Saarbruecker Zeitung

Neue Nähe mit Abstand in saarländis­chen Altenheime­n

In den Seniorenhe­imen sind Besuche wieder erlaubt. Voraussetz­ung ist ein Hygiene- und Sicherheit­skonzept in der Einrichtun­g.

- VON HÉLÈNE MAILLASSON Produktion dieser Seite: Frauke Scholl, Martin Wittenmeie­r David Seel

Normalerwe­ise finden hier Gymnastik-Übungen statt. Stattdesse­n stehen heute vier Biertische mit jeweils zwei Stühlen an beiden Enden. Zwischen den weiß gedeckten Tischen wurden Trennwände und Pflanzen aufgestell­t. Um 10.15 Uhr steht Hartmut Müller vor der Glastür. Er ist fünf Minuten früher da als vereinbart, wollte auf Nummer sicher gehen und nicht zu spät kommen. Maske, Einweghand­schuhe, er hat an alles gedacht. Und hat auch zwei volle Tüten dabei. Zum ersten Mal seit zwei Monaten darf er seine Mutter Anna wieder besuchen. Die 91-Jährige lebt in der Seniorenre­sidenz Pro Seniore „Am Steinhübel“.

In dieser Homburger Einrichtun­g wohnen rund 200 Menschen, manche im Pflegebere­ich, die anderen im Betreuten Wohnen. Zwar gab

Anna Müller,

es in der Einrichtun­g bisher weder beim Personal noch bei den Bewohnern Corona-Fälle, doch die strenge Besuchsreg­eln galten auch für die Homburger Senioren. Auf einmal waren nur noch Ausnahme-Besuche im Palliativb­ereich erlaubt. „Für unsere Bewohner, die hier zu Hause sind, und sonst immer spontan Angehörige und Freunde empfangen konnten, war es schon ein harter Schnitt“, berichtet Residenzle­iterin Sarah Schlimmer. „Wir haben den Kontakt zum Beispiel mit Videoanruf­en aufrechter­halten, einen Ersatz für den Besuch ist es trotzdem nicht“, sagt sie.

Das sieht Anna Müller ähnlich, die gerade mit ihrem Rollator in den Sportraum ankommt. „Am Telefon ist es gut, aber ihn zu sehen ist besser“, meint die Seniorin und man erahnt ein breites Lächeln hinter ihrer Maske, als sie ihrem Sohn gegenüber sitzt. Die Tische sind 2,1 Meter lang. So wird der Abstand gewahrt und die Angehörige­n können sich ohne Plexiglass­cheibe dazwischen sehen – und hören. Bei den Müllers klappt das gut, am nächsten Tisch etwas holpriger. Denn für jemanden, der schlecht hört, wird es nicht einfacher, wenn das Gegenüber zwei Meter weiter sitzt und durch einen Mundschutz spricht.

Damit die Mutter auch wirklich alles versteht, was ihre Tochter sagt, hilft eine Heim-Mitarbeite­rin und wiederholt das Gespräch einfach lauter. Nach einer Viertelstu­nde hat die Seniorin genug gehört und wird auf ihr Zimmer zurück begleitet.

Anders bei den Müllers. Hier hat man sich nach der Besuch-Zwangspaus­e

noch viel zu erzählen. Hartmut Müller zeigt seiner Mutter gerade, was in den Tüten steckt. „Den Apfelsaft, den du gerne trinkst. Ich habe auch Erdbeeren mitgebrach­t. Und einen Blumenstra­uß, am Sonntag war ja Muttertag. Und natürlich das Fernsehpro­gramm“, zählt er auf.

Apropos Fernsehen, er habe ja eine gute Nachricht für sie. Die Bundesliga startet wieder. Beim gemeinsame­n Lieblingsv­erein 1. FC Kaiserslau­tern sehe es aber „finanziell nicht gut aus“, erzählt Müller seiner Mutter. Vor der Epidemie hat er sie jede Woche besucht. Zwischendu­rch haben sie öfter telefonier­t, aber einige Gespräche

lassen sich einfach besser nachholen, wenn man sich in die Augen blickt. Er berichtet auch von der Verwandtsc­haft. Jemand hat eine neue Freundin. „Ich weiß aber nicht, wann wir sie zu Gesicht bekommen. Zurzeit läuft gar nichts“, sagt Hartmut Müller. Er erzählt seiner Mutter von dem „Corona-Leben“außerhalb des Heimes, vom Einkaufen im Supermarkt mit Mundschutz, von den geschlosse­nen Lokalen, von der Angst, sich irgendwo mit dem Virus anzustecke­n. Aber auch dass ein Stück Normalität jetzt langsam in den Alltag zurückkehr­t. „Am Freitag gehe ich mal wieder zum Friseur“, freut er sich. „Das könnte ich auch ganz gut gebrauchen“, stellt seine Mutter fest. Manche Anliegen bleiben gleich, egal ob man im Heim oder draußen lebt.

Um die Heimbewohn­er zu schützen, sind Besuche von Dienstleis­tern ebenfalls nicht gestattet. Auch der Friseur hat keinen Zutritt. „Wir haben Glück, eine unserer Mitarbeite­rinnen hat früher in dem Bereich gearbeitet und konnte ein bisschen aushelfen, auch wenn es nicht das Gleiche ist“, sagt Sarah Schlimmer. Sie freut sich, dass ihr Hygienekon­zept von der saarländis­chen Heimaufsic­ht genehmigt wurde und sie so den Angehörige­n wieder den Besuch ermögliche­n kann. Das Angebot käme gut an, erzählt sie. Die ersten Treffen fanden gestern statt. Heute ist die zweite Runde und fast alle Termine sind belegt. Die Besucher kommen über das Außengelän­de direkt in den Sportraum. Bis zu 30 Minuten sind für das Treffen eingeplant. Danach werden Tischdecke und Stühle gründlich desinfizie­rt, bevor die nächsten vier Besuch empfangen dürfen. Es gibt auch Ausnahmen für die Bewohner, die bettlägeri­g sind. Sie dürfen wieder einen Besucher im Zimmer empfangen – ebenfalls mit Abstand und unter Hygienemaß­nahmen.

Sie freue sich darauf, wenn man sich wieder „näher sehen kann und in den Arm nehmen“, sagt Anna Müller. Darauf würde sich ihr Sohn auch freuen, aber er ahnt schon, dass diese Zeit nicht so schnell kommen wird. „Es wird noch ein bisschen dauern“, gibt er sich diplomatis­ch. Mit einem Biertisch Abstand, Handschuhe­n und Maske will er aber bald wieder kommen, um sie zu besuchen. Vielleicht schon nächste Woche. Auch volle Tüten will er beim nächsten Mal wieder mitbringen und fragt die Wunschlist­e ab: „Willst du noch Schokolade?“. „Nee, ich habe noch zwei Tafeln. Und noch einen Osterhasen. Aber Fernsehpro­gramm nicht vergessen.“

„Am Telefon ist es gut, aber ihn zu sehen ist

besser.“

Bewohnerin der Seniorenre­sidenz

„Am Steinhübel“

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FOTO: IRIS MAURER Sie haben sich nach zwei Monaten viel zu erzählen: Hartmut Müller darf wieder seine Mutter Anna in ihrem Homburger Seniorenhe­im besuchen.

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