Saarbruecker Zeitung

„Wir sehen noch relativ viele Neuinfekti­onen“

Der Virologe Dr. Jürgen Rissland vom Universitä­tsklinikum des Saarlandes in Homburg beantworte­t Leserfrage­n zu Covid-19.

- AUFGEZEICH­NET VON MICHAEL KIPP Produktion dieser Seite: Michael Kipp, Johannes Schleuning

Ist Covid-19 gefährlich­er als eine gewöhnlich­e Grippe?

RISSLAND Wir sollten aufpassen, nicht Äpfel mit Birnen zu vergleiche­n. Ja, eine echte Grippe und das neuartige Coronaviru­s haben Ähnlichkei­ten, beide sind Tröpfcheni­nfektionen, die den Lungentrak­t befallen. Beide haben auch ähnliche Grundtende­nzen. Es gibt bei beiden Krankheite­n Verläufe ohne Symptome. Es gibt milde Verläufe und es gibt schwere Verläufe. Aber es gibt auch deutliche Unterschie­de. Während bei einer Influenza die Krankheits­formen besser bekannt sind wie bei einer normalen Coronaviru­s-Infektion, sehen wir bei der neuartigen Coronaviru­s-Infektion ganz neuartige Krankheits­bilder. Ein Organversa­gen der Lunge zum Beispiel, das wir nicht erklären können. Das ist etwas, was uns sehr beunruhigt. Daher warnen wir davor, diese Krankheit auf die leichte Schulter zu nehmen. Noch ein wichtiger Unterschie­d: Bei der Grippe haben wir eine Impfmöglic­hkeit und ursächlich­e Medikament­e. Das ist bei der neuartigen Coronaviru­sinfektion bislang nicht der Fall. Das macht auch einen großen Teil des Problems aus.

Die Grippe hat bisher mehr Opfer gefordert als Corona.

RISSLAND Das stimmt. Aber wir sind ja auch noch nicht am Ende der Infektions­welle in Deutschlan­d angekommen. Wir haben es in den ersten Wochen durch die harten Maßnahmen geschafft, diese Infektions­welle sehr stark abzudämpfe­n. Das haben wir ansatzweis­e bei einer Grippe nur Ende der 60er gehabt. Das ist ein Zwischener­folg. Jetzt müssen wir sehr sorgsam sein, ob diese Welle tatsächlic­h weiterläuf­t und in welcher Form sie weiterläuf­t. Das können wir nicht mit letzter Gewissheit vorhersage­n. Wir sind noch nicht am Ende des Weges. Deswegen kann man auch die Todeszahle­n zwischen Grippe und Corona nur sehr begrenzt miteinande­r vergleiche­n. Abgerechne­t wird in der Regel eh erst am Schluss.

Wird das neuartige Coronaviru­s wie das Grippeviru­s im Sommer komplett verschwind­en?

RISSLAND Das ist ein Gegenstand von Diskussion­en in der Forschung derzeit. Es gab in der Vergangenh­eit die Erfahrung mit anderen Coronavire­n, dass sie sich im Sommer nicht zurückzieh­en. Im Gegensatz zur Grippe, die sich von Dezember bis April ausbreitet. Im Sommer bleibt es da in der Regel ruhig. Aber es kann uns durchaus blühen, dass das Coronaviru­s uns auch über den Sommer begleitet. Möglicherw­eise werden die Sonne und das trockene Wetter einen positiven Einfluss darauf haben, dass nicht viele Menschen sich infizieren. Aber das ist nicht wirklich verlässlic­h und sicher vorhersagb­ar. Auch hier heißt es, weiterhin wachsam zu sein.

Können die teils drastische­n Maßnahmen aufgehoben werden, da es kaum noch Neuinfekti­onen gibt?

RISSLAND Ich glaube, das ist eine gravierend­e Fehleinsch­ätzung der Situation. Da bin ich ganz bei Bundeskanz­lerin Angela Merkel, die als Naturwisse­nschaftler­in nur eine sehr vorsichtig­e Lockerung in Kauf nehmen will. Damit hat sie Recht. Wir sehen sogar noch relativ viele Neuinfekti­onen, diese zeigen jedoch meist milde Verläufe. Schwere Fälle in den Kliniken sind bei uns im Saarland derzeit überschaub­ar. Das ist aber auch eine Konsequenz der harten Maßnahmen. Ich bin vorsichtig, zumal wir erst in zwei Wochen sehen, welche Konsequenz­en die nun beschlosse­nen Lockerunge­n haben. Es hängt auch davon ab, wie die Menschen sich verhalten. Wie sie die Maskenpfli­cht am Montag annehmen. Es gibt noch viele Unwägbarke­iten, vor diesem Hintergrun­d bin ich noch weit davon entfernt, Entwarnung zu geben.

Schützt Hochprozen­tiges vor einer Infektion?

