Zweisam mit Penone und Botticelli
Am ersten Tag der Wiedereröffnung kehren die Kunstliebhaber in die Museen zurück. Ein Besuch zwischen schwarzen Pfeilen und weiten Fluren, unter schwitziger Maske und mit viel Lust auf Gespräche.
Plöpp und flutsch. Aha, ein Desinfektionsmittel der glitschigen Art, lässt sich gut verteilen, Fingerzwischenräume nicht vergessen. Nochmal die Maske auf der Nase grade ziehen und dabei schauen, wohin die weißen Pfeile an dem Metallgeländer, das direkt vor einem aufgestellt ist, denn zeigen. Logo, nach links, Richtung Kasse. Dahin, von wo die nette Dame hinter Plexiglas erwartungsvoll rüberschaut. Sie trägt Maske, die Aufsicht an der Tür trägt Maske, die anderen Besucher, die man kreuzen wird, und man selbst ja auch.
Die Tür der Modernen Galerie in Saarbrücken ist seit dem Freitag wieder offen, so wie alle Pforten der Museen der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz. Doch der Museumsbesuch post coronam ist nicht der, den man aus der Zeit davor kennt. Abgesehen von all dem, was in der Zwischenzeit vielleicht an verunsichernden oder schrecklichen Dingen passiert ist, ist das ein Erlebnis, das anders überrascht als man es sich nach zwei Monaten erwartet hätte.
Wer vor Giuseppe Penones Bäumen stehen oder in das Künstlerbuch von David Hockney spähen will, darf sich am Eingang der Modernen Galerie jedenfalls erst einmal die Hände desinfizieren und wird per Leitsystem, aufgeklebte schwarze Pfeile, durch die beiden Trakte gelotst. Vorausgesetzt der Mund- und Nasenschutz ist dabei. In jedem Raum ist eine Aufsicht anwesend, eine Aufstockung des Personals, um notfalls darauf hinzuweisen, dass sich keine Trauben bilden oder die Besucher den Mindestabstand von 1,5 Meter einhalten. Doch am Freitagvormittag ist es noch ruhig. Die Museen der Stiftung Saarländischen Kulturbesitz öffnen wieder, aber in Saarbrücken zumindest nicht mit einem Paukenschlag. Tröpfchenweise kommen die ersten Besucher nach der pandemiebedingten Schließung, hinter ihren Masken mit neugierigen Augen, begierig auf Farben und Formen. „Wir haben darauf gelauert, wieder ins Museum zu gehen“, sagt Gerald Hunze aus Homburg. „Nach dem langen Gezänk um den Erweiterungsbau hatte man ja gar keine Lust, reinzugehen“, sagt der 78-Jährige. Eva Sohne, seine Begleitung, erklärt, „es ist erholsam, mal nichts Coronabelastetes zu machen“. Aber auf Galerie- und Vernissagenbesuche, welche für die beiden Kunstinteressierten sonst zum Kulturprogramm gehören, werden sie noch etwas länger verzichten müssen. Dazu kommt, dass beide mit ihren Masken hadern. „Das verhindert schon den Genuss, es schränkt den Blick ein“, meint Hunze, und Sohne ergänzt, „man geht vielleicht etwas zügiger, und ich werde mir deswegen gut überlegen, welche Schau ich mir als nächstes ansehen werde“. Dann schlendern die beiden weiter, den Pfeilen nach, vom Erdgeschoss die Treppe hinauf in die eben erst eröffnete Ausstellung über Künstlerbücher.
Während die Sonnenstrahlen den Museumsplatz draußen noch heller machen und ein paar Musikstudenten auf den Bänken für einen Plausch Platz nehmen, will drinnen manch einer gar nicht gestört werden, sondern lieber in Ruhe und ohne Kommentar in die Kunstwerke versinken.
