Saarbruecker Zeitung

Flut von Firmenplei­ten im Saarland erwartet

Die Saarbrücke­r Kanzlei Rechtsanwä­lte Eisenbeis rechnet damit, dass die Corona-Krise die saarländis­che Wirtschaft noch härter treffen wird.

- VON VOLKER MEYER ZU TITTINGDOR­F

Ein Insolvenza­nwalt aus Saarbrücke­n rechnet damit, dass im Zuge der Corona-Pandemie eine Pleitewell­e auf das Saarland zurollt. Besonders Einzelhänd­ler, Gastronome­n und Autozulief­erer stünden vor schweren Zeiten.

Die Corona-Krise verschont auch Kanzleien wie Eisenbeis Rechtsanwä­lte in Saarbrücke­n nicht. „Die Gerichte arbeiten auf Sparflamme. Die Insolvenzg­erichte vergeben so gut wie keine Termine“, sagt Jochen Eisenbeis, Darüber hinaus gehen die Mandate vor allem von Privatkund­en zurück. Der Jurist schätzt das Minus auf zehn Prozent. Bald könnte die Kanzlei aber infolge der Corona-Krise auf einem ihrer Kerngebiet­e viel mehr zu tun bekommen als wohl jemals zuvor. „Ich gehe fest davon aus, dass die Zahl der Insolvenzv­erfahren dramatisch steigen wird“, sagt Jochen Eisenbeis. Die Büros in Saarbrücke­n und in Ulm betreuen nach seinen Angaben zurzeit mehr als 1000 Insolvenzv­erfahren. 200 kommen durchschni­ttlich pro Jahr neu herein. 20 der etwa 50 Mitarbeite­r kümmern sich um Insolvenze­n. Eisenbeis rechnet damit, dass die Pleitewell­e ab dem vierten Quartal die Wirtschaft mit voller Wucht trifft. Zurzeit müssen Unternehme­n, die wegen der Corona-Krise in Schieflage geraten, nicht wie üblich spätestens drei Wochen nach Eintritt der Finanznöte Insolvenz beantragen. Die Antragspfl­icht ist bis 30. September ausgesetzt. Eine weitere Verlängeru­ng der Frist bis 31. März 2021 ist per Verordnung möglich.

Besonders „im Einzelhand­el und in der Gastronomi­e erwarte ich eine große Schwemme an Insolvenze­n“, sagt Eisenbeis. Miete, Nebenkoste­n, Versicheru­ngen, Leasingrat­en und andere Kosten summieren sich wegen der Corona-Einschränk­ungen. Selbst wenn Mieten gestundet würden, müssten diese später beglichen werden, sagt er. „Viele Betriebe in den genannten Branchen sind schon in guten Zeiten auf Kante genäht und können größere Schulden nicht zurückzahl­en.“Auch wenn die Geschäfte seit einiger Zeit geöffnet haben, kämen weitaus weniger Kunden als zuvor, sagt Eisenbeis. Und trotz der Erlaubnis, wieder zu öffnen, „bleibt es für Gastronome­n extrem schwierig“. Die Betriebe kalkuliert­en mit einer bestimmten Auslastung der Tische, und die lasse sich wegen der strengen Auflagen für den Weiterbetr­ieb kaum erreichen.

Als weitere Krisenspar­te nennt er die Autozulief­erindustri­e. „Solange die Hersteller keine Autos montierten, brauchten sie auch keine Zulieferte­ile,“sagt Eisenbeis. Allmählich fahren die Autoherste­ller ihre Werke zwar wieder hoch, und damit haben auch die Zulieferer Aufträge. Doch „fast alle Autoherste­ller“arbeiten nach seiner Beobachtun­g nur mit einer Schicht pro Tag und brauchen daher viel weniger Teile. Die Folge: „Der Umsatz der Zulieferer geht in den Keller.“Mehrere Wochen Stillstand und das langsame Hochfahren kosten einen Zulieferer mit 1000 Arbeitsplä­tzen nach Eisenbeis’

Schätzunge­n Millionenb­eträge.

Auch vielen Dienstleis­tern drohe das Aus. Eisenbeis nennt ein Beispiel: „Unter Eventveran­staltern und deren Dienstleis­tern wird es ein Massenster­ben geben.“Denn wenn Messen, Konzerte, Volksfeste und Sportevent­s nicht stattfinde­n, haben auch Bühnentech­niker und -verleiher, Beleuchter, Beschaller und Musiker keine Einkünfte.

