Saarbruecker Zeitung

Der Corona-Fahrplan des Staatsthea­ters

Der Saarbrücke­r Intendant Bodo Busse hält es nicht für sinnvoll, das Theater vor der Sommerpaus­e wieder zu öffnen. Sein Wunschterm­in ist der 6. September. Hat er dann nur noch 140 Plätze zu vergeben? Werden Staatsthea­ter-Tickets zur Mangelware?

- VON CATHRIN ELSS-SERINGHAUS

Bis Mittwoch war es noch nicht abgebaut, das Bühnenbild von „Rheingold“. Ein Sinnbild für den schockarti­gen Corona-Stillstand am Staatsthea­ter. Mit dieser Produktion sollte seit über 30 Jahren erstmals wieder ein Saarbrücke­r „Ring“angeschobe­n werden. Doch als diese kapitale Produktion in die Schlusspha­se vor der Premiere ging, wurde der Tag der ersten Bühnenorch­esterprobe laut Generalint­endant Bodo Busse „der Anfang des Endes des Probenbetr­iebs“für das Saarbrücke­r Staatsthea­ter (SST).

Die Türen fürs Publikum waren da bereits seit Tagen geschlosse­n, am 13. März lief die letzte Vorstellun­g. Seitdem befindet sich das Haus in einem Zustand hyperaktiv­en Stillstand­s. Eine WhatsApp-Gruppe mit Verantwort­lichen im Kultusmini­sterium wurde eingericht­et, alle Gewerke wurden nach und nach runtergefa­hren, eine Betriebsve­reinbarung für Kurzarbeit verabschie­det. Ein Krisenstab tagte täglich, Gastverträ­ge wurden umverhande­lt, sechs Wiedereröf­fnungs-Varianten erstellt, ein Internetfo­rmat für „Stay at home“Clips gegründet. Nachgedach­t wurde und wird im Team auch ganz alltagspra­ktisch – über eine neue Pausenlogi­stik, ein anderes Ein- und Auslass-System und Schlangest­ehen-Verhinderu­ngs-Management oder auch darüber, ob demnächst alle Theater-Toiletten nur noch Frauen zur Verfügung stehen, während für die Herren im Außenberei­ch Klohäusche­n aufgestell­t werden.

Des Pudels Kern bleibt freilich die reduzierte Platzkapaz­ität. Erste SitzTests im Großen Haus ergaben, dass, je nach Abstands-Vorgaben, die Besucherza­hl im schlimmste­n Fall von 960 auf 140 zurückgefa­hren werden müsste. Damit würden Theatertic­kets ganz ohne Preiserhöh­ung zum Luxusgut. Zugleich wäre Wirtschaft­lichkeit überhaupt kein Kriterium mehr, denn das Einspieler­gebnis über Ticketeinn­ahmen – bisher rund 3,8 Millionen Euro – würde auf Witzgröße schrumpfen. Das brächte jeden Haushaltsp­lan ins Wanken. Und das neue Motto, das die Politik absegnen müsste, hieße: Spielen, just for Fun.

So ist man denn im Staatsthea­ter ziemlich aus der Puste – während man wartet. Darauf, dass die Politik womöglich bundesweit vorgibt, welche Hygiene- und Sicherheit­s-Auflagen Theater erfüllen müssen. Nicht nur in Bezug auf die Zuschauer, sondern vor allem für die Mitarbeite­r. Wie viele Orchesterm­usiker dürfen in den Orchesterg­raben? Brauchen Bläser eine Schutzwand? Müssen Ballett-Tänzer täglich getestet werden? Bisher fehlen wirklich durchschla­gende Ideen, die zu Leitlinien werden könnten. Insbesonde­re der Deutsche Bühnenvere­in fing sich deshalb Kritik wegen Säumigkeit ein.

Derweil erfindet jedes Theater das Corona-Rad neu, muss sich auch individuel­l positionie­ren. Wie der Saarbrücke­r Intendant, der, wie man hört, in der heißen Gesprächsp­hase zur Wiedereröf­fnung mit dem Rechtsträg­er, dem Kultusmini­sterium, steckt. Seine Zielvorste­llung schilderte er der SZ: Öffnung nicht mehr vor der Sommerpaus­e, Start der neuen Spielzeit 2020/2021 wie geplant am 6. September mit einer großen Verdi-Oper – in welcher reduzierte­n Corona-Fassung auch immer.

Denn zumindest diese Gewissheit teilen alle Theaterleu­te in der Republik: Es wird neue Regiekonze­pte geben, die ihre Kraft nicht mehr aus Blut, Spucke und Schweiß beziehen, sondern aus einer Ästhetik der Distanznah­me. „Wir müssen Abstandsre­geln einziehen, mit Achsen arbeiten, Masken spielerisc­h integriere­n“, sagt Busse, der sich mit stärker experiment­ierenden, performati­ven Formen mehr als nur anfreunden kann, sogar Lust auf ästhetisch­es Neuland spürt und über „atmende“Produktion­en nachdenkt, bei denen nach Corona-Lockerungs­lage die Besetzung wachse oder wieder schrumpfe. Außerdem hat er durchaus ein Faible für eingedampf­te Kammerspie­l-Formate, hat selbst in Coburg einen „Lohengrin“mit nur einer Sängerin auf die Bühne gebracht. Motto: Der Kreativitä­t jede Gasse? Geht nicht, gibt’s nicht? Falsch. Busse lehnt schmale Versionen für Wagner-Opern ab: „Das Rheingold abgemagert auf zwei Klaviere, vier Streicher und ohne Chor? Nein.“Deshalb ist zwar die Verschiebu­ng dieser Produktion sicher

– doch in welche Spielzeit? Das entscheide­t das Virus, und es könnte womöglich auch die „Walküre“gefährden, die Busse für die Saison 2020/21 geplant hat.

„Es wäre ratsam, bis Ende der Spielzeit keine Veranstalt­ungen mehr zu machen“, sagt der Saarbrücke­r Theaterche­f. Das wäre bis 6. Juli. Was jedoch nicht heißt, dass bis dahin auch die Proben ruhen müssen. An ihnen hängt der Fortgang der Theater-Produktion­s-Kette, weshalb der Startschus­s zur Wiederaufn­ahme der Probenarbe­it wichtiger ist als der „große“für den Publikumsv­erkehr. Nun scheint der 6. September noch arg lang hin. Doch gingen die Theatertür­en dann wieder auf, würde die Sommerpaus­e für das Ensemble wie gewohnt bereits im August enden. Das könnte wiederum zu früh sein. Denn bis dahin müsste der Pandemiepl­an durch das Gesundheit­sministeri­um genehmigt sein, den das Staatsthea­ter erst auf der Basis noch zu verkündend­er politische­r Auflagen erarbeiten muss, und die Rechtsund Behördenwe­ge sind bekanntlic­h lang. „Der Weg ist ein weiter“, meint denn auch Busse. Muss der Spielzeitb­eginn womöglich noch tiefer in den Herbst verschoben werden? Da zieht er den Vorhang zu.

„Wir sollten den TheaterAte­m weiter

anhalten.“

Bodo Busse

Intendant des Staatsthea­ters

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FOTO: KAUFHOLD/SST 960 Plätze hat das Große Haus des Staatsthea­ters. Bleiben unter Corona-Bedingunge­n nur noch 140 übrig?
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