Wer wenig schläft, wird schneller alt
Schlafmangel mindert die Fähigkeit unserer Körperzellen, sich zu teilen. Das Risiko für Krankheiten und schnelle Alterung steigt.
Elizabeth Blackburn wurde 2009 mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet. Die Professorin für Physiologie und Biologie an der Universität von Kalifornien in San Francisco untersucht, wie wir bis ins hohe Alter fit und gesund bleiben können. Dazu sieht sich Blackburn das Treiben in menschlichen Körperzellen an.
Blackburn und ihr Team haben auch untersucht, wie sich Schlaf auf die Zellalterung auswirkt. Die Wissenschaftler fassen ihre Ergebnisse zusammen: „Bei Schlafmangel, Schlafstörungen und schlechter Schlafqualität altern wir schneller.“
„Schnürsenkel“im Zellkern In den Zellkernen unserer Blutzellen lagern wie in anderen Zelltypen auch die länglichen, nur einige tausendstel Millimeter großen, fadenförmigen Chromosomen. Diese enthalten unser Erbgut, die Gene. Die Enden der Chromosomen werden Telomere genannt. Sie schützen und stabilisieren die Chromosomen – ähnlich wie die kleinen Kunststoffkappen an den Enden von Schnürsenkeln.
Zellen teilen sich fortwährend. So entstehen frische, leistungsfähige Zellen, die den Körper lebensfähig halten. Doch bei jeder Zellteilung geht ein Stück der Telomere verloren. Die Schutzkappen verschwinden allmählich. Die Telomere sind schließlich so kurz, dass sich die Zellen nicht mehr teilen können. Das ist eine wesentliche Ursache dafür, warum wir altern und warum das Risiko für Erkrankungen steigt.
Elizabeth Blackburn hat entdeckt, wie sich der Abbau der Telemore verhindern oder zumindest verlangsamen lässt. Dazu produzieren die Zellen ein Protein namens Telomerase. Dieses kann die Telomere sogar bis zu einem gewissen Grad wieder aufbauen. Telomerase wird gebildet, wenn die Zellen einem Reiz ausgesetzt werden. Die besten Reizauslöser sind eine gesunde Ernährung, regelmäßige körperliche Bewegung, geistige Regsamkeit und gute soziale Kontakte. Aber auch guter Schlaf schützt die Telomere.
Zellreparatur im Schlaf Forscher der Universität von Kalifornien in Los Angeles fanden in einer Studie mit 126 Frauen und Männern im Alter von 60 bis 88 Jahren heraus, dass Schlaflosigkeit vor allem bei Erwachsenen ab 70 Jahren mit kürzeren Telomeren verbunden ist. Die Wissenschaftler hatten die Telomere in Blutzellen untersucht. „Schwere Schlafstörungen können die Zellalterung und das Risiko für Krankheiten erhöhen, insbesondere in den späteren Lebensjahren“, schreiben die Forscher. Elizabeth Blackburn sagt: „Guter Schlaf fängt einige Effekte des Alterns teilweise auf.“
„Doch erst eine Schlafdauer von mindestens sieben Stunden ist mit längeren Telomeren verbunden“, berichtet Blackburn. Allerdings weiß man heute, dass etwa fünf Prozent der Bevölkerung nur fünf bis sechs Stunden Schlaf pro Nacht benötigen. In einer Schlafstudie der Universitäten von San Francisco und Oslo mit 210 Männern und 73 Frauen im Alter von 22 bis 77 Jahren, die unter HIV litten, hatten die Teilnehmer mit mindestens sieben Stunden Schlaf längere Telomere als Teilnehmer mit weniger als sieben Stunden.
„Dabei spielten die Auswirkungen von Alter, Geschlecht, Ethnie, Bildung, Body-Mass-Index, Stoffwechselhormonen, Depressionen und Angstzustände und die Schlafqualität keine Rolle“, schreiben die Forscher „Wenn Sie nachts mindestens sieben Stunden schlafen, können Sie die Telomere entweder vor Beschädigungen schützen oder sie jede Nacht wiederherstellen.“
In Deutschland allerdings schlafen 80 Prozent der Erwerbstätigen schlecht, heißt es im DAK-Gesundheitsreport von 2017, der sich mit Schlafstörungen befasst hat. Hochgerechnet auf die Bevölkerung sind etwa 34 Millionen Menschen betroffen. Nach eigenen Angaben sind 43 Prozent der Erwerbstätigen bei der Arbeit müde, 31 Prozent fühlen sich regelmäßig erschöpft. Ob man genug geschlafen hat, zeigt sich tagsüber am Gefühl der Schläfrigkeit. Wer einnickt, wenn er einen Film guckt oder im Auto mitfährt, hat nachts zu wenig geschlafen.
Schlafmangel stresst Kinder An der Universität Princeton in New Jersey konnten Forscher beweisen, dass auch Kinder mit kürzerer Schlafdauer kürzere Telomere haben. Dabei spielte es keine Rolle, welches Geschlecht und welches soziales Umfeld die Kinder aufwiesen. Für die Studie wurden 821 Jungen und 746 Mädchen im Alter von neun Jahren untersucht. Je weniger die Kinder schliefen, desto kürzer waren ihre Telomere. Jede Stunde weniger Schlaf hatte 1,5 Prozent kürzere Telomere zur Folge.
Die meisten der Neunjährigen schliefen pro Nacht neun Stunden. Das empfehlen auch die Wissenschaftler als Mindestschlafdauer für dieses Alter. Eine nicht optimale Schlafdauer stellt schon bei Kindern ein Risiko für erhöhten physiologischen Stress und eine Beeinträchtigung der Gesundheit dar, erklären die Forscher.
Höhere Feindseligkeit In einer Studie der Universität London mit 206 Männern und 228 Frauen im Durchschnittsalter von 63 Jahren, die in Behörden arbeiteten, stellte sich heraus, dass Männer, die in den meisten Nächten höchstens fünf Stunden schliefen, im Schnitt sechs Prozent kürzere Teleomere hatten als Männer, die mehr als sieben Stunden schliefen. Männer mit niedrigem Bildungsniveau schliefen am wenigsten. Für die Frauen wurde jedoch kein eindeutiger Zusammenhang
zwischen kurzem Schlaf und kürzeren Teleomeren nachgewiesen. Das Forscherteam berichtet jedoch, dass sowohl Männer als auch Frauen mit kurzer Schlafdauer eher depressive Symptome zeigten und die Frauen zudem noch „höhere Feindseligkeitswerte“.
Umstrittene Schlafqualität Wissenschaftler der Universität von Utah in Salt Lake City sind der Meinung, dass nicht nur die Schlafdauer, sondern auch der Qualität des Schlafs einen Einfluss auf die Telomere hat. Nach einer Studie mit 154 Teilnehmern zwischen 45 und 77 Jahren erklärten sie, eine gute Schlafqualität könne sogar eine kurze Schlafdauer ausgleichen.
Es ist unter Forschern jedoch umstritten, ob man die Qualität seines Schlafes selbst beurteilen kann. „Es ist schon irgendwie seltsam, Menschen nach mehr oder weniger acht Stunden Bewusstlosigkeit zu fragen, wie sie diesen Zeitraum erlebt haben – zum Beispiel auf einer Skala von null bis zehn“, sagt der Schlafforscher Professor Till Roenneberg von der Universität München.
Schlaf stärkt Immunsystem Guter Schlaf schützt auch die Telomere in unseren Immunzellen. An der Universität von Kalifornien in San Francisco waren bei den schlechten
Schläfern einer Studie mit 87 übergewichtigen Frauen und Männern die Telomere in den untersuchten Immunzelltyppen (T-Lymphozyten und B-Lymphozyten) deutlich verkürzt. Das galt unabhängig von Alter, Geschlecht, Ethnie, Bildung, Gewicht, Schlafapnoe und empfundenem Stress.
Die Experten gehen davon aus, dass schlechter Schlaf das Risiko für Krankheiten erhöht. Denn leistungsfähige Immunzellen zerstören Eindringlinge wie Viren und Bakterien. Werden die Telomere kürzer, altern die Zellen und verlieren an Schlagkraft.
Wissenschaftler der Chang Gung University in Taiwan haben herausgefunden, dass nur bei regelmäßigem Schlaf zur immer gleichen Zeit viel neu gebildete Telomerase nach dem Aufstehen in den Zellen zu finden ist. Untersucht wurden Ärzte mit regelmäßigen Arbeitszeiten sowie Ärzte, die im Schichtdienst arbeiten mussten. Nur bei geregelten Arbeitszeiten am Tag produzierten die Zellen genug Telomerase, um dem Abbau der Telomere Einhalt zu gebieten. Bei den Medizinern im Schichtdienst war die Telomerase-Produktion hingegen gestört.
Übergewicht bei Schlafdefizit Wer zu wenig schläft, lernt auch schlechter. Der Schlafforscher Professor Jürgen Zulley von der Universität Regenburg berichtet, dass unser Gehirn neue Gedächtnisinhalte nur optimal speichern kann, wenn wir ausreichend schlafen. Offenbar werden tagsüber aufgenommene Gedächtnisinhalte im Schlaf ins Langzeitgedächtnis hinübergeschoben.
Zudem fördert Schlafmangel Übergewicht, weil der Hormonhaushalt gestört wird. Die Risiko für Übergewicht ist bei zu kurzem und schlechtem Schlaf nahezu doppelt so hoch wie bei ausreichendem Schlaf. Dies hat eine norwegische Studie mit 8860 Frauen und Männern im Alter zwischen 40 und 45 Jahren ergeben.
Ein Experiment mit 30 normalgewichtigen Frauen und Männern mittleren Alters an der Columbia-Universität in New York zeigte, dass bei nur vier Stunden Schlaf pro Nacht die Lust auf fettreiches Essen wie Fast Food und Eiscreme stieg. Frauen nahmen dann im Schnitt pro Tag 329 Kilokalorien mehr als normal auf, Männer 263 Kilokalorien.
Wissenschaftler der Universität Chicago berichten, dass zwölf junge gesunde Männer nach zwei Nächten mit nur vier Stunden Bettruhe eine unbändige Lust auf süße sowie salzige kohlenhydratreiche Lebensmittel entwickelten. Keinen Appetit hatten die Kurzschläfer hingegen auf Gemüse, Obst und proteinhaltige Lebensmittel wie Fisch und Fleisch.
Die Forscher untersuchten auch das Blut der Studienteilnehmer. Die Konzentration des Hormons Leptin, das in den Fettzellen produziert wird und im Gehirn das Gefühl der Sättigung auslöst, war um 18 Prozent gesunken. Hingegen war die Konzentration des Hormons Ghrelin, das in der Magenwand produziert wird und den Appetit anregt, um 28 Prozent gestiegen.
„Schlechter Schlaf erhöht das Risiko für Krankheiten
deutlich.“
Professor Dr. Elizabeth
Blackburn
Ausgezeichnet mit dem Nobelpreis für Medizin