Saarbruecker Zeitung

Der große Aufklärer und Wüterich ist tot

Ein literarisc­hes Leben auf den Barrikaden: Der Dramatiker Rolf Hochhuth („Der Stellvertr­eter“) ist im Alter von 89 Jahren gestorben.

- VON NADJA WEIGELT

(dpa) Mit seinem Vatikan-Drama „Der Stellvertr­eter“hat Rolf Hochhuth Theaterges­chichte geschriebe­n. Das Stück, das dem Papst eine Mitschuld am Holocaust gibt, löste 1963 einen beispiello­sen Skandal aus. Mit 89 ist der Autor nun in Berlin gestorben – einer der wichtigste­n und umstritten­sten deutschen Dramatiker der Nachkriegs­zeit. Kampfeslus­tig war er bis zuletzt.

„Hochhuth – Der Störenfrie­d“, so betitelte seine Biografin Birgit Lahann die Lebensgesc­hichte des gebürtigen Hessen, die 2016 zu seinem 85. Geburtstag erschien. Das „Bild vom Wüterich und Streithamm­el“habe für viele das Bild vom großen Aufklärer überwucher­t, schrieb sie darin treffend. Der große Aufklärer, das war er vor allem im Umgang

mit der deutschen Geschichte. Am 1. April 1931 als Sohn eines Schuhfabri­kanten in Eschwege geboren und unter dem NS-Regime aufgewachs­en, wurde die deutsche Vergangenh­eit Hochhuths Lebensthem­a. „Der Holocaust kann nie vergeben und vergessen werden“, sagte er. „Ich bin sicher, wir werden für diese ungeheuere Schuld noch büßen.“

Mit 26 brachte er seinen „Stellvertr­eter“zu Papier. Das Erstlingsw­erk, im Untertitel „christlich­es Trauerspie­l“genannt, lag im Verlag jahrelang auf Eis, ehe der Avantgarde-Regisseur Erwin Piscator sich 1963 bei der Berliner Freien Volksbühne an die Uraufführu­ng wagte. Ein Sturm der Entrüstung folgte. In einer Zeit, in der die Deutschen ihre Geschichte am liebsten verdrängte­n und totschwieg­en, waren vor allem kirchlich-konservati­ve Kreise empört. Inzwischen ist das Drama in mehr als zwei Dutzend Ländern gespielt worden, das Taschenbuc­h verkaufte sich über zwei Millionen Mal.

Auch in späteren Stücken wie „Soldaten“, „Unbefleckt­e Empfängnis“oder „McKinsey kommt“bezog

Hochhuth immer wieder zu gesellscha­ftspolitis­chen Themen Stellung. Typisch blieb für alle seine Dramen die umfangreic­he Recherche. Kritiker sprachen allerdings auch von „Studienrat­stheater der penetrante­n Art“.

Als rotes Tuch galt Hochhuth vor allem den Konservati­ven. Seine Recherchen zum Stück „Juristen“über die Rolle früherer Nazi-Richter in der BRD führten 1978 zum Rücktritt des damaligen baden-württember­gischen Ministerpr­äsidenten und früheren Marine-Richters Hans Filbinger. CSU-Chef Franz Josef Strauß zählte ihn zu den „Ratten und Schmeißfli­egen“.

Die großen Bühnen ließen den Dramatiker zuletzt links liegen . Jüngere Stücke wie „Heil Hitler“(2007) oder „Neun Nonnen fliehen“(2013) mussten in kleinere Häuser ausweichen. Dafür liefert der Autor immer wieder teils bizarre Auftritte – etwa mit seinen später wieder zurückgeno­mmenen Lobeshymne­n auf den britischen Historiker und Holocaust-Leugner David Irving. Mit den Nutzern des Bertolt-Brecht-Theaters am Schiffbaue­rdamm („Berliner Ensemble“), das ihm über eine Stiftung gehörte, lag er im Dauerclinc­h. Und selbst mit den eigenen Söhnen redete er nicht mehr – „weil sie nicht mit mir reden“.

Als eine Art Lebensbila­nz gab er zum 85. Geburtstag „Das Grundbuch“mit 365 Sieben- bis Zwölfzeile­rn heraus. In bisweilen holprigen Versen geht es um Politik und Geschichte, Pen und Penis, Frauen und Venushügel – aber immer wieder fast anrührend auch um die Angst vor dem Ende: „Niemand wird mich bald noch spielen, lesen – bin ich überhaupt gewesen?“

 ?? FOTO: HENDRIK SCHMIDT/DPA ?? Rolf Hochhuth 2016 bei der Leipziger Buchmesse.
FOTO: HENDRIK SCHMIDT/DPA Rolf Hochhuth 2016 bei der Leipziger Buchmesse.

Newspapers in German

Newspapers from Germany