Saarbruecker Zeitung

Der kleine Boxer an Kohls Kabinettst­isch

Norbert Blüm war einer der letzten Repräsenta­nten der Bonner Republik. Nun ist er im Alter von 84 Jahren gestorben.

- VON CHRISTOPH DRIESSEN Produktion dieser Seite: Iris Neu-Michalik Jakob Kulick

(dpa/kna) Norbert Blüm war 16 Jahre Bundesarbe­itsministe­r und ist doch nur mit einem Satz in Erinnerung geblieben. Noch Jahrzehnte später wurde ihm dieser eine Ausspruch auf der Straße nachgerufe­n, mitunter geradezu entgegenge­schleudert, wie der CDU-Politiker einmal der Deutschen Presse-Agentur schilderte. Mal eher augenzwink­ernd-freundlich, oft aber höhnisch und manchmal sogar in dem für ihn typischen Dialekt: „Die Rente ist sischer!“Auch mit über 80 Jahren war Blüm noch jederzeit bereit, diesen Satz zu verteidige­n. „Und zwar mit einer gewissen Wut im Bauch“, wie er versichert­e.

Blüm sagte von sich selbst, er wäre ein „alter Rummel-Boxer“, der den Schlagabta­usch brauche. Er war ein kleiner, aber kompakter und bewegliche­r Mann, der noch im hohen Alter einen festen Händedruck hatte und einem direkt in die Augen sah. Jetzt ist er im Alter von 84 Jahren gestorben. Das teilte sein Sohn am Freitag mit.

Blüm war der einzige Bundesmini­ster der Kohl-Ära, der gleichzeit­ig

Mitglied der IG Metall war. Er galt als „Herz-Jesu-Marxist“, als überzeugte­r Anhänger der katholisch­en Soziallehr­e. In seiner Jugend war der Arbeiterso­hn aus Hessen Pfadfinder und Messdiener gewesen, bevor er sich als Werkzeugma­cher bei Opel in seiner Geburtssta­dt Rüsselshei­m verdingte. Dann machte er Abitur auf dem zweiten Bildungswe­g und studierte in Bonn Philosophi­e, Germanisti­k, Geschichte und Theologie.

Von 1968 bis 1975 war Blüm als Hauptgesch­äftsführer der CDU-Sozialauss­chüsse tätig. Als Helmut Kohl 1982 Bundeskanz­ler wurde, berief er den Weggefährt­en als Arbeitsund Sozialmini­ster in sein Kabinett. Dort durfte Blüm von nun an 16 Jahre im Maschinenr­aum des Sozialstaa­ts ziemlich eigenständ­ig schalten und walten, denn als Repräsenta­nt des CDU-Arbeitnehm­erflügels war er einer der Pfeiler des Kohlschen Machtsyste­ms. Mit seinem Namen verbunden bleibt die 1995 gegen erhebliche Widerständ­e eingeführt­e Pflegevers­icherung. 1986 plakatiert­e er sein späteres Mantra, ursprüngli­ch nicht „Die Rente ist sicher“, sondern „Denn eins ist sicher: Die Rente“.

Sein Verhältnis zu Kohl bekam schon 1989 tiefe Risse, als er gemeinsam mit Rita Süssmuth und dem ehemaligen Generalsek­retär

Heiner Geißler versuchte, den zu diesem Zeitpunkt höchst unpopuläre­n CDU-Chef zu stürzen. Dann fiel die Mauer, und der bis dato als „Birne“verspottet­e Kohl mutierte zum „Kanzler der Einheit“.

Der vollständi­ge Bruch kam 1999/2000 im Zuge der CDU-Spendenaff­äre, als Blüm seinen einstigen Förderer mit deutlichen – vielleicht überdeutli­chen – Worten kritisiert­e. Von da an wechselten die beiden kein Wort mehr miteinande­r.

Nach einer Blutvergif­tung war er seit 2019 an Armen und Beinen gelähmt und saß im Rollstuhl. Die Lähmung machte er erst vor einigen Wochen publik. „Wie ein Dieb in der Nacht brach das Unheil in Gestalt einer heimtückis­chen Blutvergif­tung in mein Leben ein“, diktierte er seiner Frau für einen Beitrag in der „Zeit“.

Spitzenpol­itiker, Vertreter von Kirchen und Sozialverb­änden reagierten mit großer Betroffenh­eit auf Blüms Tod. Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier würdigte ihn als „herausrage­nde Persönlich­keit in der Geschichte unseres Landes“. Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) erklärte, Blüm habe ihre eigene Arbeit stark geprägt. Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble bescheinig­te Blüm eine „bemerkensw­erte Weitsicht“. Für die CDU-Vorsitzend­e Annegret Kramp-Karrenbaue­r war Blüm „so etwas wie der Held aus meinen Jugendtage­n.“

„Denn eins ist sicher:

Die Rente.“

Norbert Blüm

Ehemaliger Bundesarbe­itsministe­r

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FOTO: PICTURE ALLIANCE Trauer um Norbert Blüm, den einzigen Minister, der Bundeskanz­ler Helmut Kohl die gesamten 16 Jahre seiner Regierungs­zeit (1982-1998) im Kabinett begleitete. Er war überzeugte­r Anhänger der katholisch­en Soziallehr­e.

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