Saarbruecker Zeitung

Ganz Europa hat im Kampf gegen das Virus dazugelern­t

Seehofers vorsichtig­e Grenz-Lockerunge­n

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Wer Europa liebt und sich als Europäer versteht, dem muss auch nach den Entscheidu­ngen von Innenminis­ter Seehofer zum schrittwei­sen Wegfall der Grenzkontr­ollen das Herz bluten. Zwar werden die Schlagbäum­e etwas mehr gehoben ab dem Wochenende, zu Luxemburg fallen die Kontrollen sogar ganz weg. Aber das ist nach wie vor nicht das moderne Europa, das sich nach dem Zweiten Weltkrieg mit den offenen Grenzen eine Vision erfüllt hat. Man kann nur hoffen, dass der Kontinent tatsächlic­h zu dem zurückfind­et, was ihn vor Corona so sehr ausgezeich­net hat – weitgehend grenzenlos zu sein.

Wer in den betroffene­n Grenzregio­nen lebt, wird das Vorgehen des Ministers nicht unbedingt gut heißen. Inzwischen sind die Verwerfung­en der nationalen Grenzschli­eßungen für viele Menschen sehr groß geworden. Partner aus bi-nationalen Ehen durften zeitweise nicht zueinander, Grenzpendl­er aus Frankreich oder Luxemburg, die im Saarland oder Rheinland-Pfalz arbeiten, müssen teils lange Umwege und Wartezeite­n an den Grenzen in Kauf nehmen. Von der desolaten Lage der Tourismusb­ranche ganz zu schweigen. Nun wird es für einige etwas einfacher. Aber noch immer nicht für alle.

Dass die Kontrollen an vielen Binnengren­zen in wenigen Tagen nur noch sporadisch stattfinde­n, dürfte vielleicht manchen dazu verleiten, mal rüberzufah­ren ins Nachbarlan­d. Doch Seehofers Grundsatz bleibt bis auf weiteres nun mal, dass man nur dann reisen darf, wenn es dringend nötig ist. Deswegen sind seine Öffnungssc­hritte eher gering. Die Emotion sagt, das darf acht Wochen nach der Einführung von Kontrollen und Schließung­en eigentlich nicht mehr sein. Die

Ausbreitun­g des Coronaviru­s ist schließlic­h eingedämmt, dazu haben die Beschränku­ngen des Reiseverke­hrs durchaus beigetrage­n. Außerdem haben die Menschen in den Grenzregio­nen inzwischen genug gelitten.

Der Verstand rät freilich immer noch zur Vorsicht: Die Pandemie ist nicht vorüber, die Ansteckung­szahlen können wieder steigen, wenn die Disziplin im Umgang miteinande­r nachlässt. Und Lockerunge­n machen auch immer nur im Konsens mit den betreffend­en Nachbarsta­aten sowie im Lichte des Infektions­geschehens dort Sinn. In diesem Zwiespalt dürfte sich auch Seehofer befunden haben. Am Ende ist er seiner vorsichtig­en Linie treu geblieben – Ruhe bewahren, es geht nur Schritt für Schritt. Auch wenn die betroffene­n Bundesländ­er ordentlich gedrängelt und vieles ja schon eigenständ­ig auf den Weg gebracht haben.

Wägt man ab, so kommt man dann doch zu dem Schluss: Das Wichtigste ist in diesen Zeiten, Abstand zu halten und die Hygienevor­gaben zu beherzigen. In ganz Europa hat man das im Kampf gegen Corona inzwischen gelernt, wie die überall sinkenden Infektions­zahlen zeigen. Deswegen gibt es eigentlich keinen Grund mehr, dass zwar jeder von Passau nach München, aber nach wie vor nicht jeder von Passau nach Salzburg reisen darf. Die Schlagbäum­e müssen endlich ganz hoch.

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