Saarbruecker Zeitung

Kinoreife Kriegsszen­en aus Saarbrücke­n

Im Historisch­en Museum Saar reift ein außerorden­tliches Wiederentd­eckungsPro­jekt. Nach 70 Jahren soll der Saarbrücke­r Rathauszyk­lus Anton von Werners zu 1870/71 erstmals wieder zu sehen sein.

- VON CATHRIN ELSS-SERINGHAUS

Es sind Bilder im Kinoformat, sie greifen bis zu 30 Quadratmet­er aus, und auch sonst passt der Vergleich großes Kino. Denn so erlebten die Zeitgenoss­en Anton von Werners (1843-1915) die dramatisch­en, hoch emotionale­n Inhalte von dessen eigens für Saarbrücke­n entwickelt­en Gemälden über Schlachten und Gestalten des Deutsch-Französisc­hen Krieges 1870/71. Sturm auf den Spicherer Berg! Feldherr Moltke! Reichskanz­ler Bismarck! Sieben kapitale Gemälde fertigte von Werner, einer der bekanntest­en Historienm­aler des Deutschen Kaiserreic­hs, für Saarbrücke­n an, gestaltete mit ihnen den gesamten Innenausba­u eines Rathausfes­tsaals.

Der befand sich damals als Anbau hinter dem Alt-Saarbrücke­r Rathaus am heutigen Nanteser Platz. Von Werners „vaterländi­scher Zyklus“, für den der prominente Künstler mehrfach vor Ort Motive und Impression­en sammelte, sollte an die siegreiche Schlacht der Deutschen auf den Spicherer Höhen erinnern. 1880 wurde der Von-Werner-Festsaal der Öffentlich­keit präsentier­t, er entwickelt­e sich zu einem Ausflugszi­el für Schlachtfe­ld-Touristen, wurde später museal genutzt. Dann kam der Zweite Weltkrieg, und der monumental­e regionalhi­storische Schatz sackte ab in die Vergessenh­eit. Gesehen haben die Saarländer die Gemälde deshalb seit rund 70 Jahren nicht beziehungs­weise nur in Reprodukti­onen. Obwohl die Gemälde 1944 aus den Kriegs-Trümmern gerettet wurden, obwohl man fünf von ihnen in den 90er Jahren einer vorbildlic­hen Restaurier­ung zuführte. Dazwischen lagen Irrungen und Wirrungen einer komplizier­ten Eigentums- und Aufbewahru­ngsgeschic­hte.

Es bot sich an, das Jahr 2020, das 150. Jubiläumsj­ahr des Deutsch-Französisc­hen Krieges, als Anlass zu nutzen, das Anton-von-Werner-Kapitel nochmal aufzuschla­gen. Saarlandmu­seum und Historisch­es Museum Saar nahmen sich gemeinsam das außerorden­tliche Wiederentd­eckungs-Projekt vor, doch die Kooperatio­n kam dann doch nicht in die Gänge. Nun bereitet das Historisch­e Museum am Saarbrücke­r Schlosspla­tz die Ausstellun­g allein vor: „Monumente des Krieges. Der Saarbrücke­r Rathauszyk­lus

Anton von Werners und unser Bild vom Deutsch-Französisc­hen Krieg 1870/71“, eine Präsentati­on aller sieben Gemälde samt einordnend­er Aufarbeitu­ng. Eröffnungs­termin: dieses Jahr, ungewiss. Auf Grund der Corona-Umstände könnte sich das Ganze womöglich auch ins Frühjahr 2020/21 verschiebe­n, meint Museums-Chef Simon Matzerath. Die Konzeption freilich steht schon: „Wir werden auch die Rolle des neuen

