Vom Paradiesvogel zum stillen Wohltäter
Tennis-Legende Andre Agassi, Ehemann von Steffi Graf, wird an diesem Mittwoch 50 Jahre alt. Der Amerikaner prägte eine Ära.
Es war im Frühling vor zwei Jahren, als Andre Agassi daheim in Las Vegas auf sein Leben zurückblickte. Und in kleiner Gesprächsrunde auf die „beiden größten Siege“schaute, die er errungen habe. Siege jenseits der Bühne, die ihn zum Weltstar aufsteigen ließ. „Ich habe ein Leben neben dem Tennis gefunden. Ich habe einen Traum erfüllt, nämlich den, anderen Menschen, denen es nicht so gut geht, helfen zu können“, sagte Agassi und spielte auf seine Stiftungsaktivitäten an. Auf den Bau von Schulen und Kindergärten in seiner Heimatstadt Las Vegas und in ganz Amerika mit Dutzenden Millionen US-Dollar.
Und dann Sieg Nummer zwei, über den er nachschob, dass Sieg vielleicht nicht ganz das richtige Wort sei. Pathos ist Agassi nicht fremd, und so erklärte er, „Erfüllung des Schicksals“sei vielleicht treffender für seine „wunderbare Ehe“mit Steffi Graf, „der Frau, die so perfekt zu mir passt, wie man nur perfekt zusammenpassen kann“. Agassi lächelte und sagte: „Sie sehen einen glücklichen Menschen vor sich.“
An diesem Mittwoch wird Agassi 50 Jahre alt. Ein Mann, bei dem man lange nicht wusste, woran man mit ihm ist. Und dessen Faszination sich genau aus diesem Umstand speiste, ähnlich wie bei seinem langjährigen Erzfeind Boris Becker. Auch jetzt, nach einem halben Hundert Lebensjahren, ist die Verblüffung noch nicht gewichen. Nun aber ist Agassis Leben ein Graf-Leben geworden, ein Leben, das seiner Ehefrau entspricht. Ohne Schlagzeilen, ohne Seite-1-Präsenz, ohne Meinungsäußerung zu diesem oder jenen Thema. Stattdessen lässt Agassi weiter Taten sprechen als Wohltäter, der sich um benachteiligte Kinder und Teenager kümmert – und damit in Zeiten wie der Corona-Pandemie mehr denn je gefragt ist.
In den vergangenen Jahren war Agassi sporadisch im Tennis-Zirkus aufgetaucht, aber so wirklich nachhaltig war sein Engagement nie. Bald beendete der Amerikaner sein Engagement beim Weltranglisten-Ersten Novak Djokovic wieder, die Ansprüche, die der ehrgeizige Serbe an einen Topberater stellte, wollte Agassi nicht erfüllen. Auch die Liaison mit dem talentierten Bulgaren Grigor Dimitrow währte nicht lange, Agassi bekannte später, weniger er selbst habe hinter den beruflichen Aktivitäten gesteckt als seine Ehefrau: „Steffi hat mich fast ein bisschen gedrängt, das anzunehmen. Weil ich mich vielleicht langweilen könnte.“Eines erkannte man bei Agassis Wiedererscheinen im Wanderzirkus: Er war rundlich geworden, mit kräftigem Bauchansatz, vielleicht auch den Schmerzmitteln geschuldet, die er gegen seine Rückenschmerzen einzunehmen hatte.
2006 hatte er sich mit schlimmen Schmerzen auch zu seinem letzten Hurra geschleppt – bei den US Open in New York. Es war ein beinahe bizarrer Auftritt. Vor einem seiner Spiele konnte man beobachten, wie Agassi auf einem Betonflur vor dem Eingang zum Centre Court auf der Erde lag, weil das Stehen zu sehr schmerzte. Immer wieder verabreichten ihm die Ärzte schmerzstillende Spritzen. Am Ende war die allerletzte Partie, verloren gegen den Saarländer Benjamin Becker, auch eine Erleichterung. Es war vorbei, ein Tennis-Leben ohne Beispiel, eine Karriere der Extravaganzen.
