Wichtiger Durchbruch im Kampf gegen Corona
Ein neues Verfahren an der Homburger Uniklinik soll eine Verzehnfachung der Testkapazitäten ermöglichen.
In wenigen Tagen werden wir wissen, wie es um die Zahl der Corona-Patienten in saarländischen Alten- und Pflegeheimen bestellt ist. Dann werden die Ergebnisse der ersten Corona-Reihentests aus den 131 Einrichtungen vorliegen, die im Augenblick an der Homburger Uniklinik ausgewertet werden. Insgesamt 21 212 Menschen – zur Hälfte Personal und Bewohner der Heime – werden dafür untersucht. Die Zwischenergebnisse sind erfreulich, verrät Professor Dr. Sigrun Smola. Bis Dienstagnachmittag sei bei den Analysen kein neuer Corona-Fall bekanntgeworden, berichtet die Direktorin des Homburger Instituts für Virologie an der Universität des Saarlandes.
Die Saar-Uni arbeitet bei diesem SaarCoScreen genannten Projekt mit dem Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Forschung (IBMT) in St. Ingbert, dem Saarbrücker Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung und dem Landesamt für Verbraucherschutz zusammen. Doch selbst im Verbund wären diese vier Partner eigentlich nicht in der Lage, mehr als 21 000 Nasen- und Rachenabstriche binnen weniger Tage zu untersuchen. Wie schaffen sie es trotzdem? Das ist seit heute im wissenschaftlichen Fachmagazin „The Lancet Infectious Diseases“nachzulesen. SaarCoScreen setzt auf ein neues, am Institut für Virologie der Saar-Universität entwickeltes Analyseverfahren, das bereits vor seiner Veröffentlichung für Aufmerksamkeit in der Fachwelt gesorgt hat. Es kann die Kapazität eines Corona-Labors auf einen Schlag mehr als verzehnfachen. „Wir erhalten ständig Anfragen von Kliniken aus Deutschland und dem Ausland“, erklärt die Homburger Wissenschaftlerin, bei der derzeit das Telefon im Fünf-Minuten-Takt klingelt.
Der Grund für das große Interesse der Medizinerwelt am Testverfahren der Saar-Universität liegt auf der Hand. Vater Staat wird nur dann den Bleifuß von der Bremse des öffentlichen Lebens nehmen, wenn es ein leistungsfähiges und zuverlässiges Diagnoseverfahren gibt, das es erlaubt, Corona-Patienten möglichst vor Ausbruch der Krankheit zu erkennen, um so jeden neuen Infektionsherd im Keim ersticken zu können. Und das ist mit den heutigen diagnostischen Mitteln nicht zu machen. Eine einzige Zahl zeigt, warum das so ist: Knapp 820 000 Corona-Tests pro Tag können nach Angaben des Berliner Robert-Koch-Instituts die großen Labors in Deutschland bewältigen. Jeden Menschen im Land zu untersuchen, würde folglich drei Monate dauern. Auch wenn kein Pandemie-Szenario ein solches Programm vorsieht, zeigt die Zahl doch, dass die Diagnosekapazität massiv erhöht werden muss, um auch nur die Risikogruppen zu untersuchen. Denn diese Tests müssen regelmäßig wiederholt werden.
SaarCoScreen wirkt wie ein Verstärker für die Analysegeräte der Diagnoselabors. Das Verfahren nutzt einen Kunstgriff, der von Blutspendetests bekannt ist: Die Wissenschaftler nennen es Pooling. Beim Poolverfahren werden mehrere Proben in ein Reagenzglas gegeben und gemeinsam untersucht. Für die Diagnose der Nasen- und Rachenabstriche bei Corona-Tests wird das sogenannte PCR-Verfahren
verwendet (siehe Info), welches das Erbgut der Coronaviren in einer Probe gezielt vermehrt. So kann eine verschwindend geringe Virusmenge selbst in sehr großer Verdünnung nachgewiesen werden. Die Methode sei so empfindlich, dass ein Pool bis zu 30 Proben zusammenfassen könnte. „Wir gehen aber auf Nummer Sicher und beschränken uns auf 20 Proben“, sagt Sigrun Smola.
Ist eine Pool-Probe negativ getestet, ist das für 20 Personen auf einen Schlag eine gute Nachricht. Wird in einer Sammelprobe Virus-Erbgut gefunden, müssen die Einzelproben, aus denen der Pool zusammengesetzt ist, weiter untersucht werden. Doch auch dieser Aufwand lässt sich trickreich weiter vermindern, indem ein 20er-Pool wiederum aus vier Fünfer-Pools zusammengesetzt wird. Und mit einer Portion medizinischer Erfahrung und gesunden Menschenverstands lasse sich der weitere Aufwand weiter reduzieren, sagt Sigrun Smola: „Wir untersuchen alle Seniorenheime getrennt und niemals die Proben von Personal und Heimbewohnern gemeinsam.“In jedem Fall werden alle Personen mit Covid-19-Symptomen im Einzelverfahren getestet.
Die Corona-Krise hat nicht nur das Leben von Millionen Menschen gründlich durcheinandergebracht, auch in der Welt der Wissenschaft ist einiges durcheinandergeraten. Der Trend, Resultate der Forschung öffentlich herauszuposaunen, noch bevor sie im üblichen Gutachterverfahren von unabhängigen Wissenschaftlern überprüft worden sind, geht Sigrun Smola gegen den Strich. „So arbeiten wir nicht.“Deshalb sind seit dem 13. März, als das Homburger Corona-Team mit seiner Studie begann, sechs Wochen bis zu Veröffentlichung der Ergebnisse verstrichen. „Andere mögen das langsam nennen, wir nennen es gründlich“, sagt die Virologin.
Wie wichtig die Früherkennung einer Corona-Infektion ist, zeigen jüngste Erkenntnisse aus der Statistik: „44 Prozent aller Corona-Infektionen gehen von Personen aus, die selbst infiziert sind, aber nichts davon wissen“, sagt Sigrun Smola. Das sei typisch für viele Virus-Erkrankungen. Die Menge der Erreger, die ein Patient bei jedem Atemzug in seine Umgebung sprüht, ist ausgerechnet in den 16 Stunden vor
SaarCoScreen wirkt wie ein Verstärker für die Analysegeräte der Diagnoselabors.
den ersten Anzeichen der Krankheit am höchsten. In dem Augenblick, in dem das Fieber einsetzt, hat das Immunsystem den Kampf gegen das Virus aufgenommen, und die sogenannte Viruslast sinkt. Deshalb müssen Patienten, die den neuen Erreger in sich tragen, aber keine Symptome spüren, so früh wie möglich identifiziert werden.
Bis ein Impfstoff gegen das neue Coronavirus verfügbar ist, kann es noch Monate dauern. Und selbst wenn er fertig entwickelt ist, wird es lange Zeit dauern, bis genügend Menschen gegen den Erreger immunisiert sind. „Nur mit einem umfassenden Testprogramm können wir bis dahin die Krankheit von den besonders gefährdeten Menschen
fernhalten“, ist Sigrun Smola überzeugt.
Ende der kommenden Woche rechnet die Homburger Wissenschaftlerin mit den vollständigen Testergebnissen von SaarCoScreen. „Und wir hoffen natürlich, dass wir auch bis dahin keinen weiteren Corona-Fall im Saarland finden“, sagt Smola.