Der kleine Boxer an Kohls Kabinettstisch
Norbert Blüm war einer der letzten Repräsentanten der Bonner Republik. Nun ist er im Alter von 84 Jahren gestorben.
(dpa/kna) Norbert Blüm war 16 Jahre Bundesarbeitsminister und ist doch nur mit einem Satz in Erinnerung geblieben. Noch Jahrzehnte später wurde ihm dieser eine Ausspruch auf der Straße nachgerufen, mitunter geradezu entgegengeschleudert, wie der CDU-Politiker einmal der Deutschen Presse-Agentur schilderte. Mal eher augenzwinkernd-freundlich, oft aber höhnisch und manchmal sogar in dem für ihn typischen Dialekt: „Die Rente ist sischer!“Auch mit über 80 Jahren war Blüm noch jederzeit bereit, diesen Satz zu verteidigen. „Und zwar mit einer gewissen Wut im Bauch“, wie er versicherte.
Blüm sagte von sich selbst, er wäre ein „alter Rummel-Boxer“, der den Schlagabtausch brauche. Er war ein kleiner, aber kompakter und beweglicher Mann, der noch im hohen Alter einen festen Händedruck hatte und einem direkt in die Augen sah. Jetzt ist er im Alter von 84 Jahren gestorben. Das teilte sein Sohn am Freitag mit.
Blüm war der einzige Bundesminister der Kohl-Ära, der gleichzeitig
Mitglied der IG Metall war. Er galt als „Herz-Jesu-Marxist“, als überzeugter Anhänger der katholischen Soziallehre. In seiner Jugend war der Arbeitersohn aus Hessen Pfadfinder und Messdiener gewesen, bevor er sich als Werkzeugmacher bei Opel in seiner Geburtsstadt Rüsselsheim verdingte. Dann machte er Abitur auf dem zweiten Bildungsweg und studierte in Bonn Philosophie, Germanistik, Geschichte und Theologie.
Von 1968 bis 1975 war Blüm als Hauptgeschäftsführer der CDU-Sozialausschüsse tätig. Als Helmut Kohl 1982 Bundeskanzler wurde, berief er den Weggefährten als Arbeitsund Sozialminister in sein Kabinett. Dort durfte Blüm von nun an 16 Jahre im Maschinenraum des Sozialstaats ziemlich eigenständig schalten und walten, denn als Repräsentant des CDU-Arbeitnehmerflügels war er einer der Pfeiler des Kohlschen Machtsystems. Mit seinem Namen verbunden bleibt die 1995 gegen erhebliche Widerstände eingeführte Pflegeversicherung. 1986 plakatierte er sein späteres Mantra, ursprünglich nicht „Die Rente ist sicher“, sondern „Denn eins ist sicher: Die Rente“.
Sein Verhältnis zu Kohl bekam schon 1989 tiefe Risse, als er gemeinsam mit Rita Süssmuth und dem ehemaligen Generalsekretär
Heiner Geißler versuchte, den zu diesem Zeitpunkt höchst unpopulären CDU-Chef zu stürzen. Dann fiel die Mauer, und der bis dato als „Birne“verspottete Kohl mutierte zum „Kanzler der Einheit“.
Der vollständige Bruch kam 1999/2000 im Zuge der CDU-Spendenaffäre, als Blüm seinen einstigen Förderer mit deutlichen – vielleicht überdeutlichen – Worten kritisierte. Von da an wechselten die beiden kein Wort mehr miteinander.
Nach einer Blutvergiftung war er seit 2019 an Armen und Beinen gelähmt und saß im Rollstuhl. Die Lähmung machte er erst vor einigen Wochen publik. „Wie ein Dieb in der Nacht brach das Unheil in Gestalt einer heimtückischen Blutvergiftung in mein Leben ein“, diktierte er seiner Frau für einen Beitrag in der „Zeit“.
Spitzenpolitiker, Vertreter von Kirchen und Sozialverbänden reagierten mit großer Betroffenheit auf Blüms Tod. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier würdigte ihn als „herausragende Persönlichkeit in der Geschichte unseres Landes“. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erklärte, Blüm habe ihre eigene Arbeit stark geprägt. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble bescheinigte Blüm eine „bemerkenswerte Weitsicht“. Für die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer war Blüm „so etwas wie der Held aus meinen Jugendtagen.“
„Denn eins ist sicher:
Die Rente.“
Norbert Blüm
Ehemaliger Bundesarbeitsminister