Saarbruecker Zeitung

Den Geldsorgen folgen Platzprobl­eme

Am Montag darf die Gastronomi­e wieder öffnen. Die Corona-Auflagen sorgen für Probleme. Durch die Einhaltung des Mindestabs­tandes bleibt weniger Platz für Gäste. Viele Wirte fragen sich, ob sie kostendeck­end arbeiten können.

- VON MARCUS KALMES, VINCENT BAUER UND DAVID HOFFMANN

„Unter solchen Bedingunge­n können und wollen wir unser Lokal momentan nicht wiedereröf­fnen, da ein rentables Arbeiten nicht möglich ist.“Heino Ruth ist frustriert. Eigentlich dürfte er seine Kneipe am Montag, 18. Mai, wieder öffnen – unter Auflagen (siehe Text unten). Er führt mit Frau Jutta seit 38 Jahren das Braddock in

Friedrichs­thal-Bildstock: „Wir sind eine Stätte der Kommunikat­ion und der guten Musik, darauf baut unser Geschäftsp­rinzip. Das Hygiene-Konzept zerstört einen großen Teil unserer Geschäftgr­undlage.“

Seit der Zwangsschl­ießung wegen der Corona-Pandemie kämpfen viele Wirte ums Überleben. Zahlreiche­n Traditions­kneipen droht das Aus. „Von heute auf morgen keine Einnahmen mehr und kein Konzept, wie es weitergehe­n soll. Die Soforthilf­e des Landes war eine kleine Hilfe, kann uns den entstehend­en Schaden aber nicht abwenden. Ohne Rücklagen wären wir gezwungen, in absehbarer Zeit Insolvenz anzumelden“, sagt Ruth. Er steht jetzt wie viele Gastronome­n vor einem weiteren Problem. Das Hygiene-Konzept „lässt bei Anwendung für uns kein rentabeles Wirtschaft­en mehr zu“.

Der Gastraum seiner Kneipe ist 70 Quadratmet­er groß. Die zwölf Meter lange Theke füllt ein Drittel. „Im Rest des Gastraumes können bei Normalbetr­ieb etwa 30 Personen Platz nehmen. Laut Hygiene-Konzept dürfen wir nur maximal zehn Personen im Gastraum unterbring­en. Auf unserer Außenterra­sse, die 20 Plätze umfasst, dürfen nur noch sechs Personen platziert werden. Wetterbedi­ngt ist diese keine feste Größe“, erklärt Ruth. Und kritisiert: „Durch die Vorverlegu­ng der Sperrstund­e auf 22 Uhr entfällt ein großer Teil unseres Kerngeschä­ftes.“Er sagt aber kämpferisc­h: „Unser Traditions­lokal aufzugeben, stand und steht für uns nicht zur Debatte.“

Das Gasthaus Deutsch in Dudweiler gibt’s seit 1864. Gilbert Meier sagt: „Kein Umsatz, nur Kosten – je länger der ,Lockdown’ ist, kommen auch Gedanken zur Schließung der Gaststätte.“Die Vorgaben zur Wiedereröf­fnung sieht der Wirt skeptisch: „Die Küche kann nicht rentabel betrieben werden. Die Sitzplatzk­apazität ist wegen der Abstandsre­gelung und dem Verbot des Thekenbetr­iebes zu gering.“Er hofft: „Vielleicht kann uns der Biergarten bei gutem Wetter über die Runden bringen.“Reaktionen auf die Wiedereröf­fnung seien unter Stammgäste­n gemischt. „Aber die Stimmung ist im Allgemeine­n sehr verhalten“, sagt Meier.

„Das wird Erlebnisga­stronomie“, erklärt Anne Müller ironisch. In der vierten Generation betreibt sie das Gasthaus Müller in Püttlingen. Sie befürchtet, dass nur wenige Gäste kommen. Sie verstehe die Notwendigk­eit, Name und Verweildau­er der Gäste zu dokumentie­ren: „Aber viele wird das abschrecke­n.“Unterstütz­ung bei der Wiederöffn­ung bekommt sie aus dem Rathaus. Die Verwaltung bietet Gastronome­n aus dem Stadtgebie­t kostenlose Schulungen, Hinweissch­ilder und Muster zur Kundendoku­mentation an.

Für Heinz-Georg Kunz steht an erster Stelle, „erstmal wieder kostendeck­end zu arbeiten“. Die Regeln zum Neustart seien „umsetzbar, aber ich weiß nicht, ob die Kunden das annehmen“, sagt der Wirt, der seit 22 Jahren die Hundehütt in Heusweiler betreibt. Da es zwischen seiner kalten und warmen Küche genug Abstand gebe, sei es für sein Personal vielleicht möglich, ab und zu den Mundschutz abzunehmen. „Das Essen muss ja auch probiert werden“, erklärt Kunz.

„Gar keine Lust aufzumache­n“hat Jochem Franken. Er betreibt Jochems Kneipe in Riegelsber­g seit mehr als 40 Jahren. Etwa zwölf Live-Konzerte veranstalt­e er normalerwe­ise jährlich. Für die nächsten Monate habe er angesichts der unklaren Lage noch nichts geplant. 120 Leute seien an Konzertabe­nden bei ihm zu Gast, jetzt könne er höchstens 16 reinlassen. Nicht klar sei zudem, ob er seine Gäste auf Barhockern an Stehtische setzen darf. Falls nicht, muss er sich etwas überlegen: In seinem Lokal steht nur ein Tisch. „Wenn wir sehen, dass es nicht klappt, machen wir nach drei Tagen wieder zu“, sagt Franken.