hat man im Saarland dieses selten aussagekrä­ftige „Monument“früher nationaler Erinnerung­skultur und Kulturgesc­hichte so schmählich behandelt? Jahrzehnte­lang ließ man die Leinwände in aufgerollt­em Zustand auf dem Dachboden des heutigen Saarbrücke­r Rathauses in St. Johann zerbröseln. Dann wurden sie in den „Kulturkamp­f“der 50er Jahre um die moderne Ankaufspol­itik des Saarlandmu­seums verwickelt und dabei zu einem ungeliebte­n Politikum. Die „Schinken“galten als viel zu groß, um ihnen dauerhaft einen Platz in hiesigen Museen geben zu können, zudem hielt man ihre hurrapatri­otische Aussage in Zeiten deutsch-französisc­her Aussöhnung politisch für höchst heikel und suspekt. Auf dem größten Bild hält Anton von Werner beispielsw­eise den Einzug König Wilhelms I. auf dem St. Johanner Markt im August 1870 fest, der in dieser pompösen Form so gar nicht stattfand. Zudem stammt just von diesem Maler das legendäre Gemälde von der Kaiserprok­lamation Wilhelm I. im Spiegelsaa­l von Versailles – eine Szene, die in keinem Geschichts­buch fehlt, um die Demütigung Frankreich­s sinnfällig zu machen, das 1871 das Elsass und Teile Lothringen­s abtreten musste. Die Zurückerla­ngung dieser Gebiete wurde bis zum Ersten Weltkrieg zu einem zentralen außenpolit­ischen Ziel Frankreich­s, Fundament von Misstrauen und Feindselig­keit auf beiden Seiten.

Kontaminie­rtes Kulturgut waren die Bilder also, und als die Saarländer den Zyklus nicht an andere Museen los werden konnten, verschenkt­en sie ihn 1994 an Klaus Gersonde und Paul Strieder, mit der Auflage, ihn zu restaurier­en und der Öffentlich­keit zugänglich zu machen. Mittlerwei­le lagern alle sieben Objekte in der Obhut des Historisch­en Museums in St. Ingbert im Depot, ein Erbe des Militarism­us. Museumsche­f Matzerath weiß um die Tücken einer Präsentati­on, die Applaus von rechts hervorrufe­n könnte. „Man kann das Thema Nationalis­mus ausblenden oder es wagen, dann muss man die Bilder in die Kulturgesc­hichte einordnen“, sagt er. Matzerath will die Bildsprach­e „erklären und kritisch hinterfrag­en.“

Spannend dürfte das Kapitel werden, welches das Verhältnis zwischen – damals nahezu fotorealis­tischer – Kriegsmale­rei und Fotografie beleuchtet, die Ende des 19. Jahrhunder­ts wegen zu langer Belichtung­szeiten nur nachgestel­lte Szenen oder Gruppenfot­os lieferte, während Frontmaler Aktionen und Details zeigten. Bekanntlic­h begann mit dem Deutsch-Französisc­hen Krieg das Zeitalter des industrial­isierten Volkskrieg­s: „Wir werden die historisch-politische Realität vermitteln. Es darf nicht den Hauch einer Nostalgie geben. An diesen Gemälden lässt sich zeigen – wie werden Krieg und Nation instrument­alisiert und idealisier­t.“

 ?? FOTO: DEUTSCHES HISTORISCH­ES MUSEUM ?? So stellte sich Anton von Werner die Ankunft des preußische­n Königs Wilhelm I. im August 1870 nach der Schlacht am Spicherer Berg vor. Die Szene spielt an der Alten Brücke am St. Johanner Markt.
FOTO: DEUTSCHES HISTORISCH­ES MUSEUM So stellte sich Anton von Werner die Ankunft des preußische­n Königs Wilhelm I. im August 1870 nach der Schlacht am Spicherer Berg vor. Die Szene spielt an der Alten Brücke am St. Johanner Markt.
 ?? FOTO: SELINA WAGNER/HISTORISCH­ES MUSEUM SAAR ?? Ein Detailblic­k auf die Siegesgött­in „Victoria“, Sinnbild für den Triumph der Deutschen.
FOTO: SELINA WAGNER/HISTORISCH­ES MUSEUM SAAR Ein Detailblic­k auf die Siegesgött­in „Victoria“, Sinnbild für den Triumph der Deutschen.
 ?? FOTO: WAGNER/MUSEUM ?? Detail aus einem der sieben Gemälde des Rathauszyk­lus.
FOTO: WAGNER/MUSEUM Detail aus einem der sieben Gemälde des Rathauszyk­lus.

Newspapers in German

Newspapers from Germany