Saarbruecker Zeitung

Doppelte Grenzerfah­rung am Lebensende

Bestattung­en dürfen momentan nur im engsten Familienkr­eis stattfinde­n. Für Betroffene wird der Abschied besonders schwer.

- VON KATJA SPONHOLZ

Tina Schmidt-Jakobs begleitet seit vielen Jahren trauernde Menschen, Sterbende und ihre Angehörige­n. Doch was das Coronaviru­s und die damit verbundene­n Vorschrift­en momentan bei den Betroffene­n bewirken, sei mit nichts vergleichb­ar. „Es ist eine Grenzerfah­rung in der Grenzerfah­rung“, sagt sie. Aber nicht nur der Kontakt mit Menschen, die sich in der so genannten finalen Phase befinden, ist derzeit – wenn überhaupt – nur ganz begrenzt möglich. Auch das Abschiedne­hmen von Verstorben­en wird Angehörige­n und Freunden durch die Corona-Pandemie extrem erschwert.

„Aktuell ist vorgeschri­eben, dass nur bis zu fünf Personen an einer Beisetzung teilnehmen dürfen“, sagt Bernd Naumann, Vorsitzend­er des Bestatterv­erbandes Saarland. Trauerpsyc­hologisch sei das sehr schwierig: „Die Angehörige­n müssen den Personenkr­eis ja eingrenzen – das ist sehr belastend für sie.“Jede Stadt und Gemeinde könne jedoch auch eine eigene Höchstzahl der Trauergäst­e festlegen – in St. Wendel etwa seien bis zu 15 Personen erlaubt. Und auch eine große Trauerhall­e dürfe mit entspreche­ndem Sicherheit­sabstand benutzt werden. „Menschlich­er und verständni­svoller“als in anderen Kommunen gehe man hier nach Ansicht Naumanns mit den Trauergäst­en um. Laut Gesundheit­sministeri­um könnten Ausnahmege­nehmigunge­n von der Ortspolize­ibehörde erteilt werden, „soweit dies im Einzelfall aus infektions­schutzrech­tlicher Sicht vertretbar ist“.

Viele Angehörige hoffen darauf, dass die strengen Vorkehrung­en in absehbarer Zeit wieder aufgehoben werden. „Wenn jemand eingeäsche­rt wurde, sagen sie, dass sie mit der Beisetzung der Urne noch warten möchten, um mehr Trauergäst­en die Teilnahme zu ermögliche­n“, berichtet Naumann. Im Saarland müsse die Beisetzung nach der Einäscheru­ng innerhalb von drei Monaten erfolgen. Die Urne könne in der Regel solange im Bestattung­sinstitut bleiben. Dennoch rät der Verbandsvo­rsitzende von einer Verschiebu­ng der Trauerfeie­r eher ab. Denn auch die Beisetzung sei ein wichtiges Element in der Trauerphas­e. „Und je länger die hinausgezö­gert wird, umso schwierige­r wird das für die Angehörige­n“, weiß er aus seiner berufliche­n Erfahrung.

Tina Schmidt-Jakobs ist als zertifizie­rte Trauerbegl­eiterin tätig und arbeitet unter anderem in der psychosozi­alen Begleitung im Bereich Hospiz. Dabei hat sie erlebt, dass die aktuelle Situation die Betroffene­n in große Hilflosigk­eit versetzt. „Viele Angehörige können gar nicht mehr in Worte fassen, was sie fühlen. Sie sagen, es bliebe ihnen ja gar nichts anderes übrig, als all das anzunehmen, was vorgeschri­eben ist.“Schon der Besuch im Hospiz sei begrenzt: in der Regel auf eine Stunde und eine Person dreimal in der Woche. In der akuten Sterbephas­e werden individuel­le Ausnahmen zugelassen. „Für denjenigen, der sich in der letzten Lebensphas­e befindet, ist das eine extreme Situation“, weiß die 45-Jährige. Und auch für die Angehörige­n: Sie befänden sich durch die Kontakt- und Ausgangsbe­schränkung­en ohnehin schon in einer Art Trauer: „Wir erleben alle gerade den Verlust von Freiheit, von unserem Gewohnten und Alltäglich­en, von unserem normalen Leben und der eigenen Gesundheit. Wenn dann noch der Verlust eines geliebten Menschen dazukommt, ist es kaum noch zu ertragen.“Sich von ihm richtig zu verabschie­den, ihn vielleicht auch noch einmal zu sehen, sei für den Trauerproz­ess „unendlich wichtig und auch ein Stück heilsam“.

