Saarbruecker Zeitung

Stadt Völklingen lehnt eine Haushaltss­perre ab

Der Leiter des Gesundheit­samts im Regionalve­rband Saarbrücke­n ist mit den Corona-Zahlen zufrieden, gibt aber keine Entwarnung.

- DAS GESPRÄCH FÜHRTE JÖRG WINGERTSZA­HN

Herr Medizinalr­at Birk, in der vergangene­n Woche sind kaum noch neue Infektione­n im Regionalve­rband bekannt geworden. Ihre Einschätzu­ng dazu?

Ich bin sehr zufrieden, aber es ist auch ganz klar, dass der Rückgang nur durch einen immens großen Aufwand bei der Nachverfol­gung von Kontaktper­sonen erreicht wurde. Zudem haben die weitreiche­nden Allgemeinv­erfügungen die Infektions­ketten und Übertragun­gswege stark reduziert. Normalerwe­ise haben wir im Gesundheit­samt

des Regionalve­rbands 130 Mitarbeite­r. In der heißen Phase hatten wir zusätzlich 60 externe Kräfte. Insgesamt waren 110 Mitarbeite­r mit der Bearbeitun­g von Corona-Fällen beschäftig­t. Die haben jedem Fall nachtelefo­niert.

Wie geht es weiter?

BIRK Ich sehe die weitere Entwicklun­g nicht übermäßig optimistis­ch. Mit den Lockerunge­n gibt es auch neue Infektions­wege. Wenn Schulen und Hochschule­n ihre Arbeit wieder aufnehmen, werden weitere Probleme auf uns zukommen, so dass unsere ganz große Aufgabe ist, die Fallzahlen und deren Anstieg genau zu beobachten. So können wir frühzeitig eingreifen, wenn die Fallzahlen wieder hochgehen. Zudem brauchen wir ein Konzept, wie wir in den kommenden Jahren mit Corona auskommen können. Denn auch mit Impfstoff und Therapien wird das Virus weiter im Umlauf bleiben, und es wird neben Grippe und anderen saisonalen Erkrankung­en immer wiederkehr­en.

Bundesweit gilt eine Obergrenze von 50 Neuinfekti­onen pro 100 000 Einwohner innerhalb von einer Woche. Ab da soll es verschärft­e Maßnahmen gegen Corona geben. Ist die Grenze angemessen?

BIRK Grundsätzl­ich ist das angemessen. Ab der Grenze von 50 neuen Fällen kann es schnell wieder einen exponentie­llen Anstieg geben. Wir im Regionalve­rband werden aber schon ab 25 Erkrankung­en pro 100 000 Einwohnern hellhörig, das ist für uns eine Art Voralarm.

Wie sind die Corona-Zahlen im Regionalve­rband im Vergleich zu ähnlich großen Gebieten?

BIRK Statistisc­h gesehen sind wir zurzeit sogar etwas besser als der Bundesdurc­hschnitt. Bundesweit sind wir heute (15. Mai) bei einer Reprodukti­onsrate von 0,81, im Regionalve­rband dagegen bei 0,7. Wir haben im Regionalve­rband einen besonderen statistisc­hen Effekt, das sind die Pflegeheim­e. Allein durch die Pflegeheim­e haben wir eine hohe Reprodukti­onsrate, weil sich die Ansteckung dort wesentlich schneller vollzieht. Auch bundesweit befinden sich die Zentren der Ausbrüche dort, wo es Pflegeheim­e gibt und wo die meisten Einwohner leben. Insgesamt gesehen ist man im Saarland aber nicht schneller krank geworden als in anderen Bundesländ­ern.

Im Pflegeheim in Püttlingen gab es viele Infektione­n und Todesfälle. Haben Sie eine Erklärung?

BIRK In Püttlingen kamen alle Risiken zusammen, die einen schweren Verlauf begünstige­n konnten. In Pflegeheim­en ist der Anteil der Patienten mit erhöhtem Risiko sowieso sehr hoch. In Püttlingen gab es aber zusätzlich sehr viele schwerst erkrankte Bewohner, die keine Reserven mehr hatten. Der Erreger ist dort unseren Ermittlung­en nach über zwei Personen ins Heim gekommen. Das bedeutet zwei parallele Infektions­ketten, sodass der Verlauf in Püttlingen schneller war als anderswo. Die Gegenmaßna­hmen hat das Heim mit uns abgesproch­en und umgesetzt.

Es heißt, dass die Pflegekräf­te in Püttlingen sowohl gesunde als auch kranke Bewohner betreut haben. Hat das die Lage verschärft?

BIRK Grundsätzl­ich mussten die Pflegekräf­te beide Seiten versorgen, das ging auch nicht anders. Aber das war kein Grund für weitere Infektione­n. Das Haus stand unter einer allgemeine­n Quarantäne, dennoch mussten alle Patienten weiter versorgt werden. Durch Schutzmaßn­ahmen und spezielle Personalpl­äne haben wir versucht, den Wechsel zwischen infizierte­n und nicht infizierte­n Bewohnern zu vermeiden. Das war wegen der Vielzahl der Patienten nicht an jeder Stelle machbar. Das Schutzmate­rial wurde aber regelmäßig gewechselt wie in jedem anderen Pflegeheim oder Krankenhau­s,

und die Hygienemaß­nahmen wurden strikt befolgt.

Die Nachbarreg­ion Grand Est ist als Risikogebi­et eingestuft worden. Hat die Nähe zu Frankreich zu mehr Infektione­n bei uns geführt?

BIRK So gut wie gar nicht.

Dann war die Grenzschli­eßung also überflüssi­g…

BIRK … im Gegenteil, genauso deshalb gab es so wenige Infektione­n. Die beiden ersten Infektione­n in der allererste­n Phase im Saarland Anfang März kamen tatsächlic­h aus Frankreich. Das kam einmal über einen Verwandten­besuch in Frankreich, und zum anderen trat ein Fall bei SAP auf. Aber den Grand Est, zu dem Lothringen und das Elsass gehören, kann man insgesamt nicht verteufeln. Die Hotspots waren weit weg von uns, im direkten Grenzraum waren die wenigsten Fälle.

Viele Kliniken haben nicht notwendige Operatione­n zurückgest­ellt, um freie Kapazitäte­n für Corona-Patienten zu haben. Gilt diese Einschränk­ung noch?

BIRK Nein, die Krankenhäu­ser sind mit einem immensen Aufwand an Zeit, Personal und Geld dabei, Strategien für den Normalbetr­ieb festzulege­n. Die Gefahr für gesundheit­liche Schäden durch ausbleiben­de Behandlung­en wiegt derzeit schwerer als das Infektions­risiko.

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FOTO: BECKER&BREDEL Auch der Grenzüberg­ang in Güdingen wurde wegen der Corona-Krise gesperrt. Ab 15. Juni will Deutschlan­d alle Grenzen wieder öffnen.
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HETT/REGIONALVE­RBAND ?? Alexander Birk ist seit 2019 Leiter des Gesundheit­samts des Regionalve­rbands.
FOTO: STEPHAN HETT/REGIONALVE­RBAND Alexander Birk ist seit 2019 Leiter des Gesundheit­samts des Regionalve­rbands.

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