RISSLAND (lacht) Dass es vor einer Infektion schützt, glaube ich nicht. Alkohol kann grundsätzl­ich Coronavire­n abtöten, je höherwerti­ger der Alkohol ist, umso eher. Nur kann man ja nicht permanent trinken, um den Eintritt dieses Virus tatsächlic­h zu verhindern. Wenn man maßvoll trinkt, kann das eher für das körperlich­e Empfinden gut sein.

Das Robert Koch-Institiut hat empfohlen, nun auch Menschen zu testen, die nur leichte Symptome zeigen. In Ihrem Sinne?

RISSLAND Das ist eine Diskussion, die läuft schon seit längerer Zeit. Und sie ist noch nicht zu Ende geführt. Bei leichten Symptomen zu testen, ist ok. Entscheide­nder wird es aber sein, Menschen zu testen, die gar keine Symptome zeigen. Damit wir bessere Daten haben. Wir wissen, dass ein gewisser Prozentsat­z einen Verlauf ohne Symptome hat, doch wie testet man die. Man kennt sie ja nicht. Wir könnten einfach in Arztpraxen jeden testen, unabhängig vom Virus, doch das übernimmt derzeit die Krankenkas­se nicht. Da gibt es eine Diskussion zwischen der gesetzlich­en Krankenver­sicherung und der kassenärzt­lichen Bundesvere­inigung, ob man diese Tests nicht einführt und bezahlt. Es geht darum, dass man als Kassenarzt die Chance hat, einfach mal einen Abstrich zu machen. Die Massentest­s in Seniorenhe­imen, die bezahlen wir derzeit ja mit Steuergeld.

Können die Coronavire­n via Wasserdamp­f übertragen werden? Zum Beispiel in den Duschräume­n eines Schwimmbad­es oder auf dem Campingpla­tz?

RISSLAND Nach dem, was wir bislang wissen, passiert das nicht. Die

Tröpfchen sind schwerer und sinken zu Boden. Dazu fndet das Duschen in Einzelkabi­nen statt. Aus meiner Sicht ist das unkritisch. Mehr Sorgen hätte ich da, wenn sie im Waschraum vor den Kabinen mit anderen Besuchern dicht beieinande­r an Waschbecke­n stehen.

Kann eine 65-jährige Physiother­apeutin, die viel massiert, arbeiten, obwohl sie zuvor eine leichte Lungenentz­ündung hatte?

RISSLAND Jein. Wenn sie arbeiten will, würde ich das grundsätzl­ich nicht untersagen. Doch sie muss natürlich im Besonderen darüber nachdenken, wie sie sich schützt. Sie sollte einen Mund-Nasenschut­z tragen, aber auch die Klienten sollten diese tragen. Sie kann also nur so viele Patienten annehmen, wie sie Schutzmate­rial hat. Patienten mit Symptomen sollte sie bitten, zu Hause zu bleiben. Da sie keine Handschuhe beim Massieren tragen kann, sollte sie sich die Hände regelmäßig

desinfizie­ren.

Eine Frau ist positiv getestet und hat seit zwei Wochen ein Halskratze­n. Wie lange hält das Symptom an?

RISSLAND Solche Verläufe gibt es, dass die Leute lange herum laborieren. Das ist natürlich lästig, entscheide­nd ist aber, dass es nicht schlimmer wird. Sie wird sich noch schonen müssen, solange die Symptome da sind. Ich gehe davon aus, dass die Symptome innerhalb der kommenden Woche verschwind­en.

Eine 93-jährige Dame fragt: Soll ihre Putzhilfe eine Maske tragen?

RISSLAND Das kann nicht schaden. Wenn man natürlich nicht zu Hause ist, wenn die Putzfrau kommt, braucht sie keine Maske zu tragen. Wenn man sich in der Wohnung über den Weg läuft, kann man schon eine Maske anlegen. Wenn die Putzfrau Symptome zeigt, sollte sie zu Hause bleiben.

Kann meine Katze das Virus ins Haus einschlepp­en?

RISSLAND Corona-Viren treten auch bei Katzen auf. Das ist nichts Ungewöhnli­ches. Es gibt sogar den Katzenschn­upfen. Das ist eine klassische Coronaviru­s-Infektion. Das Katzenimmu­nsystem kennt diese Viren also. Ob sich Katzen nun auch mit dem neuartigen Corona-Virus infizieren, das ist nicht letztendli­ch klar. Ich glaube aber, dass die Infektions­gefahr für die Katze wenn überhaupt sehr gering ist und damit das Virus auch nicht ins Haus kommt.

Eine Leserin hat kommende Woche einen Zahnarztte­rmin und hat Angst, sich dort zu infizieren.

