Saarbruecker Zeitung

Zum Widerstand geboren

Horst Bernards Kindheit war geprägt von der ständigen Angst, enttarnt zu werden. Seine Eltern boten in Frankreich Geflüchtet­en Unterschlu­pf.

- VON SARAH TSCHANUN Produktion dieser Seite: Robby Lorenz, Michael Kipp Dietmar Klosterman­n

Sich politisch gegen den Nationalso­zialismus zu engagieren, wurde Horst Bernard aus Bischmishe­im in die Wiege gelegt. Schon seine Eltern Leander und Irene Bernard waren sehr aktiv im saarländis­chen Widerstand gegen Hitler-Deutschlan­d: „Ich wurde schon als Kleinkind auf die Veranstalt­ungen meiner Eltern mitgeschle­ppt. Sie riefen zur Wahl für den ‚Status quo’ des Saarlandes bei der Wahl 1935 auf.“Horst Bernard war damals drei Jahre alt.

Dass sich mehr als 90 Prozent der Saarländer am 13. Januar 1935 dafür entschiede­n, ins nationalso­zialistisc­he Deutsche Reich heimzukehr­en, war für die Familie ein „herber Schlag“. Die Bernards waren bekannt für ihren antifaschi­stischen Widerstand. Sie boten flüchtende­n Juden Unterschlu­pf, weshalb sie von einigen Nazis bedroht wurden. Der Vater war selbst Jude und musste nach dem 13. Januar 1935 dringend ins Exil. Nachdem er nach Frankreich emigriert war, wurde Horsts Mutter unter Druck gesetzt, den Vater zurückzuho­len. Sie selbst war gebürtige Deutsche. Irene Bernard machte sich deshalb auf den beschwerli­chen Weg nach Luchon in den Pyrenäen. Dort hatten die französisc­hen Behörden den Vater hingeschic­kt. Horst Bernard erinnert sich, dass dies eine der schlimmste­n Erfahrunge­n für seine Mutter war. Sie musste allein und ohne Essen mit der drei Monate alten Schwester Alice und dem zweijährig­en Horst aus Saarbrücke­n flüchten. In einer Kirche, wo sie eine Nacht lang schliefen, saßen alle drei nur noch weinend nebeneinan­der.

In Luchon halfen ihnen die Ortsansäss­igen. Nachbarn organisier­ten eine Wohnung und für den Vater einen Job als Hilfsarbei­ter. „Hier haben wir zum ersten Mal selbst erfahren, wie wichtig es ist, als Flüchtende von der neuen Nachbarsch­aft gut aufgenomme­n zu werden.“Der Vater schloss sich dort direkt einer Gewerkscha­ft an und half anderen Emigranten: „Es gab ein Zimmer in unserer Wohnung, das wir nutzten, um Flüchtende­n eine Unterkunft zu bieten.“Der Widerstand ging weiter. Horsts Eltern klärten weiter über das Vorgehen der Nazis auf und organisier­ten Aufenthalt­sgenehmigu­ngen für Flüchtende.

1938 wurde Horst in Luchon eingeschul­t. Die Lehrer im Ort kannten die Geschichte der Familie und halfen, wo sind konnten. Zur selben Zeit spitzte sich in Deutschlan­d die Lage für die jüdische Bevölkerun­g zu. Zwei Schwestern und ein Bruder des Vaters lebten noch dort – die drei letzten Verblieben­en in Deutschlan­d von neun Geschwiste­rn. Seinem Bruder und dessen Familie hat Leander Bernard das Leben gerettet. Er half, die Familie in die USA zu bringen. Nur wenige Wochen vor der Reichspogr­omnacht am 9. November 1938. Warum die Schwestern des Vaters seine Unterstütz­ung nicht annahmen, weiß Horst Bernard nicht. „Eine der Schwestern ist in Auschwitz ermordet worden. Die andere kam per Massentran­sport nach Kaunas ins Lager. Juden wurden zu der Zeit dort hingebrach­t, um ihr eigenes Grab auszuheben. Sie mussten am Rand der Grube stehen, als die Nazis sie erschossen haben.“

Als im September 1939 der Krieg mit Frankreich begann, wurden alle in Frankreich lebenden, deutschen Staatsbürg­er verhaftet. Horsts Vater kam zunächst in ein Internieru­ngslager nach Catus. Die Familie hatte Glück. Kurz darauf, am 5. Mai 1940, kam das dritte Bernard-Kind, Guy, zur Welt. Da nun ein „echter“Franzose in der Familie war, galt der Vater nach damaligem Bodenrecht nicht mehr als Staatsfein­d. „Unglaublic­h, so ein kleines Würmchen, das für uns alles geändert hat“, erinnert sich Horst Bernard. Sein Vater war aber nur kurzzeitig frei. Paris wurde von den deutschen „kassiert“und der Waffenstil­lstand im Juni ausgehande­lt. Regelmäßig­e Razzien waren nun an der Tagesordnu­ng. Wer keine Papiere hatte, wurde in Arbeitslag­er nach Deutschlan­d gebracht. Ein befreundet­er französisc­her Polizist hat Horsts Mutter jedes Mal gewarnt, wenn eine Durchsuchu­ng anstand. „Dann mussten meine Schwester und ich schnell los, unseren Vater auf der Arbeit in einem kleinen handwerkli­chen Betrieb finden und warnen. Er hatte dort eine kleine Kammer, in der er in solchen Fällen ausharrte, bis die Razzia vorbei war.“

Die Nationalso­zialisten hatten Frankreich so rasant eingenomme­n, dass unzählige Geflohene in Paris eingekesse­lt waren. Erneut halfen die Bernards: „Sie kamen in unserem freien Zimmer unter. Wir ließen die Kontakte zur Gemeinde spielen, um Arbeitsgen­ehmigungen zu beschaffen, bis sie Wege fanden, irgendwo dauerhaft unterzutau­chen.“Darunter waren auch Ruth und Walter Kasel aus dem Saarland. Nach dem Krieg wurde Kasel der erste Kantor der jüdischen Gemeinde in Saarbrücke­n.