Andere wiederum sind bester Dinge, hungrig auf Kunst, klar, sonst wären sie nicht hier. Hungrig aber auch auf Austausch. Der Saal, in dem unter dem Titel „Indistinti confini“Installationen von Giuseppe Penone zu sehen sind, überrascht schon im Vorraum mit Stimmen statt Museumsstille. Ursula und Peter Gehm sind über die Werke mit der Aufsicht ins Gespräch gekommen. Aus Landstuhl haben sie sich auf den Weg gemacht, um ein neues Museum kennenzulernen und Ursulas Geburtstag zu begehen.
Um sicher zu gehen, dass das Museum tatsächlich offen ist, hat Gehm am Vorabend an der Rezeption angerufen. „Wir haben während der Ausgangsbeschränkungen alle Energie in den Garten gesteckt, aber die Kultur hat uns gefehlt“, sagt Peter Gehm, der voller Lob ist für den „imposanten Neubau“. Ausstellungen digital anschauen war nicht ihr Ding.
Das Telefon klingelte auch auf der anderen Seite der Saar im Kreisständehaus häufig. „Die Leute wollen sich rückversichern, ob wirklich geöffnet ist“, erklärt Thomas Martin, Sammlungsleiter im Museum für Vor- und Frühgeschichte am Schlossplatz. „Wir hatten gleich um zehn Uhr bei der Öffnung den ersten Besucher vor der Tür stehen“, sagt er gut gelaunt. Der Kunstfan ist verschwunden – vielleicht weitergezogen in die Schlosskirche und das Historische Museum Saar, oder im Auto unterwegs zur Römischen Villa in Perl-Borg, zur Völklinger Hütte oder zum Zeitungsmuseum Wadgassen, die auch wieder offen sind.
Auch in der Alten Sammlung ist mehr Aufsichtspersonal zur Stelle als sonst. Im Erdgeschoss wartet die archäologische Sammlung, im ersten Obergeschoss die Sonderschau „Lorenzetti, Perugino, Botticelli... – Italienische Meister aus dem Lindenau-Museum Altenburg“. „Das zweite Obergeschoss konnten wir nicht öffnen, weil die schmale Wendeltreppe den nötigen Sicherheitsabstand nicht erfüllt“, erklärt Martin. „Da sich in den vergangenen Wochen ständig die Vorgaben geändert haben, mussten wir unsere Pläne tagesaktuell anpassen und immer wieder überarbeiten“, erklärt er die aufwändigen
Arbeiten hinter den Kulissen. Nun sind die Pläne mit externen Dienstleistern abgestimmt, und um die 40 bis 50 Pfeile und Wegweiser auf die Böden geklebt. Erwartung erfüllt die Säle, in denen den Kunstwerken ihr zweimonatiger Schlaf nicht anzumerken ist; die Vorfreude, die auf den Gesichtern der Museumsmitarbeiter liegen muss, fällt an ihren Augen auf, die über den Einweg- oder Stoffmasken umso lebendiger strahlen. Ob die Heiterkeit an der Wiedereröffnung liegt oder daran, dass man sie nach einer Zeit der reduzierten sozialen Kontakte stärker wahrnimmt... man grübelt darüber und steht plötzlich vor den italienischen Meistern der Renaissance. Deren Madonnen lächeln vielsagend, zeitlose Gesichter ohne Maske, denn um sie hat sich Konservatorin Lisa Wagner auch während der Pause regelmäßig gekümmert. Sie checkt auch an diesem Tag die Luftbefeuchter und deren Kontrollgeräte. „Eine Luftfeuchte von 50 bis 55 Prozent ist ideal, aber man muss viele verschiedene Faktoren abwägen“, erklärt sie.
Die Werke von Fra Angelico und Botticelli ungestört zu betrachten, fast zweisam mit der Kunst, ist ein ungewöhnliches Erlebnis, das durch die lange, analoge Kunstabstinenz intim und berührend wird. Sie lassen die drückende Maske und den eigenen warmen Atem darunter vergessen, und die Aufregung der zwar noch wenigen Besucher, über Kunst und anderes ins Gespräch zu kommen, umso deutlicher spüren.