Interview mit Felix Räuber: Wir sind (nicht) allein, allein!
Der Sänger gibt exklusive Einblicke in sein aktuelles Künstlerleben und seine Einschätzung der derzeitigen Lebenslage in Zeiten von Corona.
Von Thomas Schildtauer Lieber Felix, ich freue mich, dass du dir die Zeit für ein Interview mit unserer Zeitung nimmst. Wir kennen uns seit einigen Jahren, daher bleibe ich bei meinen Fragen an dich beim Du.
Sehr gern.
Du hast, zusammen mit Polarkreis 18, mit denen du in Deutschland zwei Mal Gold und einmal Platin für eure Musikverkäufe erhalten hast, den Titel „Allein, allein“gesungen. Ich glaube, fast jeder unserer Leserinnen und Leser hat den Refrain sofort im Ohr. Im Lied selbst heißt es „the time has come for us to love, to celebrate our loneliness, die Zeit ist für uns gekommen, zu lieben, unsere Einsamkeit zu feiern“.
Ist die derzeitige Zeit, die Krise in Zeiten von Corona, die Zeit, unsere Einsamkeit zu feiern?
Mir ging es beim Schreiben der Zeile darum, dass wir uns in dem eher negativ belegten Gefühl vom „Alleinsein“miteinander verbinden können. Ein Gefühl, welches wir trotz seiner isolierenden Wirkung alle miteinander teilen. Als ich den Song geschrieben habe, habe ich mich isoliert gefühlt und erst mit der Veröffentlichung konnte ich mich nach außen öffnen und mit den Menschen kommunizieren, durch die Musik. Das war vor über 10 Jahren. Dass sich daran nichts geändert hat, erleben wir heute.
Wie gehst du mit deiner eigenen Einsamkeit in diesen Tagen um?
Meine Kreativität nährt sich zum Großteil aus diesem Gefühl vom Alleinsein. Ich glaube, dass wir alle irgendwo die Angst in uns haben, vielleicht irgendwann mal allein zu sein, möglicherweise sogar im Alter oder im Moment des Todes. Eine Vorstellung, die mir persönlich sehr viel Angst macht. Ich glaube, dass in dieser Angst sehr viel unseres Handelns begründet ist und dass dies der Schlüssel für Solidarität und Verbindung mit anderen sein kann.
Du hast mir erzählt, dass Musiker zu sein bedeutet, allein in einem Studio zu hocken. Bekommst du von der Krise derzeit selbst noch nicht so viel mit?
Das erste, was wegfällt, ist der Kultursektor in einer Krise. Es zeigt mir, wie unwichtig die Musikerbranche eigentlich ist. Das heißt, ich und meine Kollegen fühlen sich gerade existentiell bedroht. Ich schlafe unruhiger und weiß nicht genau, wie es weitergeht. Auf der anderen Seite ist die Trutzburg der Sicherheit, die wir uns mit dem Wachstum des Wohlstandes aufgebaut haben, wieder eine Antwort auf die Angst vorm Alleinsein und diesen Unsicherheiten. Dass die aus Veränderung resultierenden Unsicherheiten jedoch Teil des Lebens sind, das müssen wir erst wieder lernen.
Oder kann der Aufenthalt im Studio, die Auseinandersetzung mit der eigenen Arbeit, auch eine Flucht sein?
Mein kreatives Schaffen ist immer eine Art Flucht in die Fantasie. Hier bin ich mein eigener Chef und kann kontrollieren, wie der Laden läuft. Meine bald zu veröffentlichende dritte Soloplatte „Autsider“erzählt diese Geschichte weiter. Es geht um einen Autisten, der sich durch seine Selbstisolation in eine kreative Parallelwelt flüchtet. So ähnlich geht es mir mit meiner Musik – sie ist Flucht und Kommunikation zugleich.
Welche Vorteile kann es aus deiner Sicht haben, jetzt auf sich selbst zurückgeworfen zu werden?
Selbstreflexion ist immer gut. Leider bin ich selbst Meister im Kompensieren und Den-Dingen-aus-dem-Weggehen, surfe viel mehr im Internet und arbeite mehr. Ich denke die Achtsamkeit für sich selbst ist ein weiterer Schlüssel für eine Welt nach der Krise.
Was vermisst du derzeit?
Was sollte ich in einer Welt vermissen, in der der Staat mit seiner Kraft, einer Art mütterlicher Versorgungsrolle, uns alle auffängt? Klar brechen viele Dinge weg, aber auf der anderen Seite lebe ich nicht in Angola oder im Jemen, wo eine Krise dieser Art sofort zu einer humanitären Katastrophe führt. Ich vermisse nichts, ich habe viel zu viel.
Und was möchtest du als Erstes machen, wenn die Kontaktsperren ganz aufgehoben sind?
In den See springen und schwimmen.
Glaubst du, die Menschen haben weiterhin Interesse an oder Sehnsucht nach dem Besuch von Konzerten?
Auch wenn die Digitalisierung ein Gewinner der Krise ist, wollen die Menschen Kontakt. Ein Konzert ist nur spannend, wenn auch Menschen da sind, und diese Sehnsucht hat jeder von uns auf seine Art.
Kann die derzeitige Krise auch eine Chance sein, dass User und Konsumenten von Musik auch online bereit sind, Geld für die von Musikern erstellten Inhalte zu bezahlen?
Um die wirtschaftlichen Veränderungen der Branche zu bewerten, ist es noch zu früh.
In der Diskussion um eine Ausgangssperre bzw. nach Erlass der Reisebeschränkungen gab es, auch in der Rede von Angela Merkel, den Hinweis, dass dies für die Bürger der ostdeutschen Bundesländer wegen ihrer geschichtlichen Erfahrung besonders heikel sei. Auch ich als sogenannter „Westdeutscher“finde diese Einschränkungen beklemmend, wie schätzt du das als in Dresden Geborener ein?
Es ist interessant zu sehen, wie autonomiebedürftig der Deutsche doch ist. In einer Gesellschaft, in der man sich quasi jeden Traum erfüllen kann, ist die Erfahrung mit Verboten und Selbsteinschränkungen quasi existentiell. