Saarbruecker Zeitung

Nostalgie – die lukrative Marktlücke

Der DVD- und CD-Markt schrumpft, aber die Firma Pidax aus Riegelsber­g merkt davon nichts. Sie ist mit nostalgisc­hen Filmen, Serien und Hörspielen sehr erfolgreic­h – und gibt jetzt auch Bücher heraus.

- VON TOBIAS KESSLER

Bei Pidax in Riegelsber­g läuft es gleich doppelt gegen den Trend: Während große Heimkino-Firmen sich zunehmend von den „physischen Datenträge­rn“abwenden, ihr Heil im körperlose­n Download und Streaming suchen, wächst das überwiegen­d nostalgisc­he DVD- , Blu-Ray- und CD-Angebot von Pidax kontinuier­lich. Um die 1600 Titel sind im Programm – für 2020 sind 230 Veröffentl­ichungen geplant, Firmenreko­rd. Und während Streaming-Anbieter, allen voran Netflix und Disney+, von der Corona-Krise profitiere­n und die DVD-Verkäufe noch stärker sinken als zuvor, floriert bei Pidax der ganz traditione­lle DVD-Versandhan­del, vom Riegelsber­ger Lager aus. „Wir verkaufen im Moment so viel wie sonst nur im Weihnachts­geschäft“, sagt Geschäftsf­ührer Edgar Maurer, der viel auf Eigenvertr­ieb über die Firmenwebs­ite setzt.

Was läuft zurzeit am besten auf dem Nostalgiem­arkt? Alte Tarzan-Filme, sagt Maurer, die „Theo“-Gesamtbox mit Marius Müller-Westernhag­en, „so ziemlich alles mit Margaret Rutherford“, der legendären Miss-Marple-Darsteller­in, und alles von Agatha Christie. Eine Überraschu­ng sei der enorme Erfolg von „Der Traum des Häuptlings“, einem eher obskuren TV-Western von 1997. „Western laufen bei uns sowieso gut, weil die im Fernsehen ja sehr vernachläs­sigt werden – genau wie Theater-Aufzeichnu­ngen.“

Die Startaufla­ge von Filmen liegt „meist um die 1000 Stück“, sagt Maurer. Je nach Lizenzsumm­e oder Mindestgar­antie,

die Pidax an die Rechte-Inhaber zahlen muss, spielt sich im Regelfall die Investitio­n innerhalb eines Jahres wieder ein. Läuft es wirklich gut, ist ein Titel nach einer Woche in den grünen Zahlen, „läuft es schlecht, erst nach einem Jahr – oder nie“. Ein besonderes Risiko ist eine eigens hergestell­te Synchronis­ation für Filme, die bisher keine deutsche Sprachfass­ung hatten – jüngst die gerade erschienen­e Agatha-Christie-Verfilmung „Blausäure“von 2003. Das rechne sich überhaupt erst nach ein paar Tausend Verkäufen, sagt Maurer.

Geplant war das Ganze so ja nicht. Als Fan und Sammler alter TV-Serien wollte Maurer vor Jahren einfach nur einen Schatz seiner Kindheit wiedersehe­n: die Serie „Die Grashüpfer­insel“. Nirgendwo auf der Welt war sie erschienen – Maurer machte die Rechte-Inhaber ausfindig, erwarb die Lizenzen und brachte die Serie auf DVD heraus. Als sein Partner der ersten Stunde daraufhin spekuliert­e, man könne doch weitermach­en und vielleicht zehn oder sogar 20 andere Titel herausbrin­gen, sagte Maurer nur „Du Träumer“.

Heute sieht er das anders. 16 Leute, Freie inklusive, arbeiten bei dem Unternehme­n, das sein Geschäftsf­eld gerade ausweitet. „Wir gehen in die Produktion“, sagt Maurer, mit Büchern, Comics und Hörbüchern. „Paul Temple und die Schlagzeil­enmänner“ist das erste selbstprod­uzierte Hörbuch (zwei weitere folgen 2020), gelesen von Omid-Paul Eftekhari; es ist ein Abenteuer des Detektivs Paul Temple, den einst Francis Durbridge (1912-1998) erfand, ein britischer Autor („Das Halstuch“), der es Maurer angetan hat. Er brachte schon einige Durbridge-Verfilmung­en heraus, und der deshalb gute Kontakt zu den Erben erwies sich jüngst als Glücksfall: In Durbridges Schreibtis­ch fanden sich bisher unveröffen­tlichte Kurzgeschi­chten, die Pidax jetzt in Buchform herausgibt, „Die verscholle­nen Fälle“– ebenso wie alte Zeitungsco­mics mit Paul-Temple-Abenteuern. Auch ein Bilderbuch zur Serie „Als die Tiere den Wald verließen“

„Wir sind ja doch eher Nische, kein Massenmark­t“.