Agassi war, wie vor ihm Björn Borg oder John McEnroe, wie mit ihm Boris Becker und wie nach ihm Roger
Federer oder Rafael Nadal, größer als sein Sport selbst. Seit seinem ersten Auftauchen im August 1986 bei den US Open ließ er niemanden kalt, zwischen glühender Verehrung und tiefer Verachtung lag lange Niemandsland. Bevor er in den letzten Jahren seiner Karriere flächendeckende Anerkennung für seine späte Leistungs-Offensive fand, wurde er geliebt und verschmäht, bewundert und beschimpft.
Es gab nie nur den einen Agassi. Es gab ganz viele Agassis. Und es gab vor allem einen Agassi, den man überhaupt nicht kannte, bevor er in seiner Biographie „Open“schonungslos offen über sein Leben sprach. Und nicht zuletzt bekannte, er habe Tennis „gehasst“, auch wegen des Leistungsdrucks, den sein Vater Mike auf ihn ausgeübt habe. In jenem Buch gab es eine weitere, noch viel schockierendere Enthüllung. Nämlich die, dass Agassi sich in einer tiefen Krise illegal mit der Droge Crystal Meth vollgepumpt hatte, um der tristen Realität jener
Tage zu entfliehen. Die Tennis-Autoritäten, das schimmerte dabei durch, hätten den Skandal zu verwischen versucht.
Langweilig wurde es einem ansonsten nie mit dem Burschen aus Las Vegas. Dass Agassi, im Grunde seines Herzens ein schüchterner Typ, nicht schon früh an den Härten der Branche scheiterte, war seinem überraschenden Wimbledon-Erfolg 1992 zu verdanken. „Das war die Stunde, in der ich als Tennisspieler geboren worden bin“, sagt der achtmalige Grand-Slam-Sieger Agassi, der sich zuvor den erstaunlichen Luxus geleistet hatte, einige Jahre wegen der verstaubten Sitten nicht in Wimbledon zu spielen. Oder der es scheute, die zu aufwändige Reise nach Australien zum dortigen Grand-Slam-Turnier anzutreten.
Später siegte Agassi genau dort, in Australien, am häufigsten in einer Karriere, die nach dem epischen French-Open-Sieg 1999 in eine sagenhafte Verlängerung ging. Paris, der Frühling vor 21 Jahren, es war die Wiedergeburt Agassis, nach einer Krise, die ihn bis auf Platz 141 der Weltrangliste gespült hatte. Nach dem Roland-Garros-Triumph war er wieder die Nummer 1 (insgesamt 101 Wochen in seiner Karriere). Und er war auch der neue Lebensgefährte von Stefanie Graf, die seine Ehefrau werden sollte, die Mutter der Kinder Jaden Gil und Jazz Elle.
Jenseits seines 30. Geburtstages erlebte er eine Blütezeit, nun mit kahlgeschorenem Schädel, eiserner Fitness, asketischer Lebensweise. Und mit Graf an der Seite, die ihm auch mit manchem sportlichen Ratschlag half. „Wir haben eine große Geistesverwandtschaft“, sagte Agassi damals. Verblasst waren die Zeiten, in denen er als Paradiesvogel und Popstar der Branche durch die Welt zog, mit blond eingefärbten Haaren, Schlabbershirt, Jeanshose.
An jenen schrillen, kunterbunten Agassi erinnerte gerade noch einmal Boris Becker, mit dem Eingeständnis, er habe „nicht viel“mit ihm anfangen können. Was noch eine riesige Untertreibung war. Becker, der die Öffentlichkeit braucht wie die Motten das Licht, sprach in seiner Gratulation auch davon, er wünsche sich mehr Präsenz von Agassi im Tennis dieser Tage. Dieser Wunsch wird nicht in Erfüllung gehen. Agassi wird sich auch künftig eher nicht ins Heer der Berater und Experten einreihen. Er hat dem Tennis zwar sehr, sehr viel zu verdanken. Aber er schuldet dem Tennis in keinster Weise noch etwas. Er hat seine Erfüllung woanders gefunden.