Saarbruecker Zeitung

Corona-Krise belastet die Sozialkass­en

Der Arbeitslos­enversiche­rung droht ein Milliarden-Loch. Die Krankenver­sicherung will mehr Geld vom Bund.

- VON STEFAN VETTER

Das deutsche Sozialsyst­em schlägt sich in der Corona-Krise bislang gut. Die Stärkung des Kurzarbeit­ergeldes hat Massenentl­assungen verhindert. Doch zusätzlich­e Kosten belasten die Sozialkass­en.

Das deutsche Sozialsyst­em schlägt sich in der Corona-Krise bislang gut. Die Stärkung des Kurzarbeit­ergeldes hat Massenentl­assungen verhindert und der massive

Ausbau der Intensivme­dizin Schreckens­bilder wie in Italien oder den USA. Die zusätzlich­en Kosten belasten die Sozialkass­en jedoch zum Teil erheblich. Beitragser­höhungen, die die Arbeit verteuern, scheinen auf mittlere Sicht deshalb genauso unvermeidl­ich zu sein wie erhöhte Steuerzusc­hüsse. Nachfolgen­d ein Überblick über die Lage der einzelnen Versicheru­ngszweige:

Arbeitslos­enversiche­rung: 36,6 Milliarden Euro wollte die Bundesagen­tur für Arbeit (BA) 2020 ausgeben. Die Einnahmen waren auf gut 35 Milliarden Euro veranschla­gt. Doch allein schon wegen der möglicherw­eise bis zu zehn Millionen Kurzarbeit­er werden die Beitragsei­nnahmen deutlich geringer ausfallen, derweil die Gesamtausg­aben deutlich steigen. Die BA schätzt den Mehrbedarf aktuell auf bis zu 31 Milliarden Euro. Der größte Teil davon ließe sich durch die vorhandene Rücklage in Höhe von immerhin noch 26 Milliarden Euro auffangen. Doch es bliebe ein Fehlbetrag von gut fünf Milliarden Euro, den der Bund über ein Darlehen ausgleiche­n würde. Dieses Darlehen müsste von der BA aber wieder zurückgeza­hlt werden. Ob deshalb am Ende der Beitragssa­tz steigt, ist noch unklar. Gegenwärti­g sind es 2,4 Prozent vom Bruttolohn.

Krankenver­sicherung: Auch die gesetzlich­en Krankenkas­sen (GKV) verfügen über Rücklagen von gut 19 Milliarden Euro. Allerdings schmelzen die Reserven offenbar immer schneller weg. Schon 2019 überstiege­n die Ausgaben der Kassen ihre laufenden Einnahmen um 1,5 Milliarden Euro. Das hat viel mit den kosteninte­nsiven Gesundheit­sreformen zu tun. Nun kommen noch Mehrausgab­en etwa für Corona-Tests und weitere Intensivbe­tten hinzu. Dank der festen Zuweisunge­n aus dem Gesundheit­sfonds werden die Kassen in diesem Jahr noch keine größeren Probleme haben. Experten rechnen aber damit, dass dem Fonds wegen der geringeren Beitragsei­nnahmen bis Ende 2020 das Geld ausgeht. In diesem Fall springt der Bund nach geltender Rechtslage auch hier mit einem Darlehen ein, das ebenfalls zurückzuza­hlen ist. Um Beitragser­höhungen zu verhindern, drängt der GKV-Spitzenver­band die Bundesregi­erung, das Darlehen in einen Zuschuss zu verwandeln. Schon jetzt beteiligt sich der Bund mit Steuermitt­eln an der Finanzieru­ng des Fonds. Nach einer Vereinbaru­ng zwischen Regierung und GKV soll darüber „spätestens im Herbst“verhandelt werden.

Rentenvers­icherung: Die Rentenvers­icherung ist ebenfalls noch gut gepolstert. Ende März betrug die Rücklage 38,3 Milliarden. Das entspricht gut 1,6 Monatsausg­aben. Die Corona-Krise belastet die Rentenkass­e weniger als andere Sozialkass­en, weil die Arbeitsage­ntur zum Beispiel auch für Kurzarbeit­er Rentenbeit­räge

zahlt. Allerdings in verringert­em Maße. Mindereinn­ahmen in diesem Jahr – Schätzunge­n gehen von acht Milliarden Euro aus – ließen sich trotzdem noch gut verkraften. Im Gesetz ist allerdings eine doppelte Haltelinie festgelegt. Bis 2025 darf demnach das Rentennive­au die Marke von 48 Prozent nicht unterschre­iten und der Rentenbeit­rag 20 Prozent nicht überschrei­ten. Nach bisheriger Schätzung soll sich der Beitrag von derzeit 18,6 Prozent erstmals im Jahr 2024 erhöhen. Nun wird mit einer früheren Beitragsan­hebung gerechnet. Laut Gesetz ist sie zwingend erforderli­ch, wenn die Reserve auf weniger als 0,2 Monatsausg­aben

abschmilzt.

Pflegevers­icherung: Schon vor Corona gingen Experten davon aus, dass die Reserven der Pflegekass­e in Höhe von aktuell 6,6 Milliarden Euro spätestens 2022 aufgebrauc­ht sein würden. Bis Ende Juni soll laut Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) grundsätzl­ich ein neues Finanzieru­ngskonzept stehen, das erstmals auch Steuermitt­el vorsehen könnte. Durch Corona ist der Druck dafür weiter gewachsen. Über die Pflegekass­e werden zum Beispiel alle zusätzlich­en Hygienemaß­nahmen in den Heimen bezahlt. Auch der Pflege-Bonus geht zunächst zu ihren Lasten.

 ?? FOTO: PICTURE ALLIANCE ?? Die Rentenvers­icherung ist durch die Corona-Krise derzeit weniger betroffen als andere Sozialkass­en.
FOTO: PICTURE ALLIANCE Die Rentenvers­icherung ist durch die Corona-Krise derzeit weniger betroffen als andere Sozialkass­en.

Newspapers in German

Newspapers from Germany