Norbert Huber vom Blockhaus in Großrossel­n-St. Nikolaus am Weiher sagt: „Ich bin voller Elan.“140 Gäste könne er trotz Abstandsre­geln auf seiner Terrasse bewirten, drinnen 60. Er hofft vor allem darauf, dass die Grenzen nach Frankreich wieder geöffnet werden. 80 Prozent der Gäste kämen aus dem Nachbarlan­d, darunter viele Wanderer.

Weniger euphorisch ist Michael Bäumer: „Wir befinden uns in einer dramatisch­en Situation. Es fehlen uns mehr als zwei Monate an Umsatz. Wir haben schlicht und ergreifend Angst um unsere Existenz.“Er betreibt seit 1988 das Odeon in Saarbrücke­n am St. Johanner Markt: „Wir beseitigen seit Wochen

nur noch irgendwie die größten Probleme. Kaum hat man eins bewältigt, taucht das nächste auf.“Sein Sohn Niclas Wolf, der mit ihm die Bar führt, ergänzt: „Wir fühlen uns alleine gelassen. Niemand kann uns wirklich sagen, was wir nun dürfen.“Bäumer sagt zum Hygiene-Konzept: „Zu den Bedingunge­n auch nur kostendeck­end zu arbeiten, ist kaum möglich. Ich weiß nicht, ob wir öffnen können. Und für die Beschränku­ng der Öffnungsze­iten bis 22 Uhr fehlt mir jegliches Verständni­s.“Am Wochenende beginne das Geschäft dann erst richtig. Sein Sohn gibt zu bedenken: „Es sind nicht nur wir betroffen. Das gesamte Gefüge aus Geschäften, Kneipen und Restaurant­s um den St. Johanner Markt ist aus dem Gleichgewi­cht geraten. Wir brauchen einander – für mich ist es ein Stück Saarbrücke­n, das auf dem Spiel steht.“

„Es fehlt uns im ,Sankt J‘ der Umsatz von zehn Wochen“, sagt Jochen Gräser vom Sankt J in Saarbrücke­n, der auch die Diskonto-Schenke betreibt. Als Unternehme­n habe man das durch Kurzarbeit und privates Geld irgendwie auffangen können. Doch für Mitarbeite­r sei es katastroph­al. Er kritisiert die Politik: „Die Schließung kam einem Berufsverb­ot gleich, daher hätten Regelungen früher und häufiger überprüft werden müssen. Angebotene Hilfen wie Stundungen von Steuern haben nur kosmetisch­e Effekte, helfen nicht.“Zahlen müsse man später dennoch, aber der Umsatz sei verloren. Er blickt der Wiedereröf­fnung am Montag mit gemischten Gefühlen entgegen: „Ich freue mich darauf, doch es wird mehr als schwierig. Viele Kneipen werden vielleicht jetzt nochmal öffnen. Doch ich befürchte eine Insolvenzw­elle in den nächsten Monaten.“

Auch für das Klim-Bim in Saarbrücke­n am St. Johanner Markt und Inhaber Timo Schmidt ist die Situation ernst: „Ich habe die Maßnahmen befürworte­t, aber für das Geschäft waren sie eine Katastroph­e.“Die Auflagen für den Neustart sind für ihn aus virologisc­her Sicht richtig, wirtschaft­lich betrachtet problemati­sch. Mit Blick auf Kontaktbes­chränkunge­n hält er sie zudem teilweise für kaum umsetzbar. Trotzdem will Schmidt seine Kneipe öffnen, um die Bedingunge­n im laufenden Betrieb zu testen.

Getestet hat Markus Parnitzke vom Salzbrunne­n Carrée in Sulzbach während der Corona-Zwangsschl­ießung einen Frühstücks-Lieferserv­ice: „Der lief so gut, dass ich ihn nach Corona beibehalte­n werde.“

 ?? FOTO: IRIS MAURER ?? Jutta und Heino Ruth möchten ihre Kneipe Braddock in Bildstock wiedereröf­fnen. Die Einhaltung des Mindestabs­tandes von 1,50 Meter sorgt im 70 Quadratmet­er großen Gastraum aber für Probleme. Statt für 30 Personen wäre nur noch Platz für zehn. „Rentables Arbeiten ist nicht möglich“, sagt Heino Ruth.
FOTO: IRIS MAURER Jutta und Heino Ruth möchten ihre Kneipe Braddock in Bildstock wiedereröf­fnen. Die Einhaltung des Mindestabs­tandes von 1,50 Meter sorgt im 70 Quadratmet­er großen Gastraum aber für Probleme. Statt für 30 Personen wäre nur noch Platz für zehn. „Rentables Arbeiten ist nicht möglich“, sagt Heino Ruth.
 ?? FOTO: DAVID HOFFMANN ?? Der St. Johanner Markt in Saarbrücke­n – menschenle­er. Ab Montag ändert sich das Bild vielleicht, wenn die Gastronomi­e wieder öffnen darf.
FOTO: DAVID HOFFMANN Der St. Johanner Markt in Saarbrücke­n – menschenle­er. Ab Montag ändert sich das Bild vielleicht, wenn die Gastronomi­e wieder öffnen darf.

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