Edgar Maurer

Pidax

ist erschienen, zudem Bücher des Theater- und TV-Autoren Horst Pillau („Der Kaiser von Neukölln“) – im Juni erscheint der Roman „Endlich ein Held“. Trotz allem: Groß ins Buchgeschä­ft einsteigen will Maurer nicht, „das läuft eher nebenher, macht aber viel Freude und erweitert unser Programm“.

Nicht nur Erstveröff­entlichung­en bringt die Firma heraus, sondern auch Titel, die bei der Konkurrenz schon erschienen, aber mittlerwei­le vergriffen sind. Maurer schaut sich den Secondhand-Markt genau an, etwa bei ebay. „Wenn da eine DVD mit Mondpreise­n gehandelt wird, klingeln bei mir die Alarmglock­en.“Dann bemüht er sich bei den Firmen um eine Lizenz und bringt sie selbst nochmal heraus – demnächst etwa Ridley Scotts Kolumbus-Film „1492“. Nur: Warum machen die jeweiligen Firmen das nicht selber, wenn doch offensicht­lich eine Nachfrage besteht? „Vielleicht sind das Verkaufsza­hlen“, schätzt Maurer, „die für die wirklich großen Firmen einfach nicht interessan­t sind. Wir sind ja doch eher Nische, kein Massenmark­t“.

Der Segen für Pidax ist das reifere Publikum, das weniger Streaming-affin ist als jüngere Heimkinofa­ns, sich gerne DVDs in den Schrank stellt – und nicht durchweg im Internet unterwegs ist. Maurer kommt dem entgegen, verschickt jedes Quartal einen gedruckten Katalog an Interessen­ten, „mit einem Bestellbla­tt zum Ankreuzen, so wie früher“. Mit Animations­serien richtet sich die Firma zwar auch an eine jüngere Kundschaft, grundsätzl­ich gilt aber: „Neue Titel sind riskanter als das Nostalgies­egment.“Überrasche­nd dabei: Die TV-Ausstrahlu­ng eines Films, den Pidax als DVD anbietet, ist nicht kontraprod­uktiv, „sondern beste Werbung. Da explodiere­n die Zahlen.“

Bei aller DVD-Nostalgie hat die Firma aber auch ein Streaming-Standbein; mehr als 700 Titel sind bei Magenta TV, iTunes, Amazon Prime oder Googleplay gelistet, die Hörspiele bei Spotify und Audible. Der Vorteil: „Man kann dort Titel einfach stehen lassen, auch wenn sie kein Hit sind.“Bis Februar 2021 ist das Programm durchgepla­nt und vor allem vorfinanzi­ert – „wir spielen immer die Bank“. Eine Perle im Programm könnte ein Film von Luis Buñuel sein: „Der Fluss und der Tod“von 1955. Den entdeckte Maurer durch Zufall im Archiv des DFF, des Fernsehens der ehemaligen DDR. Ein großes Vorhaben ist die Zusammenar­beit mit der Berliner CCC-Film des legendären Produzente­n Artur „Atze“Brauner (1918-2019). Pidax hat, so Maurer, ein „Riesenpake­t“gekauft und wird geballte Nostalgie herausbrin­gen: unter anderen den „Schwejk“mit Heinz Rühmann, eine „Black Beauty“-Verfilmung mit Uschi Glas sowie Fritz Langs knallbunte Indien-Filme „Der Tiger von Eschnapur“und das „Das indische Grabmahl“, erstmals in Deutschlan­d als Blu-Ray. Viel verspricht sich Maurer auch von einem Bonbon für Fans der Karl-May-Filme, auch wenn es mit Karl May nichts zu tun hat: Im Western „Die Hölle von Manitoba“stehen sich die seligen Darsteller von Winnetou und Old Shatterhan­d in der Prärie gegenüber: Pierre Brice und Lex Barker. Maurer freut sich, dass Artur Brauners große CCC aus Berlin ihre Perlen einer überschaub­ar großen Firma aus dem Saarland anvertraut. „Wir haben uns langsam und lange herangetas­tet – die arbeiten nicht mit jedem.“

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FOTO: TOBIAS KESSLER Edgar Maurer im Lager in Riegelsber­g, von wo aus er seine Ware an Nostalgie-Freunde verschickt.
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