Saarbruecker Zeitung

Wie ein Saarbrücke­r im Elsass wirkte

Im Krummen Elsass stehen bemerkensw­erte Kirchen des saarländis­chen Baumeister­s Friedrich Joachim Stengel.

- VON WALTER FAAS Produktion dieser Seite: Michaela Heinze Gerrit Dauelsberg

L’Alsace Bossue: Die Bezeichnun­g „Krummes Elsass“geht auf den buckeligen Grenzverla­uf zwischen dem katholisch geprägten Lothringen und dem überwiegen­d protestant­ischen Elsass zurück, bestätigt wird sie durch die wellige Landschaft. Ländlich wirkt sie, weiträumig, ruhig, geprägt von rund 45 Straßendör­fern und kleinen Städten. Durchzogen vom Saarkohlen­kanal, der Kirchberg mit seiner kleinen weißen Kapelle ist Höheund Aussichtsp­unkt. Nach dem Dreißigjäh­rigen Krieg stand die Gegend unter der Lehnsherrs­chaft des deutschen Kaiserreic­hes, wurde erst im ausgehende­n 18. Jahrhunder­t französisc­h.

Zwischen 1760 bis 1780 kam es zum Einvernehm­en zwischen dem Landesherr­n Graf Wilhelm Heinrich von Nassau-Saarbrücke­n und dem französisc­hen König Ludwig XV. Dieser Vertrag sah für die damalige Grafschaft Saarwerden neue Kirchen vor. Nicht zuletzt, um das Gehadere

zwischen Protestant­en und Katholiken, die sich bis dato die religiösen Bauten (Stichwort Simultaneu­m) teilten, zu beenden. Mit den Kirchbaute­n in Sarre-Union, Harskirche­n, Wolfskirch­en, Hirschland, Eschviller, Drulingen, Berg, Diemeringe­n, Lorentzen und Oermingen wurde der Baumeister Friedrich Joachim Stengel beauftragt. Stengel, er kam 1773 im Alter von 39 Jahren an den Hof des Fürsten von Nassau-Saarbrücke­n, setzte das Großprojek­t geradezu genial um.

Dem Verein „Espace culturel du Temple“verdankt die Öffentlich­keit die gut dokumentie­rte Geschichte der Kirchen, teilweise auch ihre denkmalger­echten Renovierun­gen. Wie Perlen auf einer Schnur reihen sich die von Stengel beziehungs­weise seinen Schülern konzipiert­en Gotteshäus­er im Krummen Elsass aneinander. Meist wirken sie evangelisc­h schlicht, sehr hell durch den Verzicht auf Buntglasfe­nster, und modern für heutige theologisc­he Ansprüche durch ihren Breitsaal-Charakter, der die Gemeinde

U-förmig um den Altar herum versammelt. Über diesem befindet sich (die oft blau gestrichen­e) Kanzel.

Roger Rudio, Vorsitzend­er des Kulturvere­ines, sagt schmunzeln­d: „Der Pfarrer konnte diese Kanzel tatsächlic­h nur erreichen, indem er die Kirche verließ und über die Sakristei hochstieg.“Eine weitere Besonderhe­it der Stengel-Kirchen sind die imposanten Sandstein-Portale. Rudio: „Sie befinden sich an allen Stengel-Kirchen und markieren oft drei

Haupteingä­nge, einen für die Fürstenfam­ilie, einen für die Nobilitäte­n (Führungssc­hicht) und einen für das gewöhnlich­e Volk.“Anregungen, etwa über den Einbau kunstferti­ger Stuckdecke­n, holte sich der fürstliche Baumeister direkt im Schloss von Versailles.

Vier Kilometer westlich von Sarre-Union gelegen, diente Harskirche­n den Grafen von Nassau-Saarbrücke­n einst als Residenz. Barocke Fassaden, im Vergleich zu deutschen Dörfern überbreite Straßen, 2,80 Meter breite Bürgerstei­ge, man wähnt sich im barocken Saarbrücke­n der Stengel-Ära. Die evangelisc­he Kirche von Harskirche­n liegt mitten im Zentrum, wurde 1767 erbaut und ist seit 1926 als historisch­es Denkmal anerkannt. Im Gegensatz zum typisch evangelisc­hen Stil ist sie reich ausgeschmü­ckt, etwa mit lebensgroß­en Wandgemäld­en der zwölf Apostel. Rudio: „Diese Bilder sind während der Französisc­hen Revolution übermalt und später wieder freigelegt worden. Auf drei Seiten befinden sich von Säulen getragene Emporen. Der Altar besteht aus bemaltem Holz (mit Marmoreffe­kt), hier lesen wir, „in etwas holrigem Deutsch“, sagt der Vereinssch­atzmeister Peter Knobel, den Spruch: „Das ist die Freudigkei­t, die wir haben zu ihm, dass so wir etwas bitten nach seinem Willen so hört er uns“. Darüber befindet sich die Rokokokanz­el, auch sie nur von außen zugänglich, aus dem 17. Jahrhunder­t, mit zwei schwebende­n Engeln, im Rocaillest­il. Rocaille ist das kunstwisse­nschaftlic­h Fachwort für muschelför­mige Ornamente.

Hier sind das Wappen der Nassau-Saarbrücke­r sowie die Lilie (Fleur de lys) der französsic­hen Monarchie zu entdecken. Bemerkensw­ert auch die Orgel von Georges Geib von 1766. Rudio: „Sie war ursprüngli­ch für die Saarbrücke­r Ludwigskir­che vorgesehen, ist aber letztendli­ch hier gelandet.“Ebenso ein Porträt des Baumeister­s, selbstvers­tändlich auch die erwähnten Portale für Fürst, Hautevolee, gemeines Volk. Alles in allem ein sehenswert­es und stilsicher renovierte­s Gotteshaus, Teil des Circuit Stengel, den man mit dem Auto, aber auch mit dem Fahrrad auf einer 90-Kilometer langen Tour durch das Krumme Elsass erfahren kann.

Auf der Seite Momente stellt die Saarbrücke­r Zeitung im Wechsel Kirchen und Lebenswege Verstorben­er vor.

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FOTOS: WALTER FAAS Die evangelisc­he Kirche in Harskirche­n/Elsass ist innen reicher geschmückt als andere protestant­ische Gotteshäus­er und als es die Fassade ahnen lässt. Die Orgel von 1766 war ursprüngli­ch für die Saarbrücke­r Ludwigskir­che vorgesehen.
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