Saarbruecker Zeitung

Wie der kleine Igel seinen großen Hunger stillte

Winterschl­af ist etwas Tolles. Doch im Frühjahr knurrt unserem stachligen Freund ganz schön der Magen.

- VON ELKE BRÄUNLING

„Frühling! Hm. Hm. Frühling scheint mir etwas Feines zu sein. Etwas Freundlich­es.“Zufrieden zockelte der kleine Igel durch den abendliche­n Frühlingsw­ald. Überall gab es für seine neugierige Igelnase etwas Interessan­tes zu schnuppern und zu wittern. Frühling duftete fein. Und feiner Frühlingsd­uft machte hungrig. Hunger!“, sagte der kleine Igel. „Ich bin sehr hungrig. Wo finde ich etwas zu essen?“

Wieder tauchte er die Nase in das frische Gras. Wo steckten sie, die leckeren Schnecken und köstlichen Würmer und Käfer? Schliefen sie noch? „Mir scheint“, murmelte der kleine Igel, „die Frühlingsz­eit ist wie auch der Winter eine Hungerzeit für uns Igel.“Er seufzte ein wenig. „Mein Hunger ist soo groß nach der langen Winterschl­afzeit. Und um ehrlich zu sein, ein bisschen kraftlos fühle ich mich auch.“

Und ein bisschen kraftlos tappte der kleine Igel weiter zum Waldrand hinüber. Vielleicht wartete dort etwas Essbares auf ihn. Oder auf der Waldwiese vielleicht.

Weiter und weiter tippelte er und schnuppert­e. Nichts. Keinen Regenwurm traf er, keinen Käfer, keine Raupe und auch keine Schnecke.

„Graben, kleiner Igel!“, raunte ihm da eine Stimme von der großen Waldkiefer her zu. „Du musst nach Maden und Würmern graben. Die schlafen nämlich noch.“Es war die alte Eule, die im Stamm der Kiefer ihr Nest hatte.

„Ich eigentlich auch noch“, antwortete der kleine Igel. „Zumindest bis vor Kurzem habe ich auch geschlafen und ich bin sehr froh, dass keiner gekommen ist und nach mir gegraben hat. Beim Schlafen geweckt und ausgegrabe­n zu werden, stelle ich mir nämlich nicht nett vor. Und deshalb werde ich auch nicht nach einem schlafende­n Wurm oder einer müden Made graben. Oh nein.“

„Dann bist du ein sehr netter kleiner Igel“, antwortete die Eule und so etwas wie ein Lächeln klang in ihrer Stimme. „Und bald auch ein sehr hungriger.“„Ein ganz arg sehr hungriger“, sagte der kleine Igel. „Und ich …“

Da! Eine Windböe fegte durch den Frühlingsw­ald und riss das einsame Amselnest, das noch nicht ganz sicher im Kiefernast befestigt war, vom Baum. Es landete nur wenige Igelschrit­te entfernt auf einem Stein, der am Wegrand lag. Oh je! Was für ein Unglück! Der kleine Igel erschrak.

Er tippelte zu dem zerstörten Nest und schnuppert­e. Die drei Eier, die die junge Amselfrau am Morgen gelegt hatte, waren zerbrochen. Aus den Rissen der Eischalen tropften Dotter und Eiweiß. Es roch köstlich und frisch und lockend. Der hungrige Bauch des kleinen Igels begann laut zu knurren.

„Zögere nicht, kleiner Igel!“, sagte die Eule. „Alles im Leben hat seinen Grund. Das Ampelpaar wird ein neues Nest bauen und die Amselfrau wird dann neue Eier legen. Du aber iss dich jetzt satt! Du hast großen Hunger und brauchst nach dem langen Winterschl­af Kraft.“Das aber hörte der kleine Igel schon nicht mehr. Längst hatte er sich über die drei leckeren Amseleier hergemacht. Sein Hunger war zu groß, um noch länger zu warten.

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