Ein Tag im Zeichen des Ankommens
Unter strengen Infektionsschutz-Auflagen kehrt an der Gemeinschaftsschule im Rastbachtal langsam wieder Normalität ein.
Es ist eine seltsame Atmosphäre, die an diesem Morgen an der Gemeinschaftsschule im Rastbachtal in Saarbrücken-Malstatt herrscht. Genau sieben Wochen haben sich die Mädchen und Jungen nicht gesehen – doch an diesem Montag um 7.30 Uhr ist keine unbeschwerte Wiedersehensfreude zu spüren. Niemand umarmt sich zur Begrüßung oder gibt sich gar ein Küsschen. „Schon komisch“, meint Helin aus der neunten Klasse, die als eine der Ersten angekommen ist. „Aber Hauptsache, man sieht sich.“
Vereinzelt stehen ein paar kleinere Grüppchen herum. Manche Mädchen kneten die Masken noch etwas ratlos in der Hand, zwei, drei Jungs haben sich cool einen schwarzen Schal ums Gesicht geschlagen. Und dann gibt es Schüler, die tragen den Mund-Nasen-Schutz schon 50 Meter entfernt auf dem Bürgersteig vor dem Schulgelände. Etwas unsicher wirken die meisten, als sie vor ihrem Schulhof stehen, der mit Absperrgitter, Barken und Flatterband begrenzt wird. Da erscheint der stellvertretende Schulleiter Michael Thomann wie ein Rettungsanker. „Neuner links, Zehner und Dreizehner rechts“, sagt er immer wieder mit einem Lächeln. Jeden Schüler, den er kennt – und das sind viele – begrüßt er mit Namen. „Hej, wie geht’s dir? Schön, dich wiederzusehen!“sagt er. Und: „Einen guten Start!“Oder auch mal: „Hej, Meister Schmidt, zwei Meter – s‘il vous plaît!“
Die Hygiene-Bestimmungen zum Wiedereinstieg ins Schulleben sind für die Schüler und 90 Lehrer klar geregelt. Es herrscht ein Mindestabstand von zwei Metern, auf dem Gelände muss ein Mund-NasenSchutz getragen werden. „Heute befinden wir uns noch ein bisschen in der Grauzone, weil die Schüler offiziell noch nicht über die Rechtslage informiert wurden und wir sie nicht direkt dafür abstrafen können“, sagt Thomann. „Aber ab morgen werden die kleinsten Überschreitungen geahndet, dann wird scharf geschossen.“Heißt: Wer keine Maske trägt, wer sich nicht an die Sicherheitsdistanzen hält, wird nach Hause geschickt. „Es kann nicht sein, dass ein Einzelner alle gefährdet“, begründet der 36-Jährige. Mehr als 1000 Schüler hat die Schule im Rastbachtal, doch nur für einen kleinen Teil ist das „Home-Schooling“jetzt erst einmal vorbei: Seit Montag dürfen – zeitlich versetzt – die rund 300 Schüler der Klassenstufen 9, 10 und 13 wieder zum Unterricht erscheinen, am kommenden Montag folgen dann die knapp 80 Schüler der Stufe 12. „Und dann sind wir eigentlich schon voll“, meint Schulleiterin Ulrike Kleer. Denn auch in den Klassenräumen muss ein Mindestabstand von zwei Metern zwischen den Tischen eingehalten werden. „Die Klasse hat im Schnitt 25, 26 Kinder, um die Anforderung zu erfüllen, muss ich die Klasse dritteln“, rechnet Kleer vor. „Das heißt, was die Politik möchte, ist im Moment eine Quadratur des Kreises.“Und dabei hätte sie mit ihren 64 Jahren gedacht, sie habe in ihrem Schulleben schon alle Herausforderungen kennengelernt, die es zu meistern geben könnte.
