Stadt Völklingen lehnt eine Haushaltssperre ab
Der Leiter des Gesundheitsamts im Regionalverband Saarbrücken ist mit den Corona-Zahlen zufrieden, gibt aber keine Entwarnung.
Herr Medizinalrat Birk, in der vergangenen Woche sind kaum noch neue Infektionen im Regionalverband bekannt geworden. Ihre Einschätzung dazu?
Ich bin sehr zufrieden, aber es ist auch ganz klar, dass der Rückgang nur durch einen immens großen Aufwand bei der Nachverfolgung von Kontaktpersonen erreicht wurde. Zudem haben die weitreichenden Allgemeinverfügungen die Infektionsketten und Übertragungswege stark reduziert. Normalerweise haben wir im Gesundheitsamt
des Regionalverbands 130 Mitarbeiter. In der heißen Phase hatten wir zusätzlich 60 externe Kräfte. Insgesamt waren 110 Mitarbeiter mit der Bearbeitung von Corona-Fällen beschäftigt. Die haben jedem Fall nachtelefoniert.
Wie geht es weiter?
BIRK Ich sehe die weitere Entwicklung nicht übermäßig optimistisch. Mit den Lockerungen gibt es auch neue Infektionswege. Wenn Schulen und Hochschulen ihre Arbeit wieder aufnehmen, werden weitere Probleme auf uns zukommen, so dass unsere ganz große Aufgabe ist, die Fallzahlen und deren Anstieg genau zu beobachten. So können wir frühzeitig eingreifen, wenn die Fallzahlen wieder hochgehen. Zudem brauchen wir ein Konzept, wie wir in den kommenden Jahren mit Corona auskommen können. Denn auch mit Impfstoff und Therapien wird das Virus weiter im Umlauf bleiben, und es wird neben Grippe und anderen saisonalen Erkrankungen immer wiederkehren.
Bundesweit gilt eine Obergrenze von 50 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner innerhalb von einer Woche. Ab da soll es verschärfte Maßnahmen gegen Corona geben. Ist die Grenze angemessen?
BIRK Grundsätzlich ist das angemessen. Ab der Grenze von 50 neuen Fällen kann es schnell wieder einen exponentiellen Anstieg geben. Wir im Regionalverband werden aber schon ab 25 Erkrankungen pro 100 000 Einwohnern hellhörig, das ist für uns eine Art Voralarm.
Wie sind die Corona-Zahlen im Regionalverband im Vergleich zu ähnlich großen Gebieten?
BIRK Statistisch gesehen sind wir zurzeit sogar etwas besser als der Bundesdurchschnitt. Bundesweit sind wir heute (15. Mai) bei einer Reproduktionsrate von 0,81, im Regionalverband dagegen bei 0,7. Wir haben im Regionalverband einen besonderen statistischen Effekt, das sind die Pflegeheime. Allein durch die Pflegeheime haben wir eine hohe Reproduktionsrate, weil sich die Ansteckung dort wesentlich schneller vollzieht. Auch bundesweit befinden sich die Zentren der Ausbrüche dort, wo es Pflegeheime gibt und wo die meisten Einwohner leben. Insgesamt gesehen ist man im Saarland aber nicht schneller krank geworden als in anderen Bundesländern.
Im Pflegeheim in Püttlingen gab es viele Infektionen und Todesfälle. Haben Sie eine Erklärung?
BIRK In Püttlingen kamen alle Risiken zusammen, die einen schweren Verlauf begünstigen konnten. In Pflegeheimen ist der Anteil der Patienten mit erhöhtem Risiko sowieso sehr hoch. In Püttlingen gab es aber zusätzlich sehr viele schwerst erkrankte Bewohner, die keine Reserven mehr hatten. Der Erreger ist dort unseren Ermittlungen nach über zwei Personen ins Heim gekommen. Das bedeutet zwei parallele Infektionsketten, sodass der Verlauf in Püttlingen schneller war als anderswo. Die Gegenmaßnahmen hat das Heim mit uns abgesprochen und umgesetzt.
Es heißt, dass die Pflegekräfte in Püttlingen sowohl gesunde als auch kranke Bewohner betreut haben. Hat das die Lage verschärft?
BIRK Grundsätzlich mussten die Pflegekräfte beide Seiten versorgen, das ging auch nicht anders. Aber das war kein Grund für weitere Infektionen. Das Haus stand unter einer allgemeinen Quarantäne, dennoch mussten alle Patienten weiter versorgt werden. Durch Schutzmaßnahmen und spezielle Personalpläne haben wir versucht, den Wechsel zwischen infizierten und nicht infizierten Bewohnern zu vermeiden. Das war wegen der Vielzahl der Patienten nicht an jeder Stelle machbar. Das Schutzmaterial wurde aber regelmäßig gewechselt wie in jedem anderen Pflegeheim oder Krankenhaus,
und die Hygienemaßnahmen wurden strikt befolgt.
Die Nachbarregion Grand Est ist als Risikogebiet eingestuft worden. Hat die Nähe zu Frankreich zu mehr Infektionen bei uns geführt?
BIRK So gut wie gar nicht.
Dann war die Grenzschließung also überflüssig…
BIRK … im Gegenteil, genauso deshalb gab es so wenige Infektionen. Die beiden ersten Infektionen in der allerersten Phase im Saarland Anfang März kamen tatsächlich aus Frankreich. Das kam einmal über einen Verwandtenbesuch in Frankreich, und zum anderen trat ein Fall bei SAP auf. Aber den Grand Est, zu dem Lothringen und das Elsass gehören, kann man insgesamt nicht verteufeln. Die Hotspots waren weit weg von uns, im direkten Grenzraum waren die wenigsten Fälle.
Viele Kliniken haben nicht notwendige Operationen zurückgestellt, um freie Kapazitäten für Corona-Patienten zu haben. Gilt diese Einschränkung noch?
BIRK Nein, die Krankenhäuser sind mit einem immensen Aufwand an Zeit, Personal und Geld dabei, Strategien für den Normalbetrieb festzulegen. Die Gefahr für gesundheitliche Schäden durch ausbleibende Behandlungen wiegt derzeit schwerer als das Infektionsrisiko.