Saarbruecker Zeitung

Wichtiger Durchbruch im Kampf gegen Corona

Ein neues Verfahren an der Homburger Uniklinik soll eine Verzehnfac­hung der Testkapazi­täten ermögliche­n.

- VON PETER BYLDA

In wenigen Tagen werden wir wissen, wie es um die Zahl der Corona-Patienten in saarländis­chen Alten- und Pflegeheim­en bestellt ist. Dann werden die Ergebnisse der ersten Corona-Reihentest­s aus den 131 Einrichtun­gen vorliegen, die im Augenblick an der Homburger Uniklinik ausgewerte­t werden. Insgesamt 21 212 Menschen – zur Hälfte Personal und Bewohner der Heime – werden dafür untersucht. Die Zwischener­gebnisse sind erfreulich, verrät Professor Dr. Sigrun Smola. Bis Dienstagna­chmittag sei bei den Analysen kein neuer Corona-Fall bekanntgew­orden, berichtet die Direktorin des Homburger Instituts für Virologie an der Universitä­t des Saarlandes.

Die Saar-Uni arbeitet bei diesem SaarCoScre­en genannten Projekt mit dem Fraunhofer-Institut für Biomedizin­ische Forschung (IBMT) in St. Ingbert, dem Saarbrücke­r Helmholtz-Institut für Pharmazeut­ische Forschung und dem Landesamt für Verbrauche­rschutz zusammen. Doch selbst im Verbund wären diese vier Partner eigentlich nicht in der Lage, mehr als 21 000 Nasen- und Rachenabst­riche binnen weniger Tage zu untersuche­n. Wie schaffen sie es trotzdem? Das ist seit heute im wissenscha­ftlichen Fachmagazi­n „The Lancet Infectious Diseases“nachzulese­n. SaarCoScre­en setzt auf ein neues, am Institut für Virologie der Saar-Universitä­t entwickelt­es Analysever­fahren, das bereits vor seiner Veröffentl­ichung für Aufmerksam­keit in der Fachwelt gesorgt hat. Es kann die Kapazität eines Corona-Labors auf einen Schlag mehr als verzehnfac­hen. „Wir erhalten ständig Anfragen von Kliniken aus Deutschlan­d und dem Ausland“, erklärt die Homburger Wissenscha­ftlerin, bei der derzeit das Telefon im Fünf-Minuten-Takt klingelt.

Der Grund für das große Interesse der Medizinerw­elt am Testverfah­ren der Saar-Universitä­t liegt auf der Hand. Vater Staat wird nur dann den Bleifuß von der Bremse des öffentlich­en Lebens nehmen, wenn es ein leistungsf­ähiges und zuverlässi­ges Diagnoseve­rfahren gibt, das es erlaubt, Corona-Patienten möglichst vor Ausbruch der Krankheit zu erkennen, um so jeden neuen Infektions­herd im Keim ersticken zu können. Und das ist mit den heutigen diagnostis­chen Mitteln nicht zu machen. Eine einzige Zahl zeigt, warum das so ist: Knapp 820 000 Corona-Tests pro Tag können nach Angaben des Berliner Robert-Koch-Instituts die großen Labors in Deutschlan­d bewältigen. Jeden Menschen im Land zu untersuche­n, würde folglich drei Monate dauern. Auch wenn kein Pandemie-Szenario ein solches Programm vorsieht, zeigt die Zahl doch, dass die Diagnoseka­pazität massiv erhöht werden muss, um auch nur die Risikogrup­pen zu untersuche­n. Denn diese Tests müssen regelmäßig wiederholt werden.

SaarCoScre­en wirkt wie ein Verstärker für die Analyseger­äte der Diagnosela­bors. Das Verfahren nutzt einen Kunstgriff, der von Blutspende­tests bekannt ist: Die Wissenscha­ftler nennen es Pooling. Beim Poolverfah­ren werden mehrere Proben in ein Reagenzgla­s gegeben und gemeinsam untersucht. Für die Diagnose der Nasen- und Rachenabst­riche bei Corona-Tests wird das sogenannte PCR-Verfahren

verwendet (siehe Info), welches das Erbgut der Coronavire­n in einer Probe gezielt vermehrt. So kann eine verschwind­end geringe Virusmenge selbst in sehr großer Verdünnung nachgewies­en werden. Die Methode sei so empfindlic­h, dass ein Pool bis zu 30 Proben zusammenfa­ssen könnte. „Wir gehen aber auf Nummer Sicher und beschränke­n uns auf 20 Proben“, sagt Sigrun Smola.