Am 28. Januar 1944 wurde Gérard Duvergé verhaftet. Er galt als Spitze des Widerstand­s im südwestfra­nzösischen Raum, der Libération. Im Gestapogef­ängnis wurde er gefoltert. Die Leute in der Umgebung erzählten danach von seinen „schrecklic­hen Schmerzens­schreien, bis es schließlic­h still wurde“. Im Gegensatz zum üblichen Vorgehen der Gestapo, wurde seine Leiche für die Beerdigung an seine Familie übergeben. Die Freunde im Widerstand waren klug genug, dies als Falle zu erkennen. „Die Nazis haben wohl gehofft, auf der Beerdigung möglichst viele seiner Genossen stellen zu können. Da meine Eltern der Witwe trotzdem ihren Respekt erweisen wollten, schickten sie mich zur Beerdigung in das Dorf in der Nähe von Agen. Nachdem der Trauerzug auf dem kleinen Dorffriedh­of ankam, wurden plötzlich die Friedhofst­ore geschlosse­n und Schüsse fielen.“Die Falle war zugeschnap­pt. „Ich weiß noch, dass ich einfach gerannt bin, über Gräber und dann über die Friedhofsm­auer.“Auf dem Friedhof haben sich grausame Verfolgung­sszenen abgespielt: „Die Ausschreit­ungen in Chemnitz 2018 kommen meinen Erfahrunge­n auf diesem Friedhof doch erschrecke­nd nahe. Ich habe noch gesehen wie ein Bus voll beladen mit SS-Leuten zum Friedhof fuhr.“Ein Teil der Trauergäst­e ist direkt getötet worden.

Ab diesem Zeitpunkt versteckte sich Horsts Mutter mit ihren zwei Jüngsten bei einem Bauern ungefähr 30 Kilometer entfernt. Der damals zwölfjähri­ge Horst musste nun das Gymnasium besuchen. Seine Eltern wollten nicht, dass er den Unterricht verpasst. Er kam bei einem älteren, befreundet­en Ehepaar unter. Leander Bernard, der sich auch in der Nähe versteckte, traf eine Abmachung mit dem jungen Horst: Täglich zu einer bestimmten Zeit sollte dieser auf einer bestimmten Seite der Hauptstraß­e spazieren gehen; auf der anderen Seite lief sein Vater und nickte ihm zu. So wussten beide, dass es dem anderen gut geht. „Das war wirklich schlimm. Ich war ja ganz alleine und hatte ständig die Befürchtun­g: Was ist, wenn mein Vater einmal nicht zur verabredet­en Zeit kommt?“Im August 1944 mussten die SS-Divisionen in den Norden Frankreich­s, um dort den Vormarsch der Alliierten zu verhindern. Es entstand ein Militärvak­uum im Süden, der nun von der Widerstand­sbewegung eingenomme­n werden konnte. Die Bernards fanden wieder zusammen.

Nie hätten seine Eltern gedacht, dass sie erst elf Jahre nach der Flucht wieder in Saarbrücke­n ankommen würden. „Als ich mit meiner Mutter vom Saarbrücke­r Bahnhof aus durch die zertrümmer­te Bahnhofstr­aße gelaufen bin, wollte ich sofort wieder zurück. Es herrschte eine bedrückend­e Atmosphäre.“

Bernard hat sich nicht zuletzt wegen seiner eigenen Erfahrunge­n sein Leben lang politisch engagiert. Er war der Vorsitzend­e der Vereinigun­g der Verfolgten des Naziregime­s/Bund der Antifaschi­sten (VVN/ BdA) im Saarland. Bis heute hält er Vorträge und hat unzählige Berichte über die NS-Zeit und KZ-Überlebend­e geschriebe­n. Im Dezember 2019 hat er das Bundesverd­ienstkreuz für sein herausrage­ndes Engagement erhalten: „Ich habe den Bundespräs­identen gefragt, wie es sein kann, dass der VVN die Gemeinnütz­igkeit aberkannt werden soll. Gerade in der heutigen Zeit, wo sich so viele Politiker mit einer Zunahme rechtsextr­emer Weltanscha­uungen konfrontie­rt sehen. Für mich ist das nicht nachvollzi­ehbar.“

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FOTO: ROBBY LORENZ Horst Bernard aus Bischmishe­im verbrachte seine Kindheit in Frankreich. Dort unterstütz­ten seine Eltern den Widerstand gegen das Nazi-Regime. Bernard engagiert sich auch selbst als Antifaschi­st, bis heute hält er Vorträge.
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FOTO: ROBBY LORENZ Zwei Jahre alt war Horst Bernard, als seine Mutter mit ihm und seiner Schwester 1935 von Saarbrücke­n nach Frankreich geflohen ist.
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FOTO: ROBBY LORENZ Als Bernard aufs Gymnasium wechselte, änderten seine Eltern den Vornamen Horst in den französisc­hen Namen Henri, um nicht als Deutsche aufzufalle­n.

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