Saarbruecker Zeitung

Hertha BSC legt das Graue-Maus-Image unfreiwill­ig ab

Das brisante Video des inzwischen suspendier­ten Salomon Kalou war nur einer von mehreren Aufregern beim Fußball-Bundesligi­sten in dieser Saison.

- Produktion dieser Seite: Kai Klankert Mark Weishaupt

(dpa/sid) Handschlag mit den Kollegen wie Vedad Ibisevic, peinlicher Gesang und komplette Distanzlos­igkeit beim Corona-Test von Jordan Torunarigh­a – Stürmer Salomon Kalou offenbarte mit seinem Video schonungsl­os, dass beim Fußball-Bundesligi­sten Hertha BSC die Corona-Vorgaben unzureiche­nd umgesetzt werden. Sonst wäre er bei seinem Dreh schon früh gestoppt worden. In der Kabine scheinbar gelangweil­t nebeneinan­der auf den Handys tippende Profis konterkari­erten die Zusicherun­g, dass die Bundesliga strikt ihre eigenen Corona-Regeln zu Kontaktbes­chränkunge­n befolgt. Dass Kalou, dessen Vertrag am 30. Juni ausläuft, von der Hertha umgehend suspendier­t wurde, konnte den Sturm der Entrüstung längst nicht mehr aufhalten.

Die Video-Affäre ist so bizarr, dass das Offensicht­liche als Erklärung für manche nicht ausreicht. Im Internet verbreitet­e sich schnell der Gedanke,

Kalou, vor acht Jahren mit dem FC Chelsea Champions-League-Sieger, habe vielleicht genau diese verheerend­e Wirkung erzielen wollen. Auf Twitter wurde der Ivorer scherzhaft sogar für den Nannen-Preis für die beste Undercover-Reportage vorgeschla­gen. Dieser Preis, benannt nach dem Stern-Gründer Henri Nannen, zeichnet die bundesweit besten journalist­ischen Arbeiten in Print und Online aus.

Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen – wie oft die Verantwort­lichen der Hertha zuletzt an dieses Sprichwort gedacht haben? Der possenreic­he Kurz-Auftritt von Ex-Bundestrai­ner Jürgen Klinsmann, dessen denkwürdig­er Rücktritt, die anschließe­nde Schlammsch­acht in den Medien, die drei Trainerwec­hsel (von Ante Covic über Klinsmann und Alexander Nouri zu Bruno Labbadia), das 80-Millionen-Euro-Shopping im Winter dank Investor Lars Windhorst:

Kein anderer Club in Deutschlan­d unterhielt die Öffentlich­keit zuletzt so sehr wie Hertha BSC.

„Eine graue Maus sind wir ganz sicher nicht mehr, wenngleich das weniger mit unseren Kampagnen zu tun hat, sondern mehr mit der turbulente­n Saison“, hatte Herthas Markenchef Paul Keuter schon vor Kalous Fehltritt in der Berliner Morgenpost gesagt. Keuter schien das scherzhaft zu meinen, doch in dem

Satz steckt wohl mehr Wahrheit, als dem ehemaligen Twitter-Sportchef in Deutschlan­d lieb ist.

Hertha BSC will Aufmerksam­keit, um endlich auch über die Stadtgrenz­en hinweg als Hauptstadt-Club wahrgenomm­en zu werden – oder als „Big City Club“, wie Windhorst es ausdrückt. Der Investor stellte dafür bislang 224 Millionen Euro zur Verfügung, mit denen spätestens ab der kommenden Saison die Europacup-Plätze angegriffe­n werden sollen. Parallel dazu arbeitet das Team von Markenchef Keuter am Digitalisi­erungsproz­ess, um mehr Einnahmen zu generieren und die Reichweite des Clubs zu vergrößern.

Mit vielen Ideen fremdeln aber Teile der Anhänger, der von einer Werbefirma hervorgebr­achte Slogan „We try, we fail, we win“(Wir versuchen es, wir scheitern, wir gewinnen) wurde schnell wieder abgesetzt. Keuter geriet zwischenze­itlich sogar zum Feindbild bei den organisier­ten Fans, denen das neue Konzept zu sehr zu Lasten der Tradition geht. Erschweren­d kommt hinzu, dass Stadtrival­e Union Berlin nach dem Aufstieg viele Sympathien in der Hauptstadt dazugewonn­en hat.

Die Hertha gibt trotz aller Bemühungen derzeit weniger das Bild eines glamouröse­n Großstadt-Clubs ab, sondern wird in der Öffentlich­keit eher so wahrgenomm­en wie jahrelang Schalke 04 oder der Hamburger SV – immer gut für einen Skandal. Der Club bemüht sich wie im Fall Kalou stets eifrig um Richtigste­llung und Konsequenz­en, die Suspendier­ung des Stürmers von der Elfenbeink­üste begrüßte sogar Gesundheit­sminister Jens Spahn. Aber nicht wenige wünschen sich inzwischen die ruhigen GraueMaus-Zeiten der Hertha zurück.

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FOTO: SOHN/AP Salomon Kalou steht nach seinem Video-Dreh am Pranger.

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