Saarbruecker Zeitung

Die Flucht ins Neutrale bietet keinen neuen Schutz

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Die Logik der atomaren Abschrecku­ng ist absurd. Man bedroht sich gegenseiti­g mit Waffen, die nicht nur den „Gegner“vernichten, sondern auch einen selbst. Waffen also, die man niemals benutzen darf und will. Diese Logik ist Folge der Tatsache, dass es Atomwaffen überhaupt gibt, und dass sie in den Händen nicht nur eines Staates liegen, sondern vieler, die zueinander in Misstrauen oder gar Feindschaf­t stehen.

Die atomare Abschrecku­ng hat bisher funktionie­rt, das spricht für sie. Gegen sie spricht das hohe Risiko im Fall eines Versagens: Es ist die Weltvernic­htung. Es gäbe andere, bessere Logiken. Zum Beispiel die Abschaffun­g aller Atomwaffen, weltweit. Oder die Auflösung von Misstrauen und Feindschaf­ten.

Doch derzeit ist die Welt ein atomares Pulverfass, auf dem immer mehr Staaten mit dem Feuer spielen. Ob mit oder ohne Deutschlan­d. Und in dieser Feststellu­ng liegt auch die Antwort auf die zwischen SPD und Union zunehmend verbissen geführte Diskussion über die Fortsetzun­g der kleinen Absurdität in der großen, der deutschen „nuklearen Teilhabe“. Deutschlan­d verfügt nicht über Atomwaffen, ist aber Teil des Nato-Bündnisses und soll selbst zur nuklearen Abschrecku­ng beitragen, indem es das Recht hat, mit eigenen Flugzeugen amerikanis­che Atombomben an ihre Ziele zu transporti­eren, wenn es so weit ist. Damit wird Deutschlan­d zur kleinen Atommacht – ohne eigenes Arsenal. Die SPD will das beenden.

Im Western-Film wäre Deutschlan­d bei einem Ausstieg sozusagen derjenige Teilnehmer an der drohenden Schießerei, der den Colt zuerst herunterni­mmt und sich für (atom)waffenfrei erklärt. Und dann? Würden die USA sich dann noch mit der eigenen Existenz für ein bedrohtes Deutschlan­d einsetzen? Und: Warum sollte die Nato Deutschlan­d weiter eine politische Teilhabe am Atomwaffen­einsatz, also Mitsprache, gewähren, wenn es die reale Teilhabe, die militärisc­he verweigert?

Es kann im Übrigen keine Rede davon sein, dass es keine Bedrohunge­n mehr gäbe. Im Gegenteil. Zu erinnern ist an Putins Rüstungsre­de vom März 2018, als er zahlreiche neue atomare Raketensys­teme verkündete. Zu erinnern ist auch an die Annexion der Krim, die es wohl kaum gegeben hätte, wenn die Ukraine nicht zuvor ihre Atomwaffen abgegeben und Russland getraut hätte. Zu erinnern ist an die Bedrohunge­n durch andere Nuklearmäc­hte, etwa China oder Iran.

Natürlich lässt das bisherige Sicherheit­sgefühl unter dem amerikanis­chen Nuklearsch­irm erheblich nach, wenn in Washington ein Präsident wie Trump sitzt, der den Atomkrieg wieder für führbar hält. Doch die Flucht Deutschlan­ds ins Atomwaffen­freie, letztlich ins Neutrale, bietet keinen neuen Schutz. Sie ist nicht die Alternativ­e. Das sind nur politische Abrüstungs­initiative­n auch aus Berlin, die dazu beitragen, dass alle Seiten ihre fürchterli­chen Nuklearcol­ts gleichzeit­ig beiseitele­gen. Dafür allerdings sollte die aktuelle Debatte Anlass und Anfang sein.

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