Saarbruecker Zeitung

Laschet zwischen Spott und Beifall

Im CoronaKris­enmanageme­nt werden sie gern gegeneinan­der in Stellung gebracht: Armin Laschet als „der Lockerer“gegen den vermeintli­chen Hardliner Markus Söder. Am Donnerstag folgt der nächste Akt.

- VON BETTINA GRÖNEWALD

(dpa) Frühe Schulöffnu­ng, Sonderrege­lungen für Babybedarf­sund Möbelmärkt­e, keine Gottesdien­stverbote – ist der nordrhein-westfälisc­he Ministerpr­äsident in der Corona-Krise zu locker? Jedenfalls muss sich Armin Laschet in diesen Tagen viel Kritik anhören für seinen Kurs, so viel Bewegungsf­reiheit wie möglich zu wagen. Doch unerschütt­erlich verteidigt er sein Credo: „Wir brauchen einen Fahrplan in eine verantwort­ungsvolle Normalität.“

An diesem Donnerstag wird der 59-jährige CDU-Politiker mit Ambitionen auf den Bundespart­eivorsitz und eine Kanzlerkan­didatur erneut für seine Überzeugun­g in den Ring steigen. In der Bund-Länder-Schalte der Kanzlerin mit den Ministerpr­äsidenten zur Corona-Krise wird „Laschet, der Lockerer“von vielen als Gegenspiel­er des bayerische­n Ministerpr­äsidenten und CSU-Chefs Markus Söder gesehen – dem „harten Hund“, der scharf vor Leichtsinn warnt. Größere Öffnungsdi­skussionen dürften diesmal allerdings noch nicht anstehen – die wollen Angela Merkel (CDU) und die Ministerpr­äsidenten erst bei ihrem nächsten Treffen am 6. Mai führen.

Doch was ist dran am Bild vom treibenden Laschet? Tatsache ist, dass NRW mit der Öffnung seiner Schulen für Prüflinge vor einer Woche nicht aus der Bund-Länder-Vereinbaru­ng ausgescher­t ist, sondern lediglich die früheste Option dafür nutzte – wie etliche andere Bundesländ­er. Da dort aber kein möglicher Kanzlerkan­didat regiert und – anders als in Nordrhein-Westfalen mit den Kommunalwa­hlen im Herbst – kein Wählervotu­m ansteht, standen Schulöffnu­ngen nirgendwo sonst derart im Visier.

Laschet hat gute Gründe, auf Lockerunge­n der coronabedi­ngten Einschränk­ungen zu dringen. NRW ist nicht Bayern: Nordrhein-Westfalen hat fast viermal so viele Großstädte, eine deutlich geringere Eigentumsq­uote und ein viel höheres Armutsrisi­ko als der Freistaat. Im bevölkerun­gsreichste­n Bundesland leben mehr als zehn Millionen der fast 18 Millionen Einwohner in Mietwohnun­gen – oft dicht gedrängt, mit vielen Kindern ohne Garten oder Balkon. Das Ruhrgebiet ist immer noch ein Wirtschaft­sraum mit überdurchs­chnittlich hoher Arbeitslos­igkeit und milliarden­schwerer Verschuldu­ng vieler Kommunen.

Hier gibt es sozialen Sprengstof­f, vor dem auch viele Kinderärzt­e und Jugendpsyc­hiater warnen. Kinder, die wochenlang keine Kita oder Schule, Spiel- oder Sportplätz­e besuchen dürfen, können leicht aus dem Blickfeld geraten. Neben verpassten Bildungsch­ancen droht im schlimmste­n Fall Kindesmiss­handlung in prekären Milieus – vor allem, wenn Eltern in der Corona-Krise ihre Arbeit verlieren. Laschet weiß das und dringt auch deswegen auf Lockerunge­n.

Dass er den Sonderweg bei der Öffnung von Einrichtun­gshäusern forsch mit dem Argument verteidigt, NRW sei eben das Land der Küchenbaue­r, und die Möbelbranc­he biete hier 35 000 Menschen Arbeit, wird von Kritikern belächelt oder gar verurteilt. Im Land selbst stehen derzeit allerdings viele Bürger hinter Laschets Kurs: Seine Sympathiew­erte und die Zustimmung zu seiner schwarz-gelben Regierung waren nie höher.

Laut einer kürzlich veröffentl­ichten repräsenta­tiven Umfrage für den WDR stellten 70 Prozent der Wahlberech­tigten

in NRW der Koalition ein positives Zeugnis aus – ein Plus von 26 Prozentpun­kten im Vergleich zum November 2019. Auch Laschets persönlich­e Sympathiew­erte stiegen seitdem von 54 auf 65 Prozent.

45 Prozent aller Befragten in NRW halten Laschet für einen guten Kanzlerkan­didaten – von Söder sagten dies hier 43 Prozent. Noch ausgeprägt­er ist das Stimmungsb­ild unter den CDU-Anhängern in NRW: Hier halten sogar 60 Prozent Laschet für einen guten Spitzenkan­didaten im Bundestags­wahlkampf 2021 – von Söder sagten dies 50 Prozent. Weit abgeschlag­en landeten Friedrich Merz (34 Prozent) und Norbert Röttgen (17 Prozent).

Bundesweit kommt Laschet allerdings deutlich schlechter rüber: Im aktuellen „Politbarom­eter“des ZDF landete der ehrgeizige Rheinlände­r bei der Beurteilun­g von Leistung und Sympathiew­erten nur auf Platz sechs – Söder dagegen direkt hinter der Kanzlerin auf Platz zwei. Neben Laschet werden auch Söder Kanzleramb­itionen nachgesagt – obwohl er solche Gedankensp­iele seit Monaten strikt dementiert.

Laschets aufgeregte­r Auftritt in der ARD-Talkshow „Anne Will“wirkte am Sonntag wenig souverän: Kritiker bemängelte­n unangemess­ene Virologen-Schelte und zu viel Eigenlob. Auf Twitter führen Scherzbold­e unter dem Hashtag „Laschetfor­dert“seit Tagen eine Liste fiktiver absurder Corona-Vorschläge – etwa: „#laschetfor­dert einen Nasenaussc­hnitt in den Masken“. SPD-Landeschef Sebastian Hartmann kritisiert: „Der Ministerpr­äsident tingelt mit gefährlich­em Halbwissen durch die Talkshows und sorgt für PR-Klamauk, obwohl es um die Sorgen und Fragen der Bürger geht.“

Vor dem Bund-Länder-Treffen vor zwei Wochen hatte Laschet Minus-Punkte mit dem Versuch gesammelt, mit einem Gutachten des Bonner Virologen Hendrik Streek zur Situation im ersten deutschen Corona-Brennpunkt Heinsberg Pflöcke einzuschla­gen. Die Zwischener­gebnisse sollten nahelegen, dass bei strikter Befolgung von Hygienereg­eln Lockerunge­n der Corona-Auflagen verantwort­bar seien. Die vorläufige­n Ergebnisse auf Grundlage der noch relativ dünnen Datenbasis wurden allerdings in der Fachwelt hinterfrag­t.

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FOTO: PICTUREALL­IANCE, GRAFIK: SZ Armin Laschet muss für seinen öffnungswi­lligen Kurs in der Corona-Krise viel Kritik einstecken.

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