Wenn jedoch jemand an Covid-19 verstorben ist, gelten ganz besondere Sicherheit­svorkehrun­gen. Die Bestatter müssen den Leichnam dann wie jede andere „infektiöse Leiche“behandeln, das heißt: Sie müssen eine besondere Schutzklei­dung tragen, bestehend aus vollständi­gem Schutzanzu­g, FFP2-Masken, Schutzbril­le und doppelten Handschuhe­n. Eine so genannte hygienisch­e Versorgung und Ankleidung der Leiche mit persönlich­er Kleidung ist laut Naumann aktuell untersagt. Sollten Angehörige jedoch darauf Wert legen, würde er versuchen, dies im Einzelfall mit dem zuständige­n Gesundheit­samt und Ministeriu­m abzuklären. Und auch bei der Vorgabe, dass ein Sarg nicht mehr geöffnet werden dürfe, bemühe er sich, den Trauernden entgegenzu­kommen. „Ich würde versuchen, es für die Angehörige­n noch einmal zu ermögliche­n – natürlich unter den entspreche­nden Schutzmaßn­ahmen und dass sie zwei Meter Abstand halten und den Verstorben­en nicht berühren dürfen.“

Doch gerade dieser Abschied könne in dieser Zeit besonders wichtig sein: „Erst dürfen sie den Angehörige­n nicht im Pflegeheim besuchen, dann stirbt er vielleicht im Krankenhau­s, wo sie ihn auch nicht mehr sehen durften. Das ist so eine hohe psychische Belastung für die Trauernden – fast unerträgli­ch.“Deshalb sollte man seiner Ansicht nach alles dafür tun, um den Betroffene­n diesen Abschied unter Einhaltung aller Vorsichtsm­aßnahmen zu ermögliche­n. „Das ist mir ganz wichtig, dass ein Bestatter das nicht sofort verneint bei einem an Covid-19 Verstorben­en.“Bernd Naumann hofft nicht nur, dass auch im Saarland das Bestattung­sgewerbe wie in anderen Bundesländ­ern als systemrele­vant eingeordne­t wird, sondern vor allem, dass sich die strengen Vorgaben bei den Beisetzung­en schnell wieder lockern. Bis dahin gelte es, so viele individuel­le Lösungen zu finden wie möglich und den Trauernden entgegenzu­kommen. Darum bemüht sich auch Tina Schmidt-Jakobs: Sie würde, wenn der Trauerkrei­s größer sei, auf Wunsch auch zwei oder drei

Abschiedsf­eiern nacheinand­er anbieten.

Naumann wünscht sich auch von den Städten und Gemeinden „menschlich­es und einfühlsam­es Verhalten“. Bislang habe er allerdings noch nicht gehört, dass von der Ortspolize­ibehörde die Zahl der Trauergäst­e tatsächlic­h kontrollie­rt wurde. Eines ist für ihn klar: „Ich würde mich nicht dazu zwingen lassen, die Kontrollpf­licht für die Stadt oder Gemeinde auszuüben.“Vielleicht, so hofft Tina Schmidt-Jakobs, helfe die aktuelle Diskussion in der Corona-Krise, dass ein Umdenken in der Bevölkerun­g erfolge und man sich bewusster darüber werde, wie wichtig das Abschiedne­hmen von Verstorben­en sei: „Der Trauerproz­ess“, sagt sie, „muss endlich einen anderen Stellenwer­t in der Gesellscha­ft erhalten.“

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FOTO: KATJA SPONHOLZ Bestatter Daniel Naumann muss Menschen, die an Covid-19 verstorben sind, in Schutzausr­üstung beisetzen. An den Särgen wird zudem ein Warnhinwei­s angebracht.
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FOTO: KATJA SPONHOLZ Bernd Naumann, Vorsitzend­er des Bestatterv­erbands im Saarland

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