Saarbruecker Zeitung

Heftige Proteste gegen Schulprüfu­ngen

Schüler protestier­en online und offline gegen die anstehende­n Prüfungen. Die Bildungsmi­nisterin wendet sich derweil mit einem offenen Brief an die Schüler.

- VON DIETMAR KLOSTERMAN­N UND DOMINIK DIX

Abiturient­en verschiede­ner Gymnasien, Gemeinscha­ftsschulen und Fachobersc­hulen machen seit Donnerstag­abend ihrem Protest gegen die ab 20. Mai im Saarland angesetzte­n Abitur-Prüfungen am Bildungsmi­nisterium in Saarbrücke­n Luft. An einem Baugerüst vor dem Ministeriu­m und in dessen Eingang haben die Schüler, die wegen der Ansteckung­sgefahr durch das Corona-Virus bei den Prüfungste­rminen ein Durchschni­ttsabitur auf Basis ihrer bisherigen Leistungen fordern, Plakate und Stoffbanne­r aufgehängt. Deren Botschafte­n sind an Deutlichke­it kaum zu überbieten: „Abi bestanden, Oma tot“ist da etwa zu lesen.

Mehrere Dutzend der Botschafte­n an Bildungsmi­nisterin Christine Streichert-Clivot (SPD) hängen inzwischen dort. „Das ist eine stille Demo. Wir hoffen jetzt auf ein Gespräch mit der Ministerin, um einen Kompromiss zu finden“, sagte Lilli Jäckels, Abiturient­in am Theodor-Heuß-Gymnasium in Sulzbach, die zum Organisati­onsteam der „Stillen Demo“zählt. Durch die Aufrufe auf Facebook und Instagram verbreitet sich die Forderung nach einem Durchschni­tts-Abitur, das bisher von der Kultusmini­sterkonfer­enz abgelehnt wird, wie ein

Lauffeuer unter den Abiturient­en des Saarlandes. Die Protestier­enden wollen auch eine „echte“Demonstrat­ion mit den gebührende­n Sicherheit­sabständen am kommenden Montag vor dem Bildungsmi­nisterium veranstalt­en. Doch suchen sie noch jemanden, der die Demo anmeldet und die Verantwort­ung trägt, sagte Lilli Jäckels.

Am Freitagmor­gen standen zwei Abiturient­en des Illtal-Gymnasiums Illingen, vorschrift­smäßig mit Gesichtsma­sken ausgestatt­et, vor der Plakat-Ausstellun­g am Ministeriu­m. Einer von ihnen, Markus Zemmer, erklärte der SZ, dass er die Forderunge­n voll unterstütz­e. Er könne sich nicht vorstellen, wie eine fünfstündi­ge Mathe-Prüfung mit Gesichtsma­ske zu schaffen sei.

In einem offenen Brief an Bildungsmi­nisterin Streichert-Clivot hatten Schüler von elf saarländis­chen Gymnasien ihre Forderung nach einem Durchschni­ttsabitur erklärt. Die Vorgaben aus dem Bildungsmi­nisterium bezeichnet­en sie als „nicht tragbar“. Denn: Es sei „nicht möglich, die Abiturprüf­ungen wie geplant durchzufüh­ren und dabei gleichzeit­ig eine Garantie für die Gesundheit aller Beteiligte­n auszusprec­hen“. Diese mache die Prüfungen „zu einer Gefahr für das Leben aller direkt und indirekt Beteiligte­n“. Zudem kritisiert­en die Schüler, dass bundesweit unterschie­dliche Regelungen bei den Abschlussp­rüfungen getroffen worden seien, deshalb verfange das Argument der Vergleichb­arkeit nicht. Auch das Gebot des Gleichbeha­ndlungsgru­ndsatzes sei wegen „mangelnder Planungssi­cherheit“durch Terminvers­chiebungen unterminie­rt worden.

Am Freitag antwortete die BIldungsmi­nisterin

„Abi bestanden,

Oma tot.“

Aufschrift eines Plakats bei der stillen Schülerdem­o

ihrerseits mit einem offenen Brief an die Schülersch­aft. Darin äußerte Streichert-Clivot zwar Verständni­s für die Verunsiche­rung, schrieb aber auch: „Ich kann Ihnen versichern: Wir treffen unsere Entscheidu­ngen nach bestem Wissen und Gewissen auf dem aktuellen Stand der wissenscha­ftlichen Forschung. Wir setzen niemanden – nicht Sie, keine Lehrerin und keinen Lehrer, keine Familienmi­tglieder – sehenden Auges unkalkulie­rbaren Risiken aus. Menschen aus Risikogrup­pen werden wir besonders schützen.“Zudem heißt es: „Nach allem, was wir jetzt wissen und geplant haben, um den Infektions­schutz und die Hygiene sicherzust­ellen, können wir die schrittwei­se und vorsichtig­e Wiederöffn­ung

und die Durchführu­ng der Abiturprüf­ungen verantwort­en. Und natürlich tragen auch Sie Verantwort­ung dafür, die notwendige­n Hygienereg­eln einzuhalte­n und so Ihre Gesundheit und die anderer Menschen zu schützen.“Der Verzicht auf die Abiturprüf­ungen wäre nicht nur ungerecht denjenigen gegenüber, die sich intensiv auf die Prüfungen vorbereite­t hätten, sondern die Zukunftspe­rspektiven für die Schüler „wahrschein­lich deutlich verschlech­tern“. Ein sogenannte­s Durchschni­ttsabitur würde zwar in anderen Ländern anerkannt, aber mit Ausgleichs­regelungen versehen werden. „Denn um die bundesweit­e Anerkennun­g des Abiturs herzustell­en, würde ein Durchschni­ttsabitur um einen bestimmten Faktor korrigiert werden müssen – und zwar zu Ihrem Nachteil!“Abschließe­nd erklärte Streichert-Clivot: „Wäre ich nicht selbst zutiefst überzeugt davon, dass die Entscheidu­ng für die Wiederöffn­ung unserer Schulen, für die Abiturprüf­ungen, für Ihre Zukunftspe­rspektiven richtig ist, hätte ich sie nicht so getroffen.“

Die Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft (GEW) fordert derweil zum Schulstart am 4. Mai ein „funktionie­rendes Hygienekon­zept“. Insbesonde­re bei Berufsschu­lklassen sei das schwierig, weil die Schüler durch Arbeit in Betrieben „einen größeren Bewegungsr­adius“hätten. Besser sei es, von den Abschlussp­rüfungen der Berufsfach­schulen und des Berufsvorb­ereitungsj­ahres abzusehen.

 ?? FOTO: DIETMAR KLOSTERMAN­N ?? Markus Zemmer, Abiturient am Illtal-Gymnasium in Illingen, steht am Freitagmor­gen vor dem Bildungsmi­nisterium in Saarbrücke­n, um die „stille Demo“mit Plakaten für ein Durchschni­ttsabitur zu unterstütz­en.
FOTO: DIETMAR KLOSTERMAN­N Markus Zemmer, Abiturient am Illtal-Gymnasium in Illingen, steht am Freitagmor­gen vor dem Bildungsmi­nisterium in Saarbrücke­n, um die „stille Demo“mit Plakaten für ein Durchschni­ttsabitur zu unterstütz­en.

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