Noch lässt sich der Unterricht parallel, mit Arbeitsgruppen oder auch mehreren Kollegen und den älteren und schon vernünftigen Schülern irgendwie regeln. Doch wie das mal werden soll, wenn auch die 5er, 6er und 7er wieder zurück in die Schule kommen dürfen, kann und mag sich hier niemand ausmalen. „Da haben alle Bauchweh“, meint Thomann. Gleichwohl sei es wichtig, dass die Mädchen und Jungen noch vor den Sommerferien wieder zurück in ihr altes Schülerleben könnten und nicht nur per Whatsapp und E-Mail mit ihrer Schule verbunden sind. Dabei geht es den Lehrern gar nicht mal um den Lernstoff, der vermittelt werden soll. Ganz im Gegenteil. „Die Software kann noch so gut sein, der Arbeitszettel noch so interaktiv:
Nichts ist vergleichbar mit dem, das da ein Lehrer persönlich vor einem steht und dem Schüler vermittelt: Ich bin für dich da!“Der Lernerfolg nämlich, das, was eine gute Schule ausmacht, bestätigt auch Oberstufenleiter Harald Kuhn-Schlaucher, „ist an erster Stelle die Beziehung zwischen Schülern und ihren Lehrern.“
Deswegen ist für Ulrike Kleer auch schon klar: Ganz gleich, wann die jüngeren Schüler zurückkommen dürfen – „es wird nichts mit normalem Unterricht zu tun haben, es wird nur ein Ankommen sein.“Keinesfalls gehe es darum, panisch irgendwelche Lehrstoffe abzuarbeiten, die in der bisherigen Corona-Zeit auf der Strecke geblieben sein könnten. Weder bei den Kleineren, noch bei den Abschlussklässlern. Auch bei ihnen ist am Montag erstmal nur eine Stunde Unterricht mit den beiden vertrauten Tutoren geplant. „Wichtig ist jetzt, wie es den Schülern ergangen ist, wie ihre Gefühlslage ist“, sagt Michael Thomann. „Dieser Tag steht im Zeichen des Ankommens.“
Auch in der Klasse 10.3 von Cristina Ribeiro. Sie will zunächst wissen, wie es ihren Schülern beim Lernen ergangen ist, ob sie sich ablenken ließen oder sich konzentrieren konnten. „War schwer, am Ball zu bleiben“, gibt einer offen zu. Und eine Mitschülerin bekennt: „Vormittags habe ich eher geschlafen.“Gleichwohl hätten alle das Unterrichtspensum, das ihnen digital vermittelt wurde, geschafft. „Und wem ist es leichter gefallen, zu Hause zu lernen? Wer hatte eher das Gefühl, effektiver alleine zu arbeiten?“will Ribeiro wissen. Da schauen sich alle an und schütteln mit dem Kopf. „Keiner – ein tolles Lob für uns Lehrer“, freut sich die Tutorin.
Nach dem Ankommens-Tag folgen für die Neuner in den nächsten Tagen nun Mathe und Deutsch, für die Jahrgangsstufe 10 kommt noch eine
Fremdsprache hinzu. Für die Abiturienten ist der Unterricht derzeit nur freiwillig: Sie können alten Unterrichtsstoff vertiefen und sich auf die Abi-Prüfungen vorbereiten, die ab dem 20. Mai auf dem Programm stehen.
Eines jedoch ist für alle Schülerinnen und Schüler identisch: die Einweisung in den Hygieneplan der Schule – vom Waschen der Hände bis zur Begegnung auf den Fluren. Damit der Kontakt so weit wie möglich vermieden wird, ist die Schulleitung kreativ gewesen. Hat nicht nur am Computer Raumpläne und Unterrichtspläne ausgetüftelt, sondern mit Zollstock gemessen, Tische und Stühle verrückt und eine Art Einbahnstraßensystem für die Gebäude entwickelt. „Das hatte ich in meinen 28 Jahren als Hausmeister auch noch nicht, dass ich mal mit den Schulleitern auf dem Boden knie und Klebeband anbringe“, sagt Jens Burkhart und lacht. Rund 500 Meter habe man verbraucht, um den Schülern die richtigen Wege für die Einbahnstraße aufzuzeigen und Begegnungsverkehr zu vermeiden. „Wir haben viel Unterstützung und Hilfe von allen Seiten erfahren. Das war ein schönes Miteinander. Und gemeinsam ist es ein großes Ganzes geworden“, sagt Ulrike Kleer. Und offenbar auch eines, das trotz aller Unsicherheiten nicht durch Pessimismus geprägt war. „Mein großes Anliegen ist es, einfach Gelassenheit zu verbreiten“, gibt sie zu.
Die spontane Idee, jedem Schüler an seinem Platz mit einem Willkommenskärtchen zu begrüßen, war zeitlich zwar nicht zu stemmen. Dafür wurden am Morgen noch schnell Zettel an allen Eingängen angebracht: „Wir freuen uns, Euch wieder zu sehen!“heißt es neben einem Smiley mit Atemschutzmaske. „Gemeinsam schaffen wir das: Wir bleiben gesund!“