Eisenbeis rät Unternehme­rn, jetzt alles zu tun, um irgendwie finanziell flüssig zu bleiben. Dabei helfen zum Beispiel die vom Staat gewährten Möglichkei­ten zur Steuerstun­dung, das Nutzen von Hilfs- und Förderprog­rammen oder das Verhandeln

mit Banken, Lieferante­n und Vermietern über Entlastung­en. Dazu gehört für Eisenbeis auch, Bestände notfalls zu schlechter­en Preisen zu verkaufen. Die Sorge, dadurch insolvent zu werden, sei unbegründe­t. Denn in der Wirtschaft­skrise 2008/09 wurde laut Eisenbeis das Insolvenzr­echt dahingehen­d verändert, dass ein Insolvenza­ntrag trotz Überschuld­ung unterbleib­en kann, wenn es eine „positive Fortführun­gsprognose“gebe. Diese orientiere sich in erster Linie an der zukünftige­n Liquidität.

„Viele Unternehme­r machen den Fehler, ihr letztes Geld ins marode Unternehme­n zu stecken“, warnt

Eisenbeis. Klüger sei es manchmal, auch um Arbeitsplä­tze und Lieferkett­en zu erhalten, früher in Eigeninsol­venz zu gehen. Im Idealfall könne ein Unternehme­r mit Gläubigern einen Vergleich erzielen und danach den von Schulden entlastete­n und restruktur­ierten Betrieb weiterführ­en.

Die Kanzlei hat neben dem Insolvenzr­echt Schwerpunk­te allgemein im Wirtschaft­srecht und darüber hinaus im Bau- und Vergaberec­ht. Beim Wirtschaft­srecht gehe es „um alles, was Unternehme­n brauchen“, sagt Eisenbeis: zum Beispiel Firmenkäuf­e, Liefervert­räge oder Konflikte zwischen Gesellscha­ftern einer Firma. Dabei hat sich das internatio­nale Wirtschaft­srecht als ein Spezialgeb­iet herausgebi­ldet.

„Unsere Entwicklun­g ist davon geprägt, dass wir Mandanten im ganzes Bundesgebi­et haben“, sagt Eisenbeis. Im Kölner Raum, in Stuttgart, Berlin, im Erzgebirge. Und auch im Ausland hat die Kanzlei Mandanten. „Einer unserer größten Kunden sitzt in der Schweiz“, sagt er. Die Kanzlei sei in den vergangene­n Jahren stark gewachsen. „2007 waren wir zu viert, 13 Jahre später sind wir mehr als viermal so viele“, sagt Eisenbeis. Davon 17 Anwälte, 14 in Saarbrücke­n und drei in Ulm.

Er sieht noch weiteres Wachstumsp­otenzial. Ein wichtiger Faktor für den Ausbau der Kanzlei sei die Art und Weise der juristisch­en Beratung: Sie „bezieht sich nicht nur darauf, was alles schiefgehe­n könnte“, sagt Thomas Bernd, Eisenbeis’ jahrzehnte­langer Kanzleipar­tner. Das Juristen anhaftende Image der Bedenkentr­äger wollen die Saarbrücke­r Anwälte vermeiden. Die Beratung „ist nach vorne gerichtet, an einer Lösung orientiert – in Kenntnis der Risiken“, sagt Eisenbeis. Als Beispiel nennt er eine Mandantin, die ein insolvente­s Unternehme­n in Chemnitz kaufen wollte. Ein wichtiger Kunde dieser Firma, ein Konzern aus München, habe aber keinen Liefervert­rag mit der Kaufintere­ssentin schließen wollen. Es ging dann in der Beratung um die Frage, ob die Mandantin trotzdem die Maschinen des insolvente­n Betriebs kauft und das Risiko eingeht, nachher ohne den Großauftra­g dazustehen. Drei Millionen Euro hätte es gekostet, wenn der Coup fehlgeschl­agen und der Konzern stur geblieben wäre. Schließlic­h habe die Mandantin aber doch einen dauerhafte­n Auftrag des Großkunden bekommen, erzählt Eisenbeis.

„Ich gehe fest davon aus,

dass die Zahl der Insolvenzv­erfahren dramatisch steigen wird.“

Jochen Eisenbeis

Kanzlei Eisenbeis Rechtsanwä­lte

 ?? FOTO: OLIVER DIETZE ?? Thomas Bernd (links) und Jochen Eisenbeis von der Saarbrücke­r Kanzlei Eisenbeis Rechtsanwä­lte. Sie rechnen besonders in Einzelhand­el und Gastronomi­e mit einer Flut von Firmenplei­ten.
FOTO: OLIVER DIETZE Thomas Bernd (links) und Jochen Eisenbeis von der Saarbrücke­r Kanzlei Eisenbeis Rechtsanwä­lte. Sie rechnen besonders in Einzelhand­el und Gastronomi­e mit einer Flut von Firmenplei­ten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany