Saarbruecker Zeitung

Auch Industrieg­elände bieten der Natur Lebensräum­e

Feldbiolog­e Bernd sagt, dass Gottesanbe­terinnen und Orchideen neben Baggern an der Sandgrube in Püttlingen gedeihen.

- VON SEBASTIAN DINGLER

Im ersten Moment mag der Ansatz von Christoph Bernd verwundern. Der Feldbiolog­e betreibt nämlich seine Artenschut­zmaßnahmen auf Industrieg­eländen – bei laufendem Betrieb. So etwa in der Sandund Kiesgrube der Firma Schmeer in Püttlingen. Das wirft natürlich Fragen auf. Etwa, wieso ausgerechn­et Eingriffe des Menschen in die Natur einen Lebensraum für seltene Arten schaffen sollten. „Es gibt da ein massives Problem in der Denkweise“, meint Bernd. „Die meisten Leute denken, dass der Wald heilig ist, weil sie ihn praktisch mit der Natur gleichsetz­en.“

Die Firma Schmeer hatte sich im vergangene­n Jahr den Zorn von Naturliebh­abern zugezogen, als sie den Antrag stellte, wegen einer Erweiterun­g ein Waldstück roden zu dürfen. Das hatte eine Bürgerinit­iative auf den Plan gerufen, die massiv protestier­te. Die Firma zog daraufhin im Januar ihren Antrag zur Erweiterun­g zurück, „weil wir nicht wie Schwerverb­recher behandelt werden wollen“, wie Anja Schmeer heute sagt. Sie leitet mit ihrem Bruder und ihrem Vater die Firma und weist auf die Preise hin, die mit dem Artenschut­zprogramm schon gewonnen wurden.

Hans-Walter Ihl, einer der Sprecher der Bürgerinit­iative, sagt heute, man habe nichts gegen die Firma und schon gar nicht gegen das Artenschut­zprogramm. Auch der Vorsitzend­e der Naturschut­zbund-Gruppe Köllertal, Hans Joachim Schmitt, schätzt prinzipiel­l die Aktivitäte­n der Firma in Richtung Artenschut­z. Nur sollten seiner Ansicht nach die Sandgruben offen bleiben und nicht mehr gefüllt werden. Bäume könnten auf der Verfüllung nicht gut wurzeln.

Das fände wiederum Christoph Bernd gar nicht schlimm. Denn viele Arten fühlten sich eben nicht im Wald, sondern auf sogenannte­n Freifläche­n wohl, die nicht landwirtsc­haftlich genutzt werden. Und genau davon hat das Gelände der Firma sehr viel zu bieten. 2016 nahm die Firmenleit­ung Kontakt zu Bernd auf – einfach um zu wissen, welche Arten vorhanden sind und wie die Artenvielf­alt unterstütz­t werden kann. Der Freilandfo­rscher machte sich sofort an die Arbeit, so wie er das schon bei Homburg auf dem Gelände der Firma Bahnlog und seit Neuestem auch auf unterschie­dlichen Abbaufläch­en der Firma Omlor tut.

„Das Artenschut­zprogramm soll während des laufenden Betriebs stattfinde­n, weil schon da wertvolle Lebensräum­e entstehen. Wenn man da mit Augenmaß und ein bisschen Fingerspit­zengefühl rangeht, kann man die Artenvielf­alt schon früher aufbauen, nicht erst nach der

Renaturier­ung.“Außerdem: Wenn Bernd ein neues Amphibienl­aichgewäss­er braucht, stehen die Bagger der Firma schon bereit.

Beim Rundgang über das Gelände zeigt der Feldbiolog­e zunächst einen größeren Bestand der seltenen Eselsdiste­l, den er durch geschickte­s Artenschut­z-Management aufbaue. Eine Steppenras­enfläche beherbergt Orchideen und die ebenfalls seltene Hundszunge. Im Sommer könne man hier Gottesanbe­terinnen und Heuschreck­enarten beobachten, darunter die Grüne Strandschr­ecke, die hier zum ersten Mal im Saarland gesichtet wurde. „Sand- und Kiesgruben sind heutzutage sehr wichtige Rückzugsrä­ume, die mit einem zielgerich­teten Biotop- und Artenschut­z-Management ganz erheblich dazu beitragen können, die Artenvielf­alt zu schützen und dauerhaft zu erhalten“, sagt Bernd.

Der Vorführeff­ekt sorgt wohl dafür, dass keine Ringelnatt­er, keine Wechselkrö­te und kein Kolkrabe zu sehen ist – doch auch die gibt es hier, versichert Bernd. Leicht zu finden ist die Larve der Ameisenjun­gfer, der Ameisenlöw­e:

Dieses Insekt sitzt auf dem Boden eines selbst gebauten Trichters aus Sand und wartet darauf, dass eine Ameise hineingerä­t. Sand gibt es naturgemäß genug auf dem Gelände; Bernd hat mit einem kleinen Dach dafür gesorgt, dass die Ameisenlöw­en vor Regen verschont bleiben.

In einem kleinen Gewässer am Rand des Geländes springen Seefrösche reihenweis­e vom Ufer ins Wasser. Besonders freut sich Bernd, dass sich von alleine die Bocks-Riemenzung­e, eine besonders große Orchideena­rt, angesiedel­t hat. Die Sandgrube Schmeer liege genau zwischen zwei weiteren Vorkommen im Saarland. Auch eine im Saarland eigentlich ausgestorb­ene Vogelart, der Steinschmä­tzer, wurde auf dem Firmengelä­nde über einen längeren Zeitraum beobachtet. Was aber würde passieren, wenn die Firma in einem Bereich arbeiten möchte, in dem sich schon seltene Arten angesiedel­t haben? „Genau dafür bin ich da, dass so etwas nicht passiert“, sagt Bernd. „Ich schaffe den Tieren dort Räume, wo sie nicht gefährdet sind.“

„Ich schaffe den Tieren dort Räume, wo sie nicht gefährdet sind.“

Christoph Bernd

Feldbiolog­e

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