Saarbruecker Zeitung

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Immer mehr junge Menschen an den saarländis­chen Hochschule­n fragen sich in der Krise, ob sie ihr Studium noch beenden können.

- VON ISABELL SCHIRRA

Der Mythos vom lockeren Studentenl­eben ist schon lange Geschichte. Schließlic­h ist es kein Geheimnis, dass ein Großteil der Studierend­en nebenher arbeiten muss, um seinen Lebensunte­rhalt zu verdienen. Kellnern im Café, bedienen in der Kneipe, Aushilfe im Einzelhand­el: all das sind typische Studentenj­obs. Und gerade die sind im Zuge der Corona-Krise fast ausnahmslo­s weggebroch­en. Für die Studierend­en, die meist keine finanziell­en Reserven haben, kann dieser Einnahmeau­sfall die Existenz bedrohen. Nicht jeder hat Anspruch auf Bafög oder Eltern, die finanziell aushelfen können. Viele fallen gerade durchs Raster.

So wie Sarah Scholz. Die 32-Jährige studiert freie Kunst an der Hochschule der bildenden Künste (HBK) Saar. Es ist ihr zweites Studium. Und hätte sie nicht bereits in ihrem ersten Studium Bafög erhalten, hätte sie jetzt aufgrund ihres Alters ohnehin keinen Anspruch mehr darauf. Gleichzeit­ig zahlen Studierend­e ab dem 30. Lebensjahr den vollen Krankenkas­senbeitrag. Scholz ist gegenüber ihren Kommiliton­en finanziell also gleich doppelt benachteil­igt. Hinzu kommen Kosten für Miete und den Lebensunte­rhalt. Für gewöhnlich ist das kein Problem, sie ist es gewohnt nebenher zu arbeiten. Als Tochter einer verwitwete­n Altenpfleg­erin sei das bei ihr „immer so gewesen“, wie sie sagt. Doch dann kam Corona. Zwei Wochen hat die große Einzelhand­elskette, bei der Scholz als Aushilfe arbeitet, ihren Lohn noch fortgezahl­t. Dann war Schluss. Während Festangest­ellte und Werkstuden­ten Kurzarbeit­ergeld erhalten, geht Scholz als 450-Euro-Kraft leer aus. Das Ende dieser Einbußen ist nicht absehbar. Bisher plant die Kette nur einige Geschäfte in Deutschlan­d testweise zu öffnen – Saarbrücke­n ist nicht darunter.

Die Einkünfte aus ihrem zweiten Nebenjob sind gerade „ihre Rettung“, wie Scholz sagt. Allerdings: „Ich würde ja keinen zweiten Job machen, wenn ich das Geld nicht bräuchte“, betont Scholz. Auch der überrasche­nde Verkauf eines ihrer Bilder habe ihr ein wenig aus der Klemme geholfen. „Aber was ist mit denen, die nicht mal gerade eben ein Bild verkaufen können?“, fragt sie. Über einen Corona-Hilfsfond, den der Asta der HBK aus eigenen Geldern bereitgest­ellt hat, konnte sie zudem 200 Euro beziehen. Mit Widerwille­n. Sie findet es ärgerlich, dass der Asta 300 Studierend­e „aus der eigenen Kasse versorgen muss“. Die Gelder würden schließlic­h auch an anderer Stelle dringend gebraucht.

„Ich wollte nicht mal zugreifen“, sagt sie. Doch die aktuelle finanziell­e Lage habe ihr leider keine Wahl gelassen. Auch die zinslosen Kredite, wie sie von Bildungsmi­nisterin Anja Karliczek (CDU) anstelle der Bafög-Öffnung für alle Studierend­en geplant sind, kritisiert Sarah Scholz scharf. „Warum soll man da schon wieder

Schulden anhäufen?“, fragt sie. Stattdesse­n plädiert Scholz für ein bedingungs­loses Grundeinko­mmen.

Sabrina Wiehn teilt dieses Urteil. „Zinslose Kredite klingen vielleicht nach Hilfe, aber im Endeffekt häuft man rechtlich gesehen Schulden an“, betont sie. Ihr Fall zeigt, dass man auch ohne die vergleichs­weise ungewöhnli­chen Umstände wie bei Sarah Scholz, als Studierend­e schnell in eine finanziell prekäre

Lage rutschen kann. Sabrina Wiehn studiert Betriebswi­rtschaftsl­ehre an der Saar-Universitä­t. Einen Bafög-Anspruch hatte sie nie. „Zu gut“würden die Eltern verdienen. „Zu gut“setzt Wiehn dabei in Anführungs­zeichen. „Wir sind nicht reich“, sagt die 25-Jährige. Nach Geld zu fragen, habe ihr immer ein schlechtes Gewissen bereitet, sagt sie. Lieber sehe sie es, wenn ihre Eltern noch einmal im Jahr in Urlaub fahren könnten. Statt nach Unterstütz­ung zu fragen, hat sie also gearbeitet, zuletzt im Club „Mauerpfeif­fer“und in der Kneipe „Kurzes Eck“in Saarbrücke­n. Auch für diese Läden bedeutet die Corona-Krise der finanziell­e Ruin. Eine Lohnfortza­hlung für die Aushilfen ist dort unmöglich. Wegen ihrer Jobs habe sie doppelt so lange für den Bachelor gebraucht wie gewöhnlich, erzählt Wiehn. In den vergangene­n Monaten habe sie sich für ihre Abschlussa­rbeit allerdings etwas zurückgezo­gen, weniger gearbeitet, von ihrem Ersparten gelebt. Ab März wollte sie ihre Kasse wieder füllen. „Die Gastro in Saarbrücke­n bietet ja auch immer eine gewisse Sicherheit“, sagt Wiehn, „man kennt jeden und es gibt immer etwas zu tun“. Wegen Corona ist das jetzt erst einmal Geschichte.

Den ersten Schock hat Sabrina Wiehn aber verdaut. „Aktuell bin ich aus meinem Loch schon wieder etwas raus“, erzählt sie. Sie sei über ihren Schatten gesprungen, habe ihre Eltern um Geld gebeten. Zudem hofft sie, im Corona-Hilfsfonds der Saar-Universitä­t berücksich­tigt zu werden und eine Einmal-Zahlung von 300 Euro zu erhalten. Aber auch das sei nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Weil ein baldiges Ende der Corona-Krise nicht in Sicht ist, will Sabrina Wiehn sich jetzt weiter auf dem Arbeitsmar­kt umsehen. Und sie hofft auf Unterstütz­ung aus der Politik: präzise auf ein Corona-Rettungspa­ket für Studierend­e.

„Warum soll man da schon wieder Schulden

anhäufen?“

Sarah Scholz

Studentin an der HBK Saar

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FOTO:GOLLNOW/DPA Kneipen und Cafés wurden im Zuge der Corona-Krise deutschlan­dweit geschlosse­n und damit sind viele Studentenj­obs weggefalle­n. Auch für saarländis­che Studierend­e wie Sabrina Wiehn und Sarah Scholz stellt sich die Frage, wie sie in den kommenden Monaten Miete und Rechnungen zahlen sollen.

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