„Wir brauchen höhere Mindeststandards“
Die Grünen-Politikerin ist überzeugt, dass bessere Arbeitsbedingungen in Schlachthöfen Corona-Risiken minimieren können.
Die Agrarexpertin der Grünen und frühe Landwirtschaftsministerin Renate Künast kritisiert die Arbeitsbedingungen auf den Schlachthöfen und für Erntehelfer. Dadurch werde die Ausbreitung des Corona-Virus gefördert, so Künast im Gespräch mit unserer Redaktion.
Frau Künast, wieder Corona-Fälle in einem Schlachthof, diesmal in Pforzheim. Was läuft da schief?
RENATE KÜNAST Das ganze Geschäftsmodell ist schief. Denn es lebt davon, dass die Arbeitnehmerfreizügigkeit und das wirtschaftliche Gefälle in der EU missbraucht werden. Bei einer Pandemie sind die Folgen dann besonders schlimm.
Fehlt es an gesetzlichem Schutz in Zeiten der Pandemie?
KÜNAST Ja. Aber das gilt für alle Bereiche und alle Zeiten, in denen auf ausländische Arbeitskräfte zurückgegriffen wird. Da sind Konstruktionen geschaffen worden, die sogar teilweise auf Subunternehmen fußen. Das kann nicht sein. Die Arbeit ist miserabel bezahlt und es fehlt an verbindlichen und würdevollen Vorgaben, zum Beispiel für das Thema Wohnen oder Schlafen. Dadurch entstehen Corona-Risikobereiche, wie wir sie jetzt erleben.
Was fordern Sie für Schlachthöfe?
KÜNAST Wir brauchen höhere Mindeststandards für die Arbeitsplätze und die Unterbringung. Die müssen zwingend werden, selbst wenn Subunternehmen beschäftigt sind. Deshalb ist eine Generalunternehmer-Haftung erforderlich. Und wir müssen konsequent Kontrollen sicherstellen. Im Augenblick sind so viele zuständig, dass man nur von einem Wirrwarr der Zuständigkeitsverweigerung sprechen kann. Das ist doch makaber, denn es geht um die Gesundheit der Menschen.
Für die Erntehelfer gibt es Vorgaben und Einreisebeschränkungen. Reichen die aus?
KÜNAST Nein, sie werden ja noch nicht einmal richtig umgesetzt. Ich verstehe sowieso nicht, warum 20
Erntehelfer zusammen wohnen dürfen, wir alle aber in unserem Alltag erst jetzt wieder Kontakt mit einer anderen Familie haben dürfen. Überall wird das Corona-Risiko massiv minimiert, nur für diejenigen nicht, die auf den Feldern arbeiten müssen. Kurzum: Die Regeln sind falsch und unklar. Dafür trägt der Bund die Verantwortung.
Aber seit dem Inkrafttreten der Einreisebeschränkungen ist unter Erntehelfern offenbar noch kein Corona-Fall aufgetreten. Zeigt das nicht die Wirkung?
KÜNAST Das mag bisher sein. Aber es geht doch darum, die Risiken zu minimieren. Das leisten die Regelungen nicht. Sie entsprechen auch nicht den Arbeitsschutzregeln des Arbeitsministeriums. Was, wenn sich jemand
jetzt hier ansteckt?
Heißt das, Sie würden in Pandemie-Zeiten lieber auf Erntehelfer verzichten?
KÜNAST Was nicht sein kann ist doch, dass wir die Saisonarbeiter zu miserablen Löhnen anheuern statt hier lebender Arbeitskräfte und uns egal ist, ob sie krank werden oder krank sind. Freizügigkeit heißt nicht, dass die, die von woanders kommen, Freiwild sind. Vom Gemüse bis zum Fleisch – die Arbeitsbedingungen, die zugrunde liegen, kann man so nicht akzeptieren. Ich weiß, das ist eine kritische Auseinandersetzung. Weil sich Verbesserungen am Ende auch bei den Preisen zeigen werden. Aber der Preis muss die Wahrheit sprechen.