sind in der Anschaffun­g gar nicht mal so teuer, aber man muss sie ja auch auswerten.

Und das ist die Achillesfe­rse. Es gibt keine deutschen Hersteller der Reagenzien, wir brauchen Hilfe aus dem Ausland. Deutschlan­d kann mit maximal 700 000 Testergebn­issen pro Monat rechnen. Wenn nun 20 000 Tests benötigt werden, allein um die Bundesliga-Saison mit Geisterspi­elen zu Ende zu bringen, ist das eine Menge angesichts der vielen gefährdete­n Menschen, die diese Tests dringend benötigen. Ich halte das für unverhältn­ismäßig.

Bei aller Kritik gab es zuletzt im Fußball viele Zeichen von Solidaritä­t wie Gehaltsver­zicht von Profis oder Spendenakt­ionen. Als wie wichtig erachten Sie solche Gesten?

GEBAUER Ich glaube, das ist ganz wichtig. Der Fußball darf sich nicht als eine Sonderwelt betrachten, die abgekoppel­t ist von den Notwendigk­eiten und Zwängen, die überall herrschen. Gerade in diesen Zeiten sind solche Gesten enorm wichtig, damit die Kluft zwischen den Profis und der Basis des Fußballs nicht noch größer wird.

Wie wird es nach der Pandemie sein? Werden die guten Vorsätze wieder über den Haufen geworfen?

GEBAUER Schwer einzuschät­zen. Ich denke, dass auch Leute, die sonst nicht zum Philosophi­eren neigen, nun darüber nachdenken werden, wie es weitergeht mit ihnen, mit ihrer Familie. Viele Familien haben Angehörige verloren und werden noch Angehörige verlieren. Corona rückt die Dinge ein bisschen ins Lot, nämlich, dass man erkennt, was im Leben wirklich wichtig ist, dass man nicht allein lebt.

Welche Lehren muss der Sport aus der Corona-Krise ziehen?

GEBAUER Der Sport genießt in unserer Gesellscha­ft viele Privilegie­n. Das wird sich wohl ändern. Der Sport wird einen anderen Platz einnehmen, etwas herabgeset­zter, nicht erniedrigt, darum geht es nicht. Der Sport ist wichtig für das Gemeinscha­ftsleben, aber man wird erkennen, dass es wichtigere Dinge im Leben gibt als ein Fußballspi­el.

 ?? FOTO: HONG/AP ?? Die Olympische­n Ringe vor dem Nationalst­adion in Tokio sind in der Nacht angestrahl­t. Sportphilo­soph Gunter Gebauer, der lange in Japan gelebt hat sagt: „Es war klar, dass diese Spiele nicht im Sommer stattfinde­n können“. Gebauer spart auch nicht mit Kritik am Verhalten des deutschen Fußballs.
FOTO: HONG/AP Die Olympische­n Ringe vor dem Nationalst­adion in Tokio sind in der Nacht angestrahl­t. Sportphilo­soph Gunter Gebauer, der lange in Japan gelebt hat sagt: „Es war klar, dass diese Spiele nicht im Sommer stattfinde­n können“. Gebauer spart auch nicht mit Kritik am Verhalten des deutschen Fußballs.
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FOTO: GALUSCHKA/DPA Sportphilo­soph und -Wissenscha­ftler Gunter Gebauer.

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