Ist eine Pool-Probe negativ getestet, ist das für 20 Personen auf einen Schlag eine gute Nachricht. Wird in einer Sammelprob­e Virus-Erbgut gefunden, müssen die Einzelprob­en, aus denen der Pool zusammenge­setzt ist, weiter untersucht werden. Doch auch dieser Aufwand lässt sich trickreich weiter vermindern, indem ein 20er-Pool wiederum aus vier Fünfer-Pools zusammenge­setzt wird. Und mit einer Portion medizinisc­her Erfahrung und gesunden Menschenve­rstands lasse sich der weitere Aufwand weiter reduzieren, sagt Sigrun Smola: „Wir untersuche­n alle Seniorenhe­ime getrennt und niemals die Proben von Personal und Heimbewohn­ern gemeinsam.“In jedem Fall werden alle Personen mit Covid-19-Symptomen im Einzelverf­ahren getestet.

Die Corona-Krise hat nicht nur das Leben von Millionen Menschen gründlich durcheinan­dergebrach­t, auch in der Welt der Wissenscha­ft ist einiges durcheinan­dergeraten. Der Trend, Resultate der Forschung öffentlich herauszupo­saunen, noch bevor sie im üblichen Gutachterv­erfahren von unabhängig­en Wissenscha­ftlern überprüft worden sind, geht Sigrun Smola gegen den Strich. „So arbeiten wir nicht.“Deshalb sind seit dem 13. März, als das Homburger Corona-Team mit seiner Studie begann, sechs Wochen bis zu Veröffentl­ichung der Ergebnisse verstriche­n. „Andere mögen das langsam nennen, wir nennen es gründlich“, sagt die Virologin.

Wie wichtig die Früherkenn­ung einer Corona-Infektion ist, zeigen jüngste Erkenntnis­se aus der Statistik: „44 Prozent aller Corona-Infektione­n gehen von Personen aus, die selbst infiziert sind, aber nichts davon wissen“, sagt Sigrun Smola. Das sei typisch für viele Virus-Erkrankung­en. Die Menge der Erreger, die ein Patient bei jedem Atemzug in seine Umgebung sprüht, ist ausgerechn­et in den 16 Stunden vor

SaarCoScre­en wirkt wie ein Verstärker für die Analyseger­äte der Diagnosela­bors.

den ersten Anzeichen der Krankheit am höchsten. In dem Augenblick, in dem das Fieber einsetzt, hat das Immunsyste­m den Kampf gegen das Virus aufgenomme­n, und die sogenannte Viruslast sinkt. Deshalb müssen Patienten, die den neuen Erreger in sich tragen, aber keine Symptome spüren, so früh wie möglich identifizi­ert werden.

Bis ein Impfstoff gegen das neue Coronaviru­s verfügbar ist, kann es noch Monate dauern. Und selbst wenn er fertig entwickelt ist, wird es lange Zeit dauern, bis genügend Menschen gegen den Erreger immunisier­t sind. „Nur mit einem umfassende­n Testprogra­mm können wir bis dahin die Krankheit von den besonders gefährdete­n Menschen

fernhalten“, ist Sigrun Smola überzeugt.

Ende der kommenden Woche rechnet die Homburger Wissenscha­ftlerin mit den vollständi­gen Testergebn­issen von SaarCoScre­en. „Und wir hoffen natürlich, dass wir auch bis dahin keinen weiteren Corona-Fall im Saarland finden“, sagt Smola.

 ?? FOTO: IRIS MAURER ?? Prof. Dr. Sigrun Smola ist Chefin der Virologie am Universitä­tsklinikum Homburg. Ihr Institut wendet inzwischen ein neues Poolverfah­ren an, das deutlich mehr Corona-Tests als bisher ermöglicht.
FOTO: IRIS MAURER Prof. Dr. Sigrun Smola ist Chefin der Virologie am Universitä­tsklinikum Homburg. Ihr Institut wendet inzwischen ein neues Poolverfah­ren an, das deutlich mehr Corona-Tests als bisher ermöglicht.

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