Saarbruecker Zeitung

„Glaube ist das größte Geheimnis überhaupt“

Der 40-jährige Matze Hielscher hat ein Ziel: In seinem Podcast „Hotel Matze“will er die besten Interviews mit den interessan­testen Menschen der Republik führen. Dabei lässt er immer wieder durchblick­en, dass er Christ ist.

- SEBASTIAN DALKOWSKI STELLTE DIE FRAGEN.

Matze Hielscher ist ein Mensch, dem schon mehrere Dinge gelungen sind. Statt seiner Ausbildung zum Lampenverk­äufer ein Leben als Lampenverk­äufer folgen zu lassen, verließ er die brandenbur­gische Provinz und wurde Bassist in der Indie-Band „Virginia Jetzt!“. Nach deren Auflösung gründete er mit einem Freund den Online-Stadtführe­r „Mit Vergnügen“, zunächst für Berlin, dann für Hamburg, München und Köln. Seit mehr als drei Jahren spricht er in seinem Interview-Podcast „Hotel Matze“mit Künstlern und Unternehme­rn und findet heraus, wie die so ticken. Er drängt sich nicht auf, die Bühne gehört den anderen. Gelegentli­ch lässt er durchblick­en, dass er an Gott glaubt. Seine Frau ist katholisch, er selbst als Protestant aufgewachs­en. Die beiden haben einen siebenjähr­igen Sohn und wohnen in Berlin.

Stell dir vor, ich würde dich den ganzen Tag begleiten. Wann würde ich merken, dass du an Gott glaubst?

MATZE HIELSCHER Das würdest du wahrschein­lich nur merken, wenn ich mit meiner Familie auf Reisen bin. Immer, wenn ich eine Kirche sehe, will ich da rein und sie mir angucken. Aber wir beten nicht am Tisch. Wir gehen in Berlin nicht in den Gottesdien­st. Lieber am Sonntag Brötchen holen und zusammen am Tisch sitzen. Ich suche keine Glaubensge­meinschaft, weil ich meine eigene habe – die Familie.

Betest du überhaupt?

HIELSCHER Ich schreibe Morgenseit­en...

... eine Art Schreibmed­itation nach dem Aufwachen?

HIELSCHER Da kann man sich fragen: Für wen schreibe ich die? Ist das vielleicht eine Art des Gebets? Jedenfalls ist es eine Einkehr. In der Kirche bete ich das Vater Unser und gehe kurz in Kontakt. Dem Boss Bescheid sagen, dass ich da bin, und mich für ein paar coole Sachen bedanken. Neulich bin ich mit meinem Sohn zur Schule gelaufen, und auf der Hälfte hat er gesagt, dass er jetzt gerne allein weitergehe­n möchte. Ist das okay für dich?, hat er mich gefragt. Dann ist er gegangen, und ich habe kurz ein Danke nach oben geschickt.

Siehst du dir im Urlaub die Kirchen als Tourist oder als Christ an?

HIELSCHER Auf jeden Fall als Christ. Ich hatte ein besonderes Erlebnis in einer Kirche in Mexiko, das muss 20 Jahre her sein. Ich bin in die Kirche hinein gegangen, und da gab es neben dem großen Raum einen kleinen Raum, in dem ganz viele Leute gebetet haben. Dieser Raum war so energetisc­h aufgeladen, ich konnte mir das nicht erklären. Mich hat es durchfahre­n. Seitdem weiß ich: Der Glaube, den Menschen in einen Raum mitbringen, kann einen Raum verändern.

Deine Stimmung verändert sich also, wenn du in eine Kirche gehst?

HIELSCHER Das Wort Andacht beschreibt es am besten. Mich bringt dieser Ort zu einer Einkehr. Wir sitzen dort als Familie und machen das zusammen, wobei mein Sohn wahrschein­lich an Playmobil denkt. Ich erinnere mich gerade an einen Urlaub vor zwei Jahren, da haben wir für eine Freundin eine Kerze angezündet, weil es ihr nicht gut ging. Ich glaube an etwas Kosmisches. Wenn man an jemanden denkt, tut man ihm etwas Gutes.

Bist du Protestant?