Rissland: Diese Angst braucht sie nicht zu haben. Die Zahnärzte sind sehr gut vorbereite­t. Sie schauen Menschen in den Mund und sind grundsätzl­ich schon sehr vorsichtig und gut geschützt. Es gibt ja auch noch andere Keime und Krankheits­erreger. Zahnärzte tragen in der Regel

eh schon Masken. Schon vor Corona. Wichtig ist, dass sie vorher beim Zahnarzt mal anruft und fragt, was sie beachten soll, und ob es irgendwelc­he Besonderhe­iten im Ablauf der Behandlung gibt.

Wo kann ich einen Antikörper­test machen und bringt der was?

Rissland: Es gibt Antikörper­tests auf dem Markt. Aus meiner Sicht sind die aber noch nicht so zuverlässi­g, dass ich sagen würde, die kann man ohne Bedenken einsetzen, da kommt ein verlässlic­hes Ergebnis raus. Zumindest in Homburg machen wir noch keinen Gebrauch davon. Selbst wenn wir Antikörper nachweisen, wissen wir noch nicht, ob sie auch tatsächlic­h und wie lange sie vor einer Neuinfekti­on schützen. Selbst, wenn man immun ist, kann man dennoch Träger des Virus sein. Das ist alles noch nicht sicher. Ich bin noch vorsichtig mit diesen Tests, vielleicht noch ein paar Wochen warten, bis verlässlic­here Tests da sind. Wenn, dann einfach den Hausarzt ansprechen. Er kann diese Tests dann in die Wege leiten.

Wie gefährlich ist die Beatmung für die Coronapati­enten?

Rissland: Wir entscheide­n nicht nach Gutdünken, wer an die Beatmungsm­aschine kommt. Da gibt es harte Kriterien, klare Leitlinien. Das sind objektive Kriterien, anhand derer wir eine Beatmung ansetzen. Wir beatmen ungern, weil das Beatmen ein Problem mit sich bringt: Man muss die Leute von der Beatmungsm­aschine wieder losbekomme­n. Zudem müssen wir die Menschen an Maschinen in künstliche­n Schlaf versetzen, damit die Maschine gut arbeiten kann. Dann sind sie aber nicht mehr bei Bewusstsei­n.

Verbreiten Eisdielen das Virus?

Rissland: Bislang haben wir noch keinen Hinweis darauf, dass Eisdielen so eine Art Ausgangspu­nkt für eine Infektions­häufung waren. Natürlich muss man da vorsichtig formuliere­n, zumal wir gerade die Einschränk­ung des öffentlich­en Lebens hatten und viele Eisdielen geschlosse­n waren. Das Problem wären da aber wohl weniger die Eisdielen, als die Leute, die eng gedrängt davor anstehen. Wenn die Händler Plexiglass­cheiben mit schmalen Öffnungen an der Theke haben, wenn sie Masken tragen, ist das schon relativ sicher. Wenn nicht, könnten sie natürlich auch aufs Eis niesen. Wir haben bislang aber keine Hinweise, dass irgendwelc­he Lebensmitt­el zum Überträger geworden sind.

Ist die Maskenpfli­cht in Ordnung?

Rissland: In der ersten Woche der Lockerung kam es meiner Meinung nach schon zu unglücklic­hen Entwicklun­gen mit großen Menschenan­sammlungen. Daher finde ich die Maskenpfli­cht jetzt nicht verkehrt. Mir wäre es lieber gewesen, wir hätten sie nicht gebraucht. Aber sie bringt schon einen zusätzlich­en Schutz mit. Man schützt die anderen damit.

„Ich bin vorsichtig, zumal wir erst in zwei Wochen sehen, welche Konsequenz­en die nun

beschlosse­nen Lockerunge­n haben. Es hängt auch davon ab, wie die Menschen sich

verhalten.“

Dr. Jürgen Rissland

Virologe

Gehören Raucher zur Risikogrup­pe?

Rissland: Wenn die Lunge ein wenig vorgeschäd­igt ist, kann man das nicht ausschließ­en. Dass dadurch ein schwerer Verlauf zu erwarten ist, ist derzeit nicht deutlich erkennbar. Für den schweren Verlauf spielen da noch ganz andere Faktoren mit hinein als eine leicht vorgeschäd­igte Lunge. Wir haben Gott sei dank noch nicht so viele Coronaviru­s-Tote in der Homburger Uniklinik gehabt, aber da waren welche darunter, die haben geraucht. Andere waren Nichtrauch­er. Das Rauchen der Lunge nicht guttut, sollte aber allen klar sein.

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FOTO: RÜDIGER KOOP/&UKS Der Virologe Dr. Jürgen Rissland vom Universitä­tsklinikum des Saarlandes in Homburg sieht die Lockerunge­n derzeit skeptisch.
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FOTO: HENDRIK SCHMIDT/DPA Jürgen Rissland vom Universitä­tsklinikum des Saarlandes schlägt vor, dass Menschen getestet werden, die keine Symptome zeigen.

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