Der Corona-Fahrplan des Staatstheaters
Der Saarbrücker Intendant Bodo Busse hält es nicht für sinnvoll, das Theater vor der Sommerpause wieder zu öffnen. Sein Wunschtermin ist der 6. September. Hat er dann nur noch 140 Plätze zu vergeben? Werden Staatstheater-Tickets zur Mangelware?
Bis Mittwoch war es noch nicht abgebaut, das Bühnenbild von „Rheingold“. Ein Sinnbild für den schockartigen Corona-Stillstand am Staatstheater. Mit dieser Produktion sollte seit über 30 Jahren erstmals wieder ein Saarbrücker „Ring“angeschoben werden. Doch als diese kapitale Produktion in die Schlussphase vor der Premiere ging, wurde der Tag der ersten Bühnenorchesterprobe laut Generalintendant Bodo Busse „der Anfang des Endes des Probenbetriebs“für das Saarbrücker Staatstheater (SST).
Die Türen fürs Publikum waren da bereits seit Tagen geschlossen, am 13. März lief die letzte Vorstellung. Seitdem befindet sich das Haus in einem Zustand hyperaktiven Stillstands. Eine WhatsApp-Gruppe mit Verantwortlichen im Kultusministerium wurde eingerichtet, alle Gewerke wurden nach und nach runtergefahren, eine Betriebsvereinbarung für Kurzarbeit verabschiedet. Ein Krisenstab tagte täglich, Gastverträge wurden umverhandelt, sechs Wiedereröffnungs-Varianten erstellt, ein Internetformat für „Stay at home“Clips gegründet. Nachgedacht wurde und wird im Team auch ganz alltagspraktisch – über eine neue Pausenlogistik, ein anderes Ein- und Auslass-System und Schlangestehen-Verhinderungs-Management oder auch darüber, ob demnächst alle Theater-Toiletten nur noch Frauen zur Verfügung stehen, während für die Herren im Außenbereich Klohäuschen aufgestellt werden.
Des Pudels Kern bleibt freilich die reduzierte Platzkapazität. Erste SitzTests im Großen Haus ergaben, dass, je nach Abstands-Vorgaben, die Besucherzahl im schlimmsten Fall von 960 auf 140 zurückgefahren werden müsste. Damit würden Theatertickets ganz ohne Preiserhöhung zum Luxusgut. Zugleich wäre Wirtschaftlichkeit überhaupt kein Kriterium mehr, denn das Einspielergebnis über Ticketeinnahmen – bisher rund 3,8 Millionen Euro – würde auf Witzgröße schrumpfen. Das brächte jeden Haushaltsplan ins Wanken. Und das neue Motto, das die Politik absegnen müsste, hieße: Spielen, just for Fun.
So ist man denn im Staatstheater ziemlich aus der Puste – während man wartet. Darauf, dass die Politik womöglich bundesweit vorgibt, welche Hygiene- und Sicherheits-Auflagen Theater erfüllen müssen. Nicht nur in Bezug auf die Zuschauer, sondern vor allem für die Mitarbeiter. Wie viele Orchestermusiker dürfen in den Orchestergraben? Brauchen Bläser eine Schutzwand? Müssen Ballett-Tänzer täglich getestet werden? Bisher fehlen wirklich durchschlagende Ideen, die zu Leitlinien werden könnten. Insbesondere der Deutsche Bühnenverein fing sich deshalb Kritik wegen Säumigkeit ein.
Derweil erfindet jedes Theater das Corona-Rad neu, muss sich auch individuell positionieren. Wie der Saarbrücker Intendant, der, wie man hört, in der heißen Gesprächsphase zur Wiedereröffnung mit dem Rechtsträger, dem Kultusministerium, steckt. Seine Zielvorstellung schilderte er der SZ: Öffnung nicht mehr vor der Sommerpause, Start der neuen Spielzeit 2020/2021 wie geplant am 6. September mit einer großen Verdi-Oper – in welcher reduzierten Corona-Fassung auch immer.
Denn zumindest diese Gewissheit teilen alle Theaterleute in der Republik: Es wird neue Regiekonzepte geben, die ihre Kraft nicht mehr aus Blut, Spucke und Schweiß beziehen, sondern aus einer Ästhetik der Distanznahme. „Wir müssen Abstandsregeln einziehen, mit Achsen arbeiten, Masken spielerisch integrieren“, sagt Busse, der sich mit stärker experimentierenden, performativen Formen mehr als nur anfreunden kann, sogar Lust auf ästhetisches Neuland spürt und über „atmende“Produktionen nachdenkt, bei denen nach Corona-Lockerungslage die Besetzung wachse oder wieder schrumpfe. Außerdem hat er durchaus ein Faible für eingedampfte Kammerspiel-Formate, hat selbst in Coburg einen „Lohengrin“mit nur einer Sängerin auf die Bühne gebracht. Motto: Der Kreativität jede Gasse? Geht nicht, gibt’s nicht? Falsch. Busse lehnt schmale Versionen für Wagner-Opern ab: „Das Rheingold abgemagert auf zwei Klaviere, vier Streicher und ohne Chor? Nein.“Deshalb ist zwar die Verschiebung dieser Produktion sicher
– doch in welche Spielzeit? Das entscheidet das Virus, und es könnte womöglich auch die „Walküre“gefährden, die Busse für die Saison 2020/21 geplant hat.
„Es wäre ratsam, bis Ende der Spielzeit keine Veranstaltungen mehr zu machen“, sagt der Saarbrücker Theaterchef. Das wäre bis 6. Juli. Was jedoch nicht heißt, dass bis dahin auch die Proben ruhen müssen. An ihnen hängt der Fortgang der Theater-Produktions-Kette, weshalb der Startschuss zur Wiederaufnahme der Probenarbeit wichtiger ist als der „große“für den Publikumsverkehr. Nun scheint der 6. September noch arg lang hin. Doch gingen die Theatertüren dann wieder auf, würde die Sommerpause für das Ensemble wie gewohnt bereits im August enden. Das könnte wiederum zu früh sein. Denn bis dahin müsste der Pandemieplan durch das Gesundheitsministerium genehmigt sein, den das Staatstheater erst auf der Basis noch zu verkündender politischer Auflagen erarbeiten muss, und die Rechtsund Behördenwege sind bekanntlich lang. „Der Weg ist ein weiter“, meint denn auch Busse. Muss der Spielzeitbeginn womöglich noch tiefer in den Herbst verschoben werden? Da zieht er den Vorhang zu.
„Wir sollten den TheaterAtem weiter
anhalten.“
Bodo Busse
Intendant des Staatstheaters