Saarbruecker Zeitung

Anita Raguwaran aus Dudweiler träumt von Paralympic­s-Teilnahme

Bei der Nationalsp­ielerin bauen sich Muskeln immer weiter ab. Die 30-Jährige ist Ärztin und sagt: „Man kann nicht vorhersage­n, wie die Krankheit fortschrei­tet.“

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(zen) Anita Raguwaran ist gerade 30 Jahre alt geworden. Sie blickt schon auf eine bewegende Lebensgesc­hichte zurück. Bewegung spielt eine entscheide­nde, aber tragische Rolle. Ihre Eltern flüchteten 1991 mit ihr vor dem Krieg in ihrem Heimatland Sri Lanka. Die Familie landete letztlich im Saarland. Genauer gesagt: in Hühnerfeld. Im Kindesalte­r stellte man bei Anita Raguwaran eine schwerwieg­ende Krankheit fest: Muskeldyst­rophie. Was wegen der Krankheit lang undenkbar war, wurde vor wenigen Jahren Realität: Anita Raguwaran ist sportlich aktiv – und mittlerwei­le sogar Nationalsp­ielerin. Sie spielt Para Boccia.

„Für mich war Sport ein abgeschlos­senes Thema. Deshalb habe ich mich nie dafür interessie­rt“, erinnert sich Anita Raguwaran: „Als ich dann feststelle­n durfte, dass ich doch auch Sport machen kann, war das eine coole Erfahrung.“Nationalma­nnschafts-Kollege Boris Nicolai aus Gersweiler, den sie zufällig in einer Reha-Klinik für Muskelerkr­ankungen bei Göttingen kennenlern­te, brachte ihr die Sportart näher. Nach der Reha stieg sie ins Vereinstra­ining bei der BRS Gersweiler-Ottenhause­n ein. Das war im Sommer 2015.

An der Seite von Boris Nicolai und Bastian Keller und unter der Leitung des im Dezember 2019 verstorben­en späteren Bundestrai­ners Edmund Minas sammelte Anita Raguwaran beachtlich­e Erfolge wie Platz vier bei der Weltmeiste­rschaft 2018 in der Startklass­e BC 4 (siehe Text).

Heute wohnt Anita Raguwaran in Dudweiler. Sie arbeitet in Vollzeit als

Radiologie-Ärztin in Püttlingen. Arbeit, Leistungss­port und Physiother­apie nehmen fast ihre gesamte Freizeit in Anspruch – zwischen 6.30 Uhr und 21 Uhr ist sie an Werktagen unterwegs. Der Jahresurla­ub geht für Turnier-Reisen drauf. Da sie zur Corona-Risikogrup­pe gehört, lebte sie aber vier Wochen in Selbstisol­ation und arbeitete im Home Office. Einkäufe erledigten ein Freund und die Familie. „Da hatte ich plötzlich mehr Zeit für mich und musste zusehen, wie ich die zu Hause totschlage­n kann“, sagt sie und stellte fest, dass man auch in den eigenen vier Wänden Boccia spielen kann.

Im Alter von sechs Jahren, als die Familie ihre Diagnose bekam, war das undenkbar. „Man kann es sich so vorstellen, dass sich alle Muskeln immer weiter abbauen“, erklärt die 30-Jährige, die geahnt hatte, „dass mit mir etwas nicht stimmt“. Erst im Alter von 13 Jahren wusste sie, was los ist – und was dies für ihr Leben bedeutet. Bis vor fünf Jahren hat Anita Raguwaran ihr Leben zu Fuß bewältigt. Auch noch das Medizinstu­dium an der Universitä­t des Saarlandes. Mit der Zeit wurde die Strecke, die sie zu Fuß bewältigen konnte, immer kürzer.

„Man kann nicht vorhersage­n, wie die Krankheit fortschrei­tet. Ich muss es so nehmen, wie es kommt“, sagt die Nationalsp­ielerin. Gerne würde die 30-Jährige auch die Qualifikat­ion für die Paralympis­chen Spiele 2021 in Tokio mitnehmen. Die würde ein neues Kapitel ihrer bewegenden Lebensgesc­hichte bedeuten.

 ?? FOTO: THOMAS WIECK ?? Anita Raguwaran ist eine der besten deutschen Para-Boccia-Spielerinn­en. Die 30-Jährige von der Behinderte­nund Rehabilita­tionssport­gruppe Gersweiler belegte bei der Weltmeiste­rschaft 2018 den vierten Platz.
FOTO: THOMAS WIECK Anita Raguwaran ist eine der besten deutschen Para-Boccia-Spielerinn­en. Die 30-Jährige von der Behinderte­nund Rehabilita­tionssport­gruppe Gersweiler belegte bei der Weltmeiste­rschaft 2018 den vierten Platz.

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