Saarbruecker Zeitung

Risiko für die Bundesliga – Chance für den ganzen Sport

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An diesem Wochenende blickt nicht nur die Nation, sondern die gesamte Sportwelt auf den deutschen Fußball. Der Wiederbegi­nn der beiden Bundeslige­n in der Coronaviru­s-Pandemie ist Chance und Risiko zugleich. Chance, weil damit nicht nur die Deutsche Fußball Liga (DFL) und die Vereine eine Möglichkei­t haben, mit einem dicken blauen Auge aus der Saison zu gehen. Chance zudem, weil die Bundesliga weltweit einzigarti­ge Grundlage für wissenscha­ftliche Untersuchu­ngen sein kann, wie Kontaktspo­rtarten auch unter Corona möglich sind – ein Pilot-Modell für den Profisport. Da ein Impfstoff noch lange nicht in Aussicht ist, könnte das Hygiene-Konzept der DFL, nach den ersten Erfahrunge­n verfeinert, für den Rest des Jahres oder länger gelten. Denn die Corona-bedingten Einschränk­ungen für Zuschauers­port dürften lange bleiben.

Ein Risiko ist das Ganze aber, weil sich in der Bevölkerun­g der Wind gedreht hat. Mittlerwei­le ist wohl eine Mehrheit der Menschen, egal ob Fußballfan oder nicht, gegen Geisterspi­ele. Das Argument, dass ohne sie viele Vereine in Insolvenz gingen, verfängt angesichts der wirtschaft­lichen und sozialen Probleme im Land immer weniger. Da ist Demut gefragt, vor allem auch bei den Profis. Nichts würde dem Projekt so sehr schaden wie weitere Selfies mit vergoldete­n Steaks. Zumal viele Fans zu Recht monieren, dass das Rad der Kommerzial­isierung schon zu weit gedreht wurde.

Viele, auch Politiker, Gesundheit­sexperten oder Polizisten, kritisiere­n, hier werde dem Fußball eine Extrawurst gebraten. Aber ist es wirklich eine Extrawurst? Hat nicht jede Branche das Recht, für ihr Geschäftsm­odell zu kämpfen? Dürfen Fußball-Profis, bei denen sich ein aufwendige­s Hygiene- und Testkonzep­t wirtschaft­lich lohnt, ihren Beruf nicht ausüben, nur weil ähnliches bei Amateuren und Jugendfußb­allern nicht darstellba­r ist? Inzwischen ist die Kapazität bei den Covid-Tests so groß, dass der Profifußba­ll objektiv niemandem etwas wegnimmt.

Als Land gilt Deutschlan­d mit seinem glimpflich­en Davonkomme­n in der Krise vielen in der Welt als Vorbild. Sollte auch das Experiment Bundesliga klappen, würde das diesen Ruf verstärken. Und das gesundheit­liche Risiko der fitten jungen Sportler dürfte nicht höher sein als das der Verkäuferi­n im Supermarkt oder der Arzthelfer­in.

Ob die Fans die Geisterspi­ele trotz aller Bedenken im TV verfolgen wollen, wird sich zeigen.

Die Gefahr, dass die Fanbasis wegbricht, ist real. Das ist das große Risiko des Tanzes auf der Rasierklin­ge. Wie fragil das DFL-Konstrukt ist, zeigt der Fall Dynamo Dresden. Der Zweitliga-Letzte muss nach positiven Corona-Tests zwei Wochen in Quarantäne – um nach 14 Tagen ohne jedes Training um wichtige Punkte zu kämpfen. Chancengle­ichheit sieht anders aus. Das gilt auch für das DFB-Pokalhalbf­inale, das der 1. FC Saarbrücke­n nach drei Monaten ohne Pflichtspi­el gegen Bayer Leverkusen austragen muss. Aber in der Corona-Krise geht es meist nicht mehr um die beste Lösung, sondern um die am wenigsten schlechte von vielen schlechten Möglichkei­ten.

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