Saarbruecker Zeitung

„Wir kommen jetzt in die Phase der Verantwort­ung“

Der NRW-Regierungs­chef rechtferti­gt die Lockerunge­n der Corona-Beschränku­ngen – und fordert weitere Erleichter­ungen für Rückkehrer aus dem Ausland.

- FOTO: IMAGO IMAGES DAS GESPRÄCH FÜHRTEN MAXIMILIAN PLÜCK UND EVA QUADBECK

Der nordrhein-westfälisc­he Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) hält weitere Wochen Lockdown für unverantwo­rtlich. Im Interview mit unserer Zeitung warnt er vor massiven Schäden für die Menschen und die Wirtschaft.

Herr Laschet, laut Robert-Koch-Institut ist die Ansteckung­srate wieder über den kritischen Wert 1 gestiegen. Kamen die Lockerunge­n zu früh?

LASCHET Nein. Anfang der Woche hatten wir laut RKI mit bundesweit 357 Neuinfekti­onen den niedrigste­n Montagswer­t seit Monaten. Natürlich beachten wir alle Faktoren sehr genau, um ein umfassende­s Lagebild zu haben. Die R-Zahl ist einer davon. Wir müssen ganzheitli­ch abwägen und alle Schäden für die Menschen und die Gesundheit im Blick haben. Entscheide­nd ist, regional schnell und konsequent zu handeln, so wie dies im Kreis Coesfeld geschehen ist.

Hätte man mit Lockerunge­n warten sollen, bis die Tracing-App da ist?

LASCHET Ich kenne niemanden, der jetzt noch einmal fünf Wochen Lockdown verantwort­en kann – mit massiven Schäden für Menschen, Gesundheit und Wirtschaft. Mir schrieb jüngst ein Sohn, sein Vater habe den Lebenswill­en verloren, weil er im Pflegeheim keinen Besuch mehr bekommen durfte, und sei gestorben. Und der Sohn durfte nicht mehr zu ihm. Was für eine furchtbare Geschichte. Die Maßnahmen waren auch im Rückblick nötig, um das Virus zu bekämpfen, aber das können wir nicht allein in der Hoffnung auf die Wirkung einer App verlängern. Wir kommen jetzt aus der Phase der Verbote in die Phase der Verantwort­ung jedes Einzelnen und müssen ganzheitli­cher denken, abwägen und entscheide­n.

Zuletzt gab es Demonstrat­ionen gegen die Corona-Maßnahmen. Beunruhigt?

LASCHET Es gehört zur Demokratie, dass Bürgerinne­n und Bürger das Recht haben, ihre Meinung zu äußern. Aber es ist beunruhige­nd, wenn Extremiste­n von rechts und links die Diskussion anheizen und versuchen, sie für ihre Zwecke zu missbrauch­en. Nicht hinnehmbar sind Verstöße gegen die Abstandsre­geln, denn sie gefährden die Gesundheit anderer. Vor allem aber sind Angriffe auf Journalist­en inakzeptab­el. Solche Angriffe auf die Pressefrei­heit werden wir ebenso wenig dulden wie Attacken gegen Polizisten oder Ordnungskr­äfte. Hier gilt null Toleranz gegen Gewalttäte­r.

Sie wollen sich mit den Amtskolleg­en in Belgien und den Niederland­en abstimmen. Worum soll es gehen?

LASCHET Seit März koordinier­en Belgien, die Niederland­e und Nordrhein-Westfalen auf meine Initiative in einer grenzübers­chreitende­n TaskForce

Aktivitäte­n und Bausteine des Krisenmana­gements im Kampf gegen Corona. Mit dem niederländ­ischen Ministerpr­äsidenten Mark Rutte habe ich am Wochenende verabredet, besonders Schritte im Tourismus abzustimme­n. Es geht aber auch um Frankreich. Dass die Europa-Brücke zwischen Kehl und Straßburg gesperrt ist, schmerzt mich seit Wochen. Dass Sie ausgerechn­et nicht nach Schengen über die Mosel dürfen und dort die Fahnen auf halbmast wehen, ist ebenfalls schmerzhaf­t. Ohne den Binnenmark­t mit offenen Grenzen kann auch Deutschlan­d die Krise nicht überwinden.

Aber die Zeit drängt ja wegen der nahenden Sommerferi­en.

LASCHET Bis zum 15. Mai gelten noch die vom Bundesinne­nminister verfügten Grenzkontr­ollen. Wenn

Frankreich den Lockdown am 11. Mai beendet, brauchen wir eine Lockerung der Quarantäne-Maßnahmen für Rückkehrer aus den europäisch­en Ländern. Da bin ich mit meiner Amtskolleg­in aus Rheinland-Pfalz und dem Kollegen aus dem Saarland einer Meinung. Der wirtschaft­liche Wiederaufb­au Europas gelingt nur gemeinsam. Aus meiner Sicht waren die vergangene­n Wochen zu sehr nationalst­aatlich und zu wenig europäisch geprägt. Die Zukunft Europas macht mir große Sorgen. Wir brauchen neue europäisch­e Ideen in einer Welt nach der Pandemie.

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CDU-Politiker Armin Laschet

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