Neue TV-Doku über den Lebacher Soldatenmord
Der „Soldatenmord von Lebach“aus dem Januar 1969 ist ein erschreckendes Stück saarländischer Geschichte. Eine neue Dokumentation erinnert an die Opfer und an das Leiden der Angehörigen.
Es war ein Verbrechen, das die Menschen bundesweit erschüttert hat – der „Soldatenmord von Lebach“: In der Nacht vom 19. auf den 20. Januar 1969 überfallen drei Männer das Munitions-Depot der Bundeswehr in Lebach. Sie erschießen drei der fünf Wachsoldaten im Schlaf: Dieter Horn, Erwin Poh und Arno Bales. Die Soldaten Ewald Marx und Reinhard Schulz überleben den Überfall mit schwersten Verletzungen – Marx erliegt ihnen im Februar, sechs Wochen nach dem Überfall; Schulz übersteht ein Dutzend Messerstiche und mehrere Kugeln im Körper, er stirbt 2006 an Krebs. Nach einer aufwendigen Fahndung bei höchstem öffentlichen Interesse und einem entscheidenden Hinweis im Zuge der ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY … ungelöst“werden die Täter gefunden, die bei dem Überfall Waffen und Munition erbeuteten. Im August 1970 werden zwei Angeklagte wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt, der dritte Angeklagte zu sechs Jahren Gefängnis.
Die Tat, mitsamt Ermittlungsarbeit und Prozessrummel, hat sich eingebrannt, sie ist ein Stück saarländischer Geschichte. Aber sie ist eben auch schon 51 Jahre her; Jüngere kennen möglicherweise den Begriff „Soldatenmord von Lebach“– wissen oft aber nicht mehr als das. Zumal außer einem Gedenkstein auf dem Kasernengelände nichts an die Tat und deren Opfer erinnert, auch nicht in Lebach selbst. Der Ort des Verbrechens, das damalige Munitionsdepot, gehört nicht mehr der Bundeswehr und wird heute privat genutzt. Eine Gedenkveranstaltung zum 50. Jahrestag im Januar 2019 fand in der Kaserne statt – die Öffentlichkeit war nicht eingeladen.
An die Tat und die Schockwelle, die sie auslöste, erinnern nun die Saarbrücker Filmemacher Mirko Tomic und Markus Rupp mit ihrer Dokumentation „Der Soldatenmord von Lebach“. Ihnen geht es um ein „Erinnern nicht nur an die Opfer, sondern auch an die psychischen Folgen der
Tat“, wie Tomic sagt – ihr 45-Minuten-Film ist fern üblicher, dramatisch aufgebauschter „History“-TV-Dokus, er soll auch keine Kriminalgeschichte nachzeichnen, mit Tat, Aufklärung und der Verurteilung als Finale. „Es geht uns um die Opfer, nicht um die Täter“, sagt Rupp, der Mitte der 1990er seinen Wehrdienst in der Lebacher Kaserne absolvierte und dort auf den Gedenkstein aufmerksam wurde.
Mit einer Fernsehansprache des damaligen Ministerpräsidenten Franz-Josef Röder am 20. Januar 1969 beginnt der Film, mit historischen Fotos und einem Kameraflug über das Gelände der Graf-Haeseler-Kaserne in Lebach. Hier stehen Kameraden von einst, die die Opfer kannten – einer der alten Herren hatte seinen Dienst noch kurzfristig mit einem der später Ermordeten getauscht und ist der Tat somit entgangen. Etwas, was man wohl sein Leben lang mit sich herumträgt. „Es hört nicht auf“, sagt einer der sichtlich Angepackten am Gedenkstein, „auch wenn es schon 50 Jahre her ist“. Den Mord zeigt der Film als Spielszene, nicht mit ausgewalzter Gewalt, aber doch mit einiger – notwendiger – Härte, um die eisige Brutalität und den kollektiven Schock nach dem Verbrechen deutlich zu machen. Wer die Täter sind, erklärt die Dokumentation erst später und in knapper Form. Tomic und Rupp geht es eben um die Opfer und die Erinnerung an sie. Sie haben die Schwester des ermordeten Ewald Marx gefunden und befragt; Lieselotte Feierler erzählt von ihrem Bruder, der seit über 50 Jahren tot ist; ein Fan von James Dean war er, von Beat-Musik, voller Lebensfreude. In den letzten Tagen seines Lebens im Homburger Klinikum war der Schwerverletzte weggetreten, auf die Besuche seiner Familie reagierte er nicht mehr. Die Schwester erinnert sich daran, wie die Eltern mit dem Tod des Sohnes umgingen – die Mutter brach zusammen, der Vater versuchte mühsam, seine Gefühle nicht zu zeigen, die Fassade intakt zu halten. Es fraß an seinem Innern.
Der Umgang mit Gefühlen, mit seelischen Verletzungen, ist ein grundlegendes Thema des Films, der durchaus kritisiert, dass es für die Überlebenden und die Angehörigen der Opfer keinerlei Nachsorge gegeben habe. „Das finde ich erschütternd“, sagt Tomic – ebenso, dass die Kameraden der Toten bei der nächsten Schicht im Munitionsdepot Wache halten mussten, zwischen den Einschusslöchern in den Wänden, mit einem frisch vom Blut gesäuberten Boden. „Unterm Stahlhelm wird nicht geweint“, bemerkt einer der Kameraden von einst bitter. „Ängste waren damals Privatsache“, sagt der Kriminologe Christian Pfeiffer im Film, „der Staat wusste nicht, wie man mit Leiden umgeht“.
Entsprechend allein gelassen wurde auch der einzige Überlebende
Reinhard Schulz. Rupp und Tomic haben die Familie des 2006 gestorbenen Mannes in Dortmund gefunden. „Er war damals drei Monate im Krankenhaus“, erzählt sein Bruder, „aber Hilfe bekam er nicht“. Seine Schwestern berichten, dass Schulz zeitlebens unter Albträumen litt, als erwachsener Mann manchmal nachts zu seinen Eltern ins Bett kroch. „Wir sind mit Angst aufgewachsen“, sagt eine der Schwestern.
Große Angst hatte Schulz, als er beim Prozess den Angeklagten gegenüberstehen musste, juristisch unnötig, eine Seelenqual und im Grunde „inszeniert“, wie Kriminologe Pfeiffer es nennt – das passt ins Bild, wurde der Prozess, der im Juni 1970 begann, doch wegen des großen öffentlichen Interesses in der Saarbrücker Congresshalle (!) verhandelt, was der Film mit Archivbildern des SR von damals zeigt. „Wie im Kino“sei das, sagt da eine Prozesszuschauerin, und man spürt, dass viele im Publikum aus reiner Sensationslust da sind. Eine eindrückliche Archivszene vom Prozess:
Der sichtlich nervöse Schulz drückt seine Zigarette aus und macht sich auf in die Halle, wo er den Angeklagten gegenübertreten muss. Ein kurzer, grausiger Moment.
Dass die Angeklagten im Film, abgesehen von den Szenen der Tat, wo sie von Schauspielern verkörpert werden, kaum präsent sind, ist eine der Stärken des eindrücklichen Films, der seinen Fokus bewusst anders setzt als eine übliche Kriminaldoku. Das Kuriose dabei: Hätten Tomic und Rupp mehr über sie erzählen wollen, wäre das schwierig gewesen. Denn ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1973, das sogenannte Lebach-Urteil, untersagt als Schutz der Persönlichkeitsrechte der Täter die Nennung ihrer Namen und das Zeigen ihrer Gesichter. Einer der Täter hatte 1972 erfolgreich gegen die Ausstrahlung einer Dokumentation des ZDF geklagt, weil er durch sie seine Resozialisierung gefährdet sah. Ein Sat.1-Film zum Thema entstand 1996, wurde aber nach juristischen Auseinandersetzungen erst 2005 gesendet.
