Saarbruecker Zeitung

Corona bedroht ein französisc­hes Kulturgut

Wegen der Pandemie gehen viele Käsereien widerwilli­g neue Wege und stellen ihre traditione­llen Rezepturen auf Superzeitl­upe um.

- VON KNUT KROHN

In Frankreich gilt edler Käse als schützensw­ertes Kulturgut. Änderungen in der Rezeptur oder der Art der Herstellun­g kommen einem Angriff auf das Selbstvers­tändnis der Grande Nation gleich. Für

„Drei unserer 21 Käsereien haben bereits geschlosse­n – andere werden folgen.“

Olivier Athimon

Milchgenos­senschaft Sodiaal

ihren schmackhaf­ten Schatz sind die französisc­hen Bauern bereit, sich mit der Europäisch­e Union anzulegen, der auf dem Gebiet der Kulinarik von Feinschmec­kern fade Gleichmach­erei vorgeworfe­n wird. Gegen die regelungsw­ütigen Beamten aus Brüssel wissen sich die Käseherste­ller seit Jahren erfolgreic­h zu wehren, doch vor dem Corona-Virus haben sie nun kapitulier­t.

Wegen der Pandemie sind in Frankreich die Herstellun­gsbedingun­gen für mehrere Käsesorten mit der geschützte­n Ursprungsb­ezeichnung AOP (Appellatio­n d‘Origine Protégée) vorübergeh­end geändert worden. Da deren Erzeugung und Vertrieb ansonsten sehr streng geregelt sind, musste die französisc­he Regierung zu diesem Zweck in diesen Tagen ein Dekret erlassen. Darin heißt es, dass die Vorgaben bei der Herstellun­g von Bleu d‘Auvergne, Comté, Saint-Nectaire und Fourme d‘Ambert vorübergeh­end angepasst werden. Die Änderungen betreffen unter anderem die erlaubten Lagerungsz­eiten von Milch vor der Verarbeitu­ng und die vorgegeben­en Temperatur­en zur Lagerung

des Käses. Die Herstellun­g wird förmlich von Zeitlupe auf Superzeitl­upe umgestellt. Damit soll verhindert werden, dass es zu großen Verlusten von bereits produziert­er Milch kommt.

„Für die AOP-Käseherste­ller ist die Situation katastroph­al“, sagt Michel Lacoste, Präsident des Verbandes der französisc­hen Milchherst­eller (CNAOL), der Markt sei praktisch zusammenge­brochen. Zum Problem geworden ist, dass wegen der rigiden Ausgangssp­erre in Frankreich die beliebten Freiluftmä­rkte verboten wurden und auch die Restaurant­s geschlosse­n sind. Zudem würden sich seine Landsleute wegen der unsicheren wirtschaft­lichen Lage im Moment weniger Luxusprodu­kte wie teuren Käse kaufen, sagt Michel Lacoste.

Olivier Athimon setzt auf neue Verkaufswe­ge und den Stolz der Franzosen, um die Krise zu überwinden. Der Vertreter der Milchgenos­senschaft Sodiaal appelliert an die Supermärkt­e, vermehrt Werbung

für den teuren AOP-Käse zu machen, um den Verkauf wieder anzukurbel­n. „Drei unserer 21 Käsereien haben bereits geschlosse­n – andere werden folgen.“Das sei nicht nur ein schwerer wirtschaft­licher Schlag für struktursc­hwache Regionen wie den Jura oder die Auvergne, erklärt Athimon. Es sei auch eine Frage des Nationalst­olzes, den heimischen Käsereien zu helfen, denn die Corona-Krise bedrohe das gastronomi­sche Erbe Frankreich­s.

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FOTO: TAIKRIXEL/GETTY IMAGES/ISTOCKPHOT­O Frankreich­s Regierung musste per Dekret erlauben, die Herstellun­g einiger Käsesorten zu verändern.

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