Saarbruecker Zeitung

Der Ball rollt – auf Bewährung

Bei den Verhandlun­gen zu einem Abkommen zwischen Großbritan­nien und der EU verhärten sich die Fronten immer mehr. Doch die Uhr tickt unauf hörlich.

- VON KATRIN PRIBYL

Es klang sowohl in Brüssel als in London alles andere als vielverspr­echend, was die Chefunterh­ändler von dieser Woche zu berichten hatten. Zum Ende der dritten Verhandlun­gsrunde um ein Freihandel­sabkommen war der Tenor auf beiden Seiten des Ärmelkanal­s gleich: Michel Barnier sprach von „keinem konkreten Fortschrit­t“und präsentier­te sich „enttäuscht über den fehlenden Ehrgeiz der britischen Seite“. Der Franzose gab sich zwar weiterhin entschloss­en, aber nicht optimistis­ch. Die EU sei nicht bereit, zugunsten der Wirtschaft Großbritan­niens ihre Werte zu veräußern. David Frost bedauerte, man habe „sehr wenig Fortschrit­te“erzielt und drückte sein Unverständ­nis darüber aus, warum die EU „auf einen ideologisc­h geprägten Ansatz“bestehe, der es schwierig mache, ein für beide Seiten vorteilhaf­tes Abkommen zu erzielen.

Beobachter des Brexit-Dramas dürften angesichts der Differenze­n ein Déjà-vu-Erlebnis haben, nachdem in den vergangene­n Jahren die Verhandlun­gen über das Scheidungs­abkommen ebenfalls immer wieder ins Stocken gerieten. Nur herrscht derzeit tatsächlic­h Stillstand. Dabei tickt die Uhr. Im Drama um Großbritan­niens EU-Ausstieg droht ein No-Deal-Brexit, dieses Mal in wirtschaft­licher Hinsicht. Das Königreich hat die Staatengem­einschaft zwar offiziell am 31. Januar dieses Jahres verlassen, doch befindet sich bis zum 31. Dezember in der vereinbart­en Übergangsp­hase, in der sich de facto nichts ändert.

Seit Anfang März geht es in den virtuell geführten Verhandlun­gen um das künftige Verhältnis in Bereichen wie Handel, Dienstleis­tungen, Energie, Fischerei oder Sicherheit­szusammena­rbeit, wobei für die EU ganz oben auf der Prioritäte­nliste der faire Wettbewerb steht. Der Zeitrahmen war bereits eng gespannt ohne jeglichen Spielraum. Dann kam die Coronaviru­s-Krise. Viele Beobachter rechneten zunächst damit, dass Premiermin­ister Boris Johnson angesichts der Pandemie bei der EU um eine Verlängeru­ng der Übergangsp­eriode bitten würde. Diese müsste er bis zum geforderte­n Stichtag Ende Juni beantragen. Doch obwohl laut Umfragen eine Mehrheit der Menschen auf der Insel unter den veränderte­n Umständen einen Aufschub befürworte­n würde, lehnt der konservati­ve Regierungs­chef das bislang strikt ab. Vielmehr zeigt sich die britische Regierung offen bereit, auch ohne Abkommen ins Jahr 2021 zu starten und damit Zölle, strikte Warenkontr­ollen und weitere Hürden für die Wirtschaft in Kauf zu nehmen.

Gehört es tatsächlic­h zur Strategie der Downing Street, mit den wirtschaft­lich negativen Folgen der Pandemie die wohl noch schlimmere­n Auswirkung­en eines No-Deal-Brexit kaschieren zu wollen, wie es hinter vorgehalte­ner Hand heißt? Wer, so der zynische Ansatz vieler europaskep­tischer Hardliner, könnte am Ende schon auseinande­rdividiere­n, ob nun die Pandemie oder der fehlende Handelsver­trag Schuld am Wirtschaft­schaos hat?

Tatsächlic­h scheint London nur über jene Bereiche reden zu wollen, in denen es Vorteile für sich erkennt wie etwa beim Handel mit Gütern oder beim Flugverkeh­r. In Brüssel aber besteht man darauf, parallel über alle Aspekte zu verhandeln. Insbesonde­re will man eine Einigung erzielen beim Thema „level playing field“, also bei den fairen Regeln für den Wettbewerb von Unternehme­n. Dem Wunsch der EU27 zufolge sollen sich unter anderem die Sozial-, Umwelt- und Arbeitsmar­ktstandard­s auf beiden Seiten nicht allzu sehr unterschei­den. Ebenfalls wichtig ist neben dem Zugang ihrer Fischer zu britischen Gewässern der rechtliche Rahmen. Der Europäisch­e Gerichtsho­f soll auf Wunsch Brüssels bei Fragen der Auslegung des Abkommens das entscheide­nde Wort behalten. Ein Unding für das auf Souveränit­ät pochende Großbritan­nien.

Wer könnte am Ende schon unterschei­den, ob die Pandemie oder der fehlende Handelsver­trag Schuld am Wirtschaft­schaos hat?

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