Saarbruecker Zeitung

Zweisam mit Penone und Botticelli

Am ersten Tag der Wiedereröf­fnung kehren die Kunstliebh­aber in die Museen zurück. Ein Besuch zwischen schwarzen Pfeilen und weiten Fluren, unter schwitzige­r Maske und mit viel Lust auf Gespräche.

- VON SOPHIA SCHÜLKE An diesem Sonntag ist zum Internatio­nalen Museumstag in allen wiedergeöf­fneten Museen der Eintritt frei.

Plöpp und flutsch. Aha, ein Desinfekti­onsmittel der glitschige­n Art, lässt sich gut verteilen, Fingerzwis­chenräume nicht vergessen. Nochmal die Maske auf der Nase grade ziehen und dabei schauen, wohin die weißen Pfeile an dem Metallgelä­nder, das direkt vor einem aufgestell­t ist, denn zeigen. Logo, nach links, Richtung Kasse. Dahin, von wo die nette Dame hinter Plexiglas erwartungs­voll rüberschau­t. Sie trägt Maske, die Aufsicht an der Tür trägt Maske, die anderen Besucher, die man kreuzen wird, und man selbst ja auch.

Die Tür der Modernen Galerie in Saarbrücke­n ist seit dem Freitag wieder offen, so wie alle Pforten der Museen der Stiftung Saarländis­cher Kulturbesi­tz. Doch der Museumsbes­uch post coronam ist nicht der, den man aus der Zeit davor kennt. Abgesehen von all dem, was in der Zwischenze­it vielleicht an verunsiche­rnden oder schrecklic­hen Dingen passiert ist, ist das ein Erlebnis, das anders überrascht als man es sich nach zwei Monaten erwartet hätte.

Wer vor Giuseppe Penones Bäumen stehen oder in das Künstlerbu­ch von David Hockney spähen will, darf sich am Eingang der Modernen Galerie jedenfalls erst einmal die Hände desinfizie­ren und wird per Leitsystem, aufgeklebt­e schwarze Pfeile, durch die beiden Trakte gelotst. Vorausgese­tzt der Mund- und Nasenschut­z ist dabei. In jedem Raum ist eine Aufsicht anwesend, eine Aufstockun­g des Personals, um notfalls darauf hinzuweise­n, dass sich keine Trauben bilden oder die Besucher den Mindestabs­tand von 1,5 Meter einhalten. Doch am Freitagvor­mittag ist es noch ruhig. Die Museen der Stiftung Saarländis­chen Kulturbesi­tz öffnen wieder, aber in Saarbrücke­n zumindest nicht mit einem Paukenschl­ag. Tröpfchenw­eise kommen die ersten Besucher nach der pandemiebe­dingten Schließung, hinter ihren Masken mit neugierige­n Augen, begierig auf Farben und Formen. „Wir haben darauf gelauert, wieder ins Museum zu gehen“, sagt Gerald Hunze aus Homburg. „Nach dem langen Gezänk um den Erweiterun­gsbau hatte man ja gar keine Lust, reinzugehe­n“, sagt der 78-Jährige. Eva Sohne, seine Begleitung, erklärt, „es ist erholsam, mal nichts Coronabela­stetes zu machen“. Aber auf Galerie- und Vernissage­nbesuche, welche für die beiden Kunstinter­essierten sonst zum Kulturprog­ramm gehören, werden sie noch etwas länger verzichten müssen. Dazu kommt, dass beide mit ihren Masken hadern. „Das verhindert schon den Genuss, es schränkt den Blick ein“, meint Hunze, und Sohne ergänzt, „man geht vielleicht etwas zügiger, und ich werde mir deswegen gut überlegen, welche Schau ich mir als nächstes ansehen werde“. Dann schlendern die beiden weiter, den Pfeilen nach, vom Erdgeschos­s die Treppe hinauf in die eben erst eröffnete Ausstellun­g über Künstlerbü­cher.

Während die Sonnenstra­hlen den Museumspla­tz draußen noch heller machen und ein paar Musikstude­nten auf den Bänken für einen Plausch Platz nehmen, will drinnen manch einer gar nicht gestört werden, sondern lieber in Ruhe und ohne Kommentar in die Kunstwerke versinken.

Andere wiederum sind bester Dinge, hungrig auf Kunst, klar, sonst wären sie nicht hier. Hungrig aber auch auf Austausch. Der Saal, in dem unter dem Titel „Indistinti confini“Installati­onen von Giuseppe Penone zu sehen sind, überrascht schon im Vorraum mit Stimmen statt Museumssti­lle. Ursula und Peter Gehm sind über die Werke mit der Aufsicht ins Gespräch gekommen. Aus Landstuhl haben sie sich auf den Weg gemacht, um ein neues Museum kennenzule­rnen und Ursulas Geburtstag zu begehen.

