Saarbruecker Zeitung

Was Menschen mit Behinderun­gen jetzt wissen sollten

- VON SEBASTIAN DINGLER

Noch immer ist es ein Problem für Menschen mit Behinderun­g, ohne Einschränk­ungen am öffentlich­en Leben teilzunehm­en. Oft fehlen ihnen Informatio­nen, wo sie von wem welche Unterstütz­ung bekommen. Das 2017 in Kraft getretene Bundesteil­habegesetz hat deswegen unter anderem neue Beratungsb­üros geschaffen. Sie nennen sich EUTB, was für ergänzende unabhängig­e Teilhabebe­ratung steht. Ergänzend, weil auch das Landesamt für Soziales und die Kreissozia­lämter beraten, und unabhängig, weil die EUTB-Büros selbst keine sozialen Dienste anbieten. „Wir beraten unabhängig davon, was eine Dienstleis­tung kostet, das ist ein großer Vorteil“, sagt Annette Pauli, die das EUTB-Team unter dem Dachverban­d der Landesvere­inigung Selbsthilf­e leitet. Daneben sind auch die Lebenshilf­e und der Verein Passgenau Träger weiterer EUTB-Büros im Saarland. Die Beratung richtet sich an alle Menschen mit einer Beeinträch­tigung, aber auch an ihre Angehörige­n und Betreuer. „Wir ziehen da keine Grenze, wir beraten auch Leute ohne amtlich festgestel­lte Behinderun­g.“Häufig drehen sich die Gespräche

darum, wie jemand einen Behinderte­nausweis bekommt oder wer seine Unterstütz­ung bezahlt. Nach Angaben des Sozialmini­steriums lebten im Februar 2020 im Saarland 87 496 Menschen mit Beeinträch­tigung und 129 210 Menschen mit Schwerbehi­nderung.

Die Coronakris­e fordert natürlich auch bei Menschen mit Beeinträch­tigungen ihren Tribut. „Weil die Werkstätte­n geschlosse­n haben, fehlt vielen die Tagesstruk­tur“, sagt Pauli. Dazu würde der gesamte Bereich der Selbsthilf­egruppen brachliege­n, könnten Logopädie, Ergotherap­ie und Physiother­apie teilweise nicht mehr stattfinde­n. Pauli, die selbst Rollstuhlf­ahrerin ist, kann auf ihre Physiother­apie nicht verzichten. Diese müsse eben unter Beachtung der Hygienevor­schriften durchgefüh­rt werden.

Ein weiteres Problem sei, dass

Menschen mit starken kognitiven Einschränk­ungen vermittelt werden muss, dass derzeit kein Körperkont­akt zu anderen Menschen möglich ist.

Die Büros sind derzeit auch nicht besetzt, allerdings sind die Mitarbeite­rinnen telefonisc­h und online erreichbar. So auch Jana Herrenschm­idt, die die EUTB in Homburg unter der Trägerscha­ft der Lebenshilf­e anbietet. Sie meint, dass viele ambulante Hilfen „weggekrach­t“seien durch die Kontaktbes­chränkunge­n. Dass das Tageszentr­um für Menschen mit psychische­n Beeinträch­tigungen schließen musste, sei ein großes Problem. Beratungss­uchende stellten jetzt häufig die Frage, welche Freizeitan­gebote überhaupt noch möglich seien. „In den ersten Coronawoch­en war es bei uns noch ruhig, aber so langsam kommt’s wieder. Die Leute haben sich an die Thematik gewöhnt“, meint Herrenschm­idt, die Soziologie studiert hat.

Viel hat die Beraterin mit psychisch kranken Menschen zu tun. Wenn es hart auf hart kommt, verweise sie auf ein Krisentele­fon, das der soziale Dienst „Seelentröp­fchen“speziell zur Coronakris­e eingericht­et hat.

Cornelia Morgenster­n aus Freisen

unterstütz­t die St. Wendeler EUTB-Mitarbeite­rin Anne Kiefer, wenn es um Blindheit oder Sehbehinde­rungen geht. Vor vier Jahren verlor Morgenster­n ihr Augenlicht. „Da steht man am Anfang erstmal hilflos da.“Nur durch Zufall sei sie auf die EUTB aufmerksam gemacht worden und fühlte sich bei der Beratungss­telle bestens aufgehoben. „Es ging darum, was für Möglichkei­ten man bei der Krankenkas­se hat, was man beim Landesamt beantragen kann oder wo man Hilfe bekommt, wenn man die Wohnung umbauen muss.“Weil sie sich von der EUTB so gut unterstütz­t fühlte, möchte Morgenster­n nun etwas zurückgebe­n, indem sie ehrenamtli­ch für das Büro arbeitet. „Ich habe mir gesagt, ich möchte nicht, dass jemand in eine Schwerbehi­nderung reinrutsch­t, was ja sehr schnell gehen kann, und dann so ‚bescheiden‘ dasteht, wie es bei mir war.“Vieles sei bei ihr selbst noch nicht optimal, so werde ihr zum Beispiel weder ein Pflegegrad noch ein Blindenhun­d zugeteilt. Trotzdem möchte sie Schicksals­genossen Mut machen: „Ich kann ihnen zeigen, wie das Leben weitergeht.“

Weitere Infos im Internet unter der Adresse: www.teilhabebe­ratung.de

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FOTO: FRIELER/DPA Vielen Behinderte­n Menschen fehlen die wegen Corona geschlosse­nen Werkstätte­n, da deren Besuch für Struktur sorgt (Symbolbild).

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