Tomic und Rupp haben sich juristisch beraten lassen, um Probleme zu vermeiden. Mehr Fokus auf die Täter hätte ohnehin nicht in ihr Konzept gepasst – aber gerade durch die Grundidee, Angehörige zu befragen, stand das Projekt lange auf sehr wackligen Beinen. Seit Sommer 2017 haben die beiden daran gearbeitet. „Hätten wir gewusst, wie lange das dauert und wie schwierig es ist“, sagt Tomic, „hätten wir es wohl nicht gemacht.“Die anderen Soldaten von damals zu finden, war vergleichsweise einfach, sagt Tomic. Doch deren Präsenz wäre dem
Duo zu wenig gewesen: Die Angehörigen der Opfer mussten zu Wort kommen. Tomic und Rupp nahmen Kontakt zu den Familien der drei Soldaten auf, die in der Tatnacht starben. „Doch sie haben uns alle abgesagt“, sagt Tomic – und kann es verstehen. „Auch die Kinder, die heute Mitte, Ende 50 sind, hatten kein Interesse. Die haben das verarbeitet und wollen das nicht noch einmal durchmachen.“
Damit schien das Projekt so gut wie am Ende – zumal die beiden Filmemacher zwar die letzte noch lebende Gutachterin des Prozesses gefunden hatten, diese nach monatelanger Kontaktaufnahme dann doch ihre Mitarbeit absagte. Weniger überraschend hatte auch der Rädelsführer der Täter, der bis heute im Saarbrücker Lerchesflur-Gefängnis in Haft sitzt, einen Kontakt verweigert. Eine frustrierende Zeit für Tomic und Rupp. „Doch der Film war gerettet“, sagt Rupp, als sie dann doch Marx‘ Schwester fanden und die Familie von Schulz.
Was der Film auch thematisiert: Hätten die Vorgesetzten der Soldaten die Sicherung des Depots strenger gehandhabt („es war ja Frieden“, sagt einer der Kameraden von einst), und hätten die Soldaten trotz Wache nicht geschlafen, wäre die Tat so wohl nicht möglich gewesen. Im Film spricht der damalige Kompaniechef Günter Wassenberg heute sogar von einer „doppelten Schuld“und von einem „groben Wachvergehen“.
Der Kritik zum Trotz: Die Bundeswehr habe bei der Arbeit am Film sehr geholfen, sagt Tomic, „aus dem Verteidigungsministerium kam das Signal, dass unsere Dreharbeiten unterstützt werden sollen“. Das geschah auch bei den Spielszenen – dem nächtlichen Überfall, gedreht an anderthalb langen Tagen mit einem 37-Personen-Team am tatsächlichen Schauplatz, unter anderem mit Nicholas Bertholet und Gerrit Bernstein vom Saarbrücker Theater Überzwerg. Waffen und Uniformen waren Leihgaben aus dem Museum der Bundeswehr. Brutale Szenen sind es, die das Schlimmste aber noch aussparen, die Bilder der Opfer. „Wir haben die grausigen Fotos von damals gesehen“, sagt Tomic, „das hätten wir nicht im Film zeigen können“. Ein „Massaker“sei es gewesen, sagt Rupp.
Mit dem Sohn von Reinhard Schulz am Grab des Vaters und der Schwester von Ewald Marx schließt der Film – die Dankbarkeit, dass nach 51 Jahre noch an das Leid der Opfer erinnert wird, ist zu spüren. Für die beiden Regisseure ist ihr Film, wie Mirko Tomic es formuliert, „ein Gedenkstein, wie er in Lebach bis heute fehlt“.
Termin: Am heutigen Donnerstag ab 20.15 Uhr im SR Fernsehen. Danach ist der Film in der SR-Mediathek zu sehen, eine Ausstrahlung in den anderen Dritten Programmen ist geplant.