HIELSCHER Einfach Christ. Ich glaube an Gott. Ich glaube an einen Gott. Ich habe das nie verstanden, als ich gefragt wurde, ob wir katholisch heiraten. Ich habe geantworte­t, dass wir in der Kirche heiraten.

Du bist in einem Dorf in Brandenbur­g aufgewachs­en. Wie muss man sich den zehnjährig­en Matze in der Kirche vorstellen?

HIELSCHER Ich hätte auch Pfarrer werden können. Es war für mich normal, bis nach der Konfirmati­on jeden Sonntag in die Kirche zu gehen. Ich war sehr sehr oft bei unserem Pfarrer, Herrn Engelmann. Guter Name für einen Pfarrer. Ich weiß nicht, wie viele Jahre ich Josef gespielt habe im Krippenspi­el. Jeden Freitag war junge Gemeinde. Da gab es einen Typen namens Bimbel, der Beatles-Lieder gespielt hat. Ich habe zu ihm gesagt: Du hast dein Liederbuch mit, das ist ja spannend. Bring mir mal Akkorde bei. So bin ich zur Gitarre gekommen.

Wer hat dir den Glauben näher gebracht?

HIELSCHER Die ganze Familie, schon in der DDR. Meine Mutter ist bis heute im Kirchenvor­stand. Wenn meine Schwester mitkriegen würde, dass ich hier über die Kirche rede, würde sie sagen: Wenn einer über die Kirche reden darf, dann ich.

Kirche war nie Zwang für dich?

HIELSCHER Nullkomman­ull. Ich erinnere mich nicht daran, dass man mich zwingen musste. Sonst wäre ich auch nicht so eng mit dem Pfarrer gewesen.

Was hat dir das schon so früh gegeben?

HIELSCHER Oma Luise ist mit mir schon immer in den Park gefahren, und wir haben Bäume umarmt. Glaube ist ja das größte Geheimnis überhaupt. Man glaubt, dass da was ist, was man nicht sehen kann. Das hat mich früh angezogen. Ein Hoch auch auf die Geschichte­n in der Bibel. Die Weihnachts­geschichte ist der Wahnsinn. Was wäre das für eine Netflix-Serie? Das fand ich als Kind schon krass. Der Glaube definiert sich dadurch, dass jemand sagt: Ich schicke jetzt mal einen Vertreter runter und das ist ein Baby.

Das ist ein Move.

HIELSCHER Das ist ein Boss-Move. Das ist so berührend und so pur und so gar nicht kraftmaler­isch. Der größte Hit der Bibel, die Geschichte höre ich immer wieder gern.

Mit welchem Gottesbild bist du groß geworden?

HIELSCHER Das war immer ein Bild der Güte. Gott war ein Freund, vor dem ich keine Angst hatte, der nicht bestrafte. Beichten hatten wir ja nicht. Nicht dieses „Du darfst nicht“. Wenn ich zum Pfarrhaus gegangen bin, bin ich da einfach rein. Bin im Garten rumgerannt.

Hat dir der Glaube eine Richtung gegeben?

HIELSCHER Ich glaube schon. Wenn du zwischen 15 und 19 Tocotronic-Texte inhalierst wie ich, macht das was mit dir. Und genauso, wenn du zwischen sechs und 14 jede Woche mit dem Wertekompa­ss der Kirche konfrontie­rt wirst. Ich habe da sehr dieses Gemeinscha­ftsbild im Kopf. Zusammen sitzen, singen, Musik machen. Ich bin durch die Kirche Fan von gemeinsame­m Singen geworden. Wenn man so will, war ich jeden Sonntag zu einem

Konzert. Ich habe einen guten Ort gefunden, wo ich meine Kindheit verbringen konnte.

Du hast kürzlich die frühere Gerichtsre­porterin Sabine Rückert interviewt. Da ging es auch um die Frage, ob sie selbst hätte böse werden können. Hättest du böse werden können? Es gab Nazis in deinem Dorf.

