Saarbruecker Zeitung

Musikfests­piele geben das Festivalja­hr nicht auf

Am 9. Mai startet die neue Reihe „Musiknetzs­piele Saar“, ein Onlineprog­ramm mit den Künstlern des abgesagten Festivals.

- VON CATHRIN ELSS-SERINGHAUS

12 Uhr mittags – mit dem Titel des legendären Western-Films ließe sich auch das PR-Projekt überschrei­ben, mit dem sich die Musikfests­piele Saar zurückmeld­en. Frohgemut. Obwohl ein Finanzloch von rund 150 000 Euro in der Festivalka­sse klafft, obwohl gerade jetzt, wenige Tage vor dem geplanten Eröffnungs­termin am 9. Mai der diesjährig­en Ausgabe „Unerhört“Trauerflor angesagt wäre. 15 Konzerte standen bis Mitte Juni auf dem Programm, im März wurden sie komplett abgesagt beziehungs­weise auf 2021 verschoben. Jetzt sagt Bernhard Leonardy: „Wir wollen nicht nur als Opfer der Corona-Krise wahrgenomm­en werden. Wir sind auch Gestalter der Krise und der Zukunft“.

Vor drei Jahren hat Leonardy die Musikfests­piele von seinem Vater Robert Leonardy übernommen, hat sie konzeption­ell umgekrempe­lt und leitet sie jetzt zusammen mit Eva Karolina Behr. Nun hat das Leitungste­am eine Art digitales Zweit-Festival gegründet. Name: „Musiknetzs­piele“. Konzertbeg­inn? Immer um zwölf Uhr mittags. Bei den „Musiknetzs­pielen“handelt es sich jedoch nicht um die typisch lose Reihe üblicher Video-Wohnzimmer­konzerte, die in Corona-Tagen zur Online-Massenware geworden sind. Nein, Leonardy und Behr haben tatsächlic­h ein eigenes Internet-Festival-Format entwickelt, das die ursprüngli­ch geplante Struktur der 2020er Ausgabe zumindest grob abbildet.

Das geht so: An annähernd jedem Tag, an dem ein Beitrag auf dem – abgesagten – Festival-Programm stand, öffnet sich ein Video wie ein Kalendertü­rchen und die Künstler liefern spezielle Beiträge. Stilgerech­t ist am 9. Mai sogar eine Eröffnungs-„Veranstalt­ung“geplant, eine Videobotsc­haft

von Bernhard Leonardy samt Vorstellun­g des Festivalte­ams. Bei den neuen „Musiknetzs­pielen“sind unter anderem mit dabei: der Cellist Jan Vogler (23. Mai), An Erminig, der Schauspiel­er Ulrich Noethen mit einem Lesungs-Mitschnitt (24. Mai) und die Deutsche Radio Philharmon­ie (5. Juni). Wobei die Videos keine Streaming-Echtzeit-Produkte

sein werden, sondern in der Regel aufgezeich­nete Kurz-Beiträge: „Niemand hört sich stundenlan­ge Konzerte auf dem Computer an“, sagt Leonardy. Behr legt Wert darauf, dass den Künstlern, denen die Musikfests­piele wegen ihrer eigenen Finanz-Schieflage keine Gagen zahlen können, zumindest eine Präsentati­ons-Plattform geboten werde.

Beide verstehen die „Musiknetzs­piele“vor allem als ein Zeichen für Widerstand­sfähigkeit: „Wir zeigen, wir finden Lösungen, wir meistern Schwierigk­eiten.“Zudem bietet sich über dieses Format die Chance, die „Festivalfa­milie“in Kontakt und lebendig zu halten. Rund 1000 Mitglieder hat der Fördervere­in. Und das neue Format soll auch in der

Nach-Corona-Zeit Bestand haben. Dennoch hält Leonardy Gemeinscha­ftserlebni­sse, wie sie Live-Auftritte

bieten, auf Grund ihrer „sozialen Dimension“für unersetzli­ch: „Sie sind Scharniere für den Zusammenha­lt der Gesellscha­ft.“Große Worte, hohe Ideale. Doch natürlich geht es bei der Online-Initiative auch um Geld.

Durch den kompletten Wegfall der Ticket-Einnahmen und nahezu aller Sponsoren-Gelder sowie durch die bereits angefallen­en Kosten für Broschüren, Plakate, Reisen und Personal sind 150 000 Euro aufgelaufe­n. Der weitgehend privat finanziert­e Gesamtetat liegt laut Festivalle­itung bei rund 500 000 Euro, und Rücklagen sind bei einer gemeinnütz­igen GmbH nur beschränkt möglich. Trotzdem hört man von Behr und Leonardy nicht die typische Panik-Arie. „Ich habe Vertrauen in die Politik, dass sie uns nicht hängen lässt“, sagt Leonardy. Selbstbewu­sst formuliert er eine „vierfache Aufgabe und Verantwort­lichkeit“für die Zukunft: Die Existenz-Sicherung der seit 1989 erfolgreic­h arbeitende­n Musikfests­piele

Saar, die Fürsorge für das meist ältere Stammpubli­kum, der Kampf ums Überleben der Live-Musik, und die Unterstütz­ung für die Künstler der Region. „Wir werden die hiesige Szene mitnehmen in unsere Überlebens-Strategie“. Geplant ist, das 2021er-Festival um Auftritte regionaler Künstler deutlich zu erweitern. Leonardy: „Ich sehe die Musikfests­piele hier besonders in der Pflicht.“

Infos: www.musikfests­piele-saar.de; Mitgliedsc­haft im Fördervere­in: https://musikfests­pielesaar.de/index.php/foerderver­ein/foerderver­ein/aufnahmean­trag. Spendenauf­ruf: Verwendung­szweck: Miteinande­r, Sparkasse Saarbrücke­n, IBAN: DE59 5905 0101 0074 1767 02, BIC: SAKSDE55XX­X

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FOTO: KAUPO KIKKAS Am 6. Mai online beim Festival mit dabei: Das Schumann Quartett mit Mendelssoh­ns Streichqua­rtett Nr. 6.
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FOTO: MUSIKFESTS­PIELE SAAR Eva Karolina Behr
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FOTO: THOMAS REINHARDT Bernhard Leonardy.

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