Corona-Krise belastet die Sozialkassen
Der Arbeitslosenversicherung droht ein Milliarden-Loch. Die Krankenversicherung will mehr Geld vom Bund.
Das deutsche Sozialsystem schlägt sich in der Corona-Krise bislang gut. Die Stärkung des Kurzarbeitergeldes hat Massenentlassungen verhindert. Doch zusätzliche Kosten belasten die Sozialkassen.
Das deutsche Sozialsystem schlägt sich in der Corona-Krise bislang gut. Die Stärkung des Kurzarbeitergeldes hat Massenentlassungen verhindert und der massive
Ausbau der Intensivmedizin Schreckensbilder wie in Italien oder den USA. Die zusätzlichen Kosten belasten die Sozialkassen jedoch zum Teil erheblich. Beitragserhöhungen, die die Arbeit verteuern, scheinen auf mittlere Sicht deshalb genauso unvermeidlich zu sein wie erhöhte Steuerzuschüsse. Nachfolgend ein Überblick über die Lage der einzelnen Versicherungszweige:
Arbeitslosenversicherung: 36,6 Milliarden Euro wollte die Bundesagentur für Arbeit (BA) 2020 ausgeben. Die Einnahmen waren auf gut 35 Milliarden Euro veranschlagt. Doch allein schon wegen der möglicherweise bis zu zehn Millionen Kurzarbeiter werden die Beitragseinnahmen deutlich geringer ausfallen, derweil die Gesamtausgaben deutlich steigen. Die BA schätzt den Mehrbedarf aktuell auf bis zu 31 Milliarden Euro. Der größte Teil davon ließe sich durch die vorhandene Rücklage in Höhe von immerhin noch 26 Milliarden Euro auffangen. Doch es bliebe ein Fehlbetrag von gut fünf Milliarden Euro, den der Bund über ein Darlehen ausgleichen würde. Dieses Darlehen müsste von der BA aber wieder zurückgezahlt werden. Ob deshalb am Ende der Beitragssatz steigt, ist noch unklar. Gegenwärtig sind es 2,4 Prozent vom Bruttolohn.
Krankenversicherung: Auch die gesetzlichen Krankenkassen (GKV) verfügen über Rücklagen von gut 19 Milliarden Euro. Allerdings schmelzen die Reserven offenbar immer schneller weg. Schon 2019 überstiegen die Ausgaben der Kassen ihre laufenden Einnahmen um 1,5 Milliarden Euro. Das hat viel mit den kostenintensiven Gesundheitsreformen zu tun. Nun kommen noch Mehrausgaben etwa für Corona-Tests und weitere Intensivbetten hinzu. Dank der festen Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds werden die Kassen in diesem Jahr noch keine größeren Probleme haben. Experten rechnen aber damit, dass dem Fonds wegen der geringeren Beitragseinnahmen bis Ende 2020 das Geld ausgeht. In diesem Fall springt der Bund nach geltender Rechtslage auch hier mit einem Darlehen ein, das ebenfalls zurückzuzahlen ist. Um Beitragserhöhungen zu verhindern, drängt der GKV-Spitzenverband die Bundesregierung, das Darlehen in einen Zuschuss zu verwandeln. Schon jetzt beteiligt sich der Bund mit Steuermitteln an der Finanzierung des Fonds. Nach einer Vereinbarung zwischen Regierung und GKV soll darüber „spätestens im Herbst“verhandelt werden.
Rentenversicherung: Die Rentenversicherung ist ebenfalls noch gut gepolstert. Ende März betrug die Rücklage 38,3 Milliarden. Das entspricht gut 1,6 Monatsausgaben. Die Corona-Krise belastet die Rentenkasse weniger als andere Sozialkassen, weil die Arbeitsagentur zum Beispiel auch für Kurzarbeiter Rentenbeiträge
zahlt. Allerdings in verringertem Maße. Mindereinnahmen in diesem Jahr – Schätzungen gehen von acht Milliarden Euro aus – ließen sich trotzdem noch gut verkraften. Im Gesetz ist allerdings eine doppelte Haltelinie festgelegt. Bis 2025 darf demnach das Rentenniveau die Marke von 48 Prozent nicht unterschreiten und der Rentenbeitrag 20 Prozent nicht überschreiten. Nach bisheriger Schätzung soll sich der Beitrag von derzeit 18,6 Prozent erstmals im Jahr 2024 erhöhen. Nun wird mit einer früheren Beitragsanhebung gerechnet. Laut Gesetz ist sie zwingend erforderlich, wenn die Reserve auf weniger als 0,2 Monatsausgaben
abschmilzt.
Pflegeversicherung: Schon vor Corona gingen Experten davon aus, dass die Reserven der Pflegekasse in Höhe von aktuell 6,6 Milliarden Euro spätestens 2022 aufgebraucht sein würden. Bis Ende Juni soll laut Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) grundsätzlich ein neues Finanzierungskonzept stehen, das erstmals auch Steuermittel vorsehen könnte. Durch Corona ist der Druck dafür weiter gewachsen. Über die Pflegekasse werden zum Beispiel alle zusätzlichen Hygienemaßnahmen in den Heimen bezahlt. Auch der Pflege-Bonus geht zunächst zu ihren Lasten.