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Immer mehr junge Menschen an den saarländischen Hochschulen fragen sich in der Krise, ob sie ihr Studium noch beenden können.
Der Mythos vom lockeren Studentenleben ist schon lange Geschichte. Schließlich ist es kein Geheimnis, dass ein Großteil der Studierenden nebenher arbeiten muss, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Kellnern im Café, bedienen in der Kneipe, Aushilfe im Einzelhandel: all das sind typische Studentenjobs. Und gerade die sind im Zuge der Corona-Krise fast ausnahmslos weggebrochen. Für die Studierenden, die meist keine finanziellen Reserven haben, kann dieser Einnahmeausfall die Existenz bedrohen. Nicht jeder hat Anspruch auf Bafög oder Eltern, die finanziell aushelfen können. Viele fallen gerade durchs Raster.
So wie Sarah Scholz. Die 32-Jährige studiert freie Kunst an der Hochschule der bildenden Künste (HBK) Saar. Es ist ihr zweites Studium. Und hätte sie nicht bereits in ihrem ersten Studium Bafög erhalten, hätte sie jetzt aufgrund ihres Alters ohnehin keinen Anspruch mehr darauf. Gleichzeitig zahlen Studierende ab dem 30. Lebensjahr den vollen Krankenkassenbeitrag. Scholz ist gegenüber ihren Kommilitonen finanziell also gleich doppelt benachteiligt. Hinzu kommen Kosten für Miete und den Lebensunterhalt. Für gewöhnlich ist das kein Problem, sie ist es gewohnt nebenher zu arbeiten. Als Tochter einer verwitweten Altenpflegerin sei das bei ihr „immer so gewesen“, wie sie sagt. Doch dann kam Corona. Zwei Wochen hat die große Einzelhandelskette, bei der Scholz als Aushilfe arbeitet, ihren Lohn noch fortgezahlt. Dann war Schluss. Während Festangestellte und Werkstudenten Kurzarbeitergeld erhalten, geht Scholz als 450-Euro-Kraft leer aus. Das Ende dieser Einbußen ist nicht absehbar. Bisher plant die Kette nur einige Geschäfte in Deutschland testweise zu öffnen – Saarbrücken ist nicht darunter.
Die Einkünfte aus ihrem zweiten Nebenjob sind gerade „ihre Rettung“, wie Scholz sagt. Allerdings: „Ich würde ja keinen zweiten Job machen, wenn ich das Geld nicht bräuchte“, betont Scholz. Auch der überraschende Verkauf eines ihrer Bilder habe ihr ein wenig aus der Klemme geholfen. „Aber was ist mit denen, die nicht mal gerade eben ein Bild verkaufen können?“, fragt sie. Über einen Corona-Hilfsfond, den der Asta der HBK aus eigenen Geldern bereitgestellt hat, konnte sie zudem 200 Euro beziehen. Mit Widerwillen. Sie findet es ärgerlich, dass der Asta 300 Studierende „aus der eigenen Kasse versorgen muss“. Die Gelder würden schließlich auch an anderer Stelle dringend gebraucht.
„Ich wollte nicht mal zugreifen“, sagt sie. Doch die aktuelle finanzielle Lage habe ihr leider keine Wahl gelassen. Auch die zinslosen Kredite, wie sie von Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) anstelle der Bafög-Öffnung für alle Studierenden geplant sind, kritisiert Sarah Scholz scharf. „Warum soll man da schon wieder
Schulden anhäufen?“, fragt sie. Stattdessen plädiert Scholz für ein bedingungsloses Grundeinkommen.
Sabrina Wiehn teilt dieses Urteil. „Zinslose Kredite klingen vielleicht nach Hilfe, aber im Endeffekt häuft man rechtlich gesehen Schulden an“, betont sie. Ihr Fall zeigt, dass man auch ohne die vergleichsweise ungewöhnlichen Umstände wie bei Sarah Scholz, als Studierende schnell in eine finanziell prekäre
Lage rutschen kann. Sabrina Wiehn studiert Betriebswirtschaftslehre an der Saar-Universität. Einen Bafög-Anspruch hatte sie nie. „Zu gut“würden die Eltern verdienen. „Zu gut“setzt Wiehn dabei in Anführungszeichen. „Wir sind nicht reich“, sagt die 25-Jährige. Nach Geld zu fragen, habe ihr immer ein schlechtes Gewissen bereitet, sagt sie. Lieber sehe sie es, wenn ihre Eltern noch einmal im Jahr in Urlaub fahren könnten. Statt nach Unterstützung zu fragen, hat sie also gearbeitet, zuletzt im Club „Mauerpfeiffer“und in der Kneipe „Kurzes Eck“in Saarbrücken. Auch für diese Läden bedeutet die Corona-Krise der finanzielle Ruin. Eine Lohnfortzahlung für die Aushilfen ist dort unmöglich. Wegen ihrer Jobs habe sie doppelt so lange für den Bachelor gebraucht wie gewöhnlich, erzählt Wiehn. In den vergangenen Monaten habe sie sich für ihre Abschlussarbeit allerdings etwas zurückgezogen, weniger gearbeitet, von ihrem Ersparten gelebt. Ab März wollte sie ihre Kasse wieder füllen. „Die Gastro in Saarbrücken bietet ja auch immer eine gewisse Sicherheit“, sagt Wiehn, „man kennt jeden und es gibt immer etwas zu tun“. Wegen Corona ist das jetzt erst einmal Geschichte.
Den ersten Schock hat Sabrina Wiehn aber verdaut. „Aktuell bin ich aus meinem Loch schon wieder etwas raus“, erzählt sie. Sie sei über ihren Schatten gesprungen, habe ihre Eltern um Geld gebeten. Zudem hofft sie, im Corona-Hilfsfonds der Saar-Universität berücksichtigt zu werden und eine Einmal-Zahlung von 300 Euro zu erhalten. Aber auch das sei nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Weil ein baldiges Ende der Corona-Krise nicht in Sicht ist, will Sabrina Wiehn sich jetzt weiter auf dem Arbeitsmarkt umsehen. Und sie hofft auf Unterstützung aus der Politik: präzise auf ein Corona-Rettungspaket für Studierende.
„Warum soll man da schon wieder Schulden
anhäufen?“
Sarah Scholz
Studentin an der HBK Saar