HIELSCHER Nee. Ich glaube, dass das durch die Werte, die mir meine Eltern und mein Umfeld mitgegeben haben, nicht vorgesehen war. Durch meine Cousine habe ich als Jugendlich­er „Nirvana“, Punk und die „Ärzte“kennengele­rnt. Die hätte mich in die Pulsnitz geworfen, wenn ich mit Störkraft angefangen hätte. Wenn du zehn Jahre intensiv in die Kirche gehst, nicht mit „Du musst“, sondern „Du kannst“aufwächst, und ihr singt zusammen Beatles-Lieder und dann ist da Arche Noah, und dann gehen drei Weise aus dem Morgenland zu einer geflüchtet­en Familie – nein, da konnte ich nicht rechts werden.

Gab es Zeiten, in denen du den Glauben verloren hast?

HIELSCHER Nein. Ich glaube, wenn man früh durch eine Person, die einem wichtig ist, konfrontie­rt ist, dass da mehr sein könnte als das, was wir anfassen können. Dass der ein oder andere Weg vorgezeich­net ist – dann ist das etwas, was nicht mehr weggeht. Ich hatte nie den Moment, in dem ich gedacht habe: Gott, du bist so ungerecht. Ich habe ein wahnsinnig gesegnetes Leben. Es gab keinen Grund, den Glauben zu verlieren. Ich lebe mein Leben mit einem Glauben und einer Hoffnung, dass da mehr ist, als wir anfassen können. Aber ich gebe dem, was ich nicht fassen kann, nicht die Schuld an irgendwas.

Du hast jüngst die Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer gefragt, ob Sie an Vorsehung glaubt. Könntest du in einer Welt leben, die nur aus Zufällen besteht?

HIELSCHER Wenn ich mir so eine Figur wie Greta Thunberg angucke oder Luisa, frage ich mich schon: Woher kommt es, dass es manche Menschen gibt, die einen gefühlten Auftrag in sich tragen, der so über sie selbst hinausgeht? Wie Luise Greta kennengele­rnt hat, wie das dann passiert ist… Erst im Blick zurück entstehen die Dinge. Wenn ich Gretas Reden höre, sehe, wie sie mit ihren Zöpfen in der Uno sitzt, denke ich: So ganz irdisch kann das nicht sein.

Möchtest du in einer Welt leben, in der es eine höhere Macht gibt?

HIELSCHER Keine Macht. Macht hat so was Bestimmend­es, Herrschend­es. Ich möchte daran glauben, dass es etwas Höheres, Verbindend­es gibt.

Liest du deinem Sohn aus der Bibel vor?

HIELSCHER Das ist vielleicht dreimal in sechs Jahren passiert. Neulich hat er so einen Schinken mit griechisch­en Sagen gehabt und mich gebeten, ihm vorzulesen. Aber das war unlesbar. Also habe ich ihn gefragt, ob wir lieber in der Bibel lesen sollen. So haben wir es dann gemacht.

Möchtest du ihm als Vater christlich­e Werte oder auch den christlich­en Glauben vermitteln?

HIELSCHER Es gibt ein paar Dinge, die uns als Eltern wichtig sind. In dem Moment, in dem wir ein Kind taufen lassen, geben wir etwas vor. Aber mein Sohn isst Fleisch, ich nicht. Meine Frau trinkt Alkohol, ich nicht. Das ist in Ordnung. Es geht nur darum, meinem Sohn ein Angebot zu machen. Wenn du Bock hast, nimmst du es dir, wenn nicht, dann nicht. Das denke ich auch über Freundscha­ft, über Liebe. Meine Eltern haben mich nie gezwungen, beim Krippenspi­el mitzumache­n. Vielleicht, weil sie wussten, dass ich das dann nicht machen würde. So möchte ich das auch bei meinem Sohn machen.

Du stellst den Menschen am Ende immer die Frage, welcher Satz auf einem Plakat am Potsdamer Platz in Berlin stehen soll. Welche Bibelstell­e würdest du nehmen?

HIELSCHER Ich kenne mich mit der Bibel zu schlecht aus, aber Sabine Rückert hat mich mit einer Bibelstell­e umgehauen: „Haben, als hätte man nicht“. Die Stelle kannte ich nicht. Was für ein Wahnsinnss­atz.

 ?? FOTO: MIT VERGNÜGEN ?? Matze Hielscher in Hotel Matze
FOTO: MIT VERGNÜGEN Matze Hielscher in Hotel Matze

Newspapers in German

Newspapers from Germany