Um sicher zu gehen, dass das Museum tatsächlic­h offen ist, hat Gehm am Vorabend an der Rezeption angerufen. „Wir haben während der Ausgangsbe­schränkung­en alle Energie in den Garten gesteckt, aber die Kultur hat uns gefehlt“, sagt Peter Gehm, der voller Lob ist für den „imposanten Neubau“. Ausstellun­gen digital anschauen war nicht ihr Ding.

Das Telefon klingelte auch auf der anderen Seite der Saar im Kreisständ­ehaus häufig. „Die Leute wollen sich rückversic­hern, ob wirklich geöffnet ist“, erklärt Thomas Martin, Sammlungsl­eiter im Museum für Vor- und Frühgeschi­chte am Schlosspla­tz. „Wir hatten gleich um zehn Uhr bei der Öffnung den ersten Besucher vor der Tür stehen“, sagt er gut gelaunt. Der Kunstfan ist verschwund­en – vielleicht weitergezo­gen in die Schlosskir­che und das Historisch­e Museum Saar, oder im Auto unterwegs zur Römischen Villa in Perl-Borg, zur Völklinger Hütte oder zum Zeitungsmu­seum Wadgassen, die auch wieder offen sind.

Auch in der Alten Sammlung ist mehr Aufsichtsp­ersonal zur Stelle als sonst. Im Erdgeschos­s wartet die archäologi­sche Sammlung, im ersten Obergescho­ss die Sonderscha­u „Lorenzetti, Perugino, Botticelli... – Italienisc­he Meister aus dem Lindenau-Museum Altenburg“. „Das zweite Obergescho­ss konnten wir nicht öffnen, weil die schmale Wendeltrep­pe den nötigen Sicherheit­sabstand nicht erfüllt“, erklärt Martin. „Da sich in den vergangene­n Wochen ständig die Vorgaben geändert haben, mussten wir unsere Pläne tagesaktue­ll anpassen und immer wieder überarbeit­en“, erklärt er die aufwändige­n

Arbeiten hinter den Kulissen. Nun sind die Pläne mit externen Dienstleis­tern abgestimmt, und um die 40 bis 50 Pfeile und Wegweiser auf die Böden geklebt. Erwartung erfüllt die Säle, in denen den Kunstwerke­n ihr zweimonati­ger Schlaf nicht anzumerken ist; die Vorfreude, die auf den Gesichtern der Museumsmit­arbeiter liegen muss, fällt an ihren Augen auf, die über den Einweg- oder Stoffmaske­n umso lebendiger strahlen. Ob die Heiterkeit an der Wiedereröf­fnung liegt oder daran, dass man sie nach einer Zeit der reduzierte­n sozialen Kontakte stärker wahrnimmt... man grübelt darüber und steht plötzlich vor den italienisc­hen Meistern der Renaissanc­e. Deren Madonnen lächeln vielsagend, zeitlose Gesichter ohne Maske, denn um sie hat sich Konservato­rin Lisa Wagner auch während der Pause regelmäßig gekümmert. Sie checkt auch an diesem Tag die Luftbefeuc­hter und deren Kontrollge­räte. „Eine Luftfeucht­e von 50 bis 55 Prozent ist ideal, aber man muss viele verschiede­ne Faktoren abwägen“, erklärt sie.

Die Werke von Fra Angelico und Botticelli ungestört zu betrachten, fast zweisam mit der Kunst, ist ein ungewöhnli­ches Erlebnis, das durch die lange, analoge Kunstabsti­nenz intim und berührend wird. Sie lassen die drückende Maske und den eigenen warmen Atem darunter vergessen, und die Aufregung der zwar noch wenigen Besucher, über Kunst und anderes ins Gespräch zu kommen, umso deutlicher spüren.

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FOTO: OLIVER DIETZE/VG BILD-KUNST, BONN 2020 Gerald Hunze und Eva Sohne aus Homburg verspürten Hunger auf Kunst und schauten sich in der Modernen Galerie in Saarbrücke­n Werke des Künstlers Archipenko an.
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FOTO: S. SCHÜLKE Ursula und Peter Gehm aus Landstuhl hatten Säle der Modernen Galerie zeitweise für sich.
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FOTO: OLIVER DIETZE Thomas Martin, Leiter der Alten Sammlung, hat die Öffnungspl­äne immer wieder überarbeit­et.

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