Saarbruecker Zeitung

Mit Tanzmusik den Befreiungs­tag feiern

75 Jahre danach: Klezmer-Musiker Helmut Eisel will mit seiner YouTube-Performanc­e „Be-Freilach“am 8. Mai junges Publikum erreichen.

- VON DIETMAR KLOSTERMAN­N

Am Freitag jährt sich der Tag der Befreiung Deutschlan­ds vom Terror-Regime des Nationalso­zialismus zum 75. Mal. 75 Jahre, das ist eine lange Zeit. Die Zahl der Zeitzeugen, die über die grausamen mehr als zwölf Jahre des von den Nazis erhofften „1000jährig­en Reichs“berichten können, wird immer geringer. Doch der saarländis­che Jazz-Klarinetti­st Helmut Eisel, der sich dem Klezmer, der Musik aus den jüdischen Vierteln in Osteuropa, verschrieb­en hat, will gerade die jungen Menschen, bei denen die NS-Geschichte aus dem Fokus zu geraten droht, mit einer Performanc­e erreichen. „Dafür habe ich das Internet und YouTube gewählt“, sagte Eisel der SZ. Nicht nur die Corona-Vorschrift­en der Landesregi­erung hätten ihn dazu bewogen, sein Projekt „Be-Freilach“dem Publikum online zu präsentier­en.

„Freilach ist ein bestimmter Rhythmus eines jiddischen Tanzes, der Fröhlichke­it ausstrahlt. Und Fröhlichke­it sollte mit dem Tag der

Befreiung am 8. Mai 1945 verbunden sein, deshalb habe ich das Be von Befreiung davor gesetzt“, erklärte Eisel. Die Musik hat Eisel am Montag zusammen mit dem Ludwigskir­chen-Kantor und Mitglied der ökumenisch­en Nagelkreuz­gemeinscha­ft Ulrich Seibert, dem Kantor der Synagogeng­emeinde Saar, Benjamin Chait, und der Klarinetti­stin Christina Theis eingespiel­t. „Der SR wird das Video von der Performanc­e Be-Freilach ab Freitagmor­gen um 6 Uhr auf allen seinen Internet-Kanälen bringen“, sagte Eisel. Neben der Ludwigskir­che und der Synagoge in Saarbrücke­n sei der Rabbiner-Rülf-Platz an der Wilhelm-Heinrich-Brücke ein Schauplatz, wo die Musiker das Video aufnahmen.

Doch es gibt nicht nur fröhliche Befreiungs­klänge bei dieser Performanc­e zu hören. Auch die Landesarbe­itsgemeins­chaft Erinnerung­sarbeit (LAGE) ist beteiligt. Wie der Vorsitzend­e der LAGE, Frank-Matthias Hofmann (Evangelisc­her Kirchenrat), der SZ berichtete, schließt sich die LAGE der Forderung der aus Saarlouis stammenden Holocaust-Überlebend­en Esther Bejarano an, den 8. Mai zu einem Feiertag zu erklären. „So soll dieser Tag im gesellscha­ftlichen Gedächtnis verankert werden“, sagte Hofmann. Die LAGE schließe sich auch der Petition an, die die 95-jährige Überlebend­e des Vernichtun­gslagers Auschwitz und des KZ Ravensbrüc­k gestartet hat. Auf der Plattform change. org werde die Unterstütz­erzahl von über 40 000 genannt, 50 000 würden angestrebt, betonte Hofmann. Die LAGE schlage ebenso vor, dass dieser Feiertag europaweit begangen wird. „In einigen Ländern wie Frankreich und Tschechien ist dies bereits der Fall. Als europäisch­es

Datum kann der 8. Mai heute von vielen Europäern gefeiert werden und so Teil des kollektive­n Gedächtnis­ses werden“, sagte Hofmann.

Bejanaro, die selbst musikalisc­h mit der „Microphone Mafia“unterwegs ist, hatte in einem offenen Brief an Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier, Kanzlerin Angela Merkel und die Mitglieder des Bundestage­s geschriebe­n: „Ich fordere: Der 8. Mai muss Feiertag werden! Ein Tag, an dem die Befreiung der Menschheit vom NS-Regime gefeiert werden kann. Das ist überfällig seit sieben Jahrzehnte­n. Und hilft vielleicht, endlich zu begreifen, dass der 8. Mai 1945 der Tag der Befreiung war, der Niederschl­agung des NS-Regimes. Wie viele andere aus den Konzentrat­ionslagern wurde auch ich auf den Todesmarsc­h getrieben. Erst Anfang Mai wurden wir von amerikanis­chen und russischen Soldaten befreit. Am 8. Mai wäre dann Gelegenhei­t, über die großen Hoffnungen der Menschheit nachzudenk­en: Über Freiheit, Gleichheit, Brüderlich­keit und Schwesterl­ichkeit.“

Helmut Eisel sagte, leider gebe es auch wieder Menschen in Deutschlan­d, die den 8. Mai nicht als Tag der Befreiung ansähen. Er sei auch oft in den neuen Bundesländ­ern unterwegs, wo er solche Menschen treffe. Er habe auf Einladung des Thüringer Landtags dort gespielt. „Da saß auch Björn Höcke im Publikum. Ich habe Klezmer und Gypsy-Swing gespielt. Und Höcke hat sogar geklatscht.“

 ?? FOTO: BECKER&BREDEL ?? Das Mahnmal „Der Unterbroch­ene Wald“des Bildhauers Ariel Auslender auf dem Rabbiner-Rülf-Platz in Saarbrücke­n erinnert an die von den Nazis ermordeten saarländis­chen Juden. Hier fand ein Teil der Video-Aufnahmen statt.
FOTO: BECKER&BREDEL Das Mahnmal „Der Unterbroch­ene Wald“des Bildhauers Ariel Auslender auf dem Rabbiner-Rülf-Platz in Saarbrücke­n erinnert an die von den Nazis ermordeten saarländis­chen Juden. Hier fand ein Teil der Video-Aufnahmen statt.
 ?? FOTO: THOMAS
REINHARDT ?? Klarinetti­st Helmut Eisel schuf die Performanc­e
„Be-Freilach“.
FOTO: THOMAS REINHARDT Klarinetti­st Helmut Eisel schuf die Performanc­e „Be-Freilach“.

Newspapers in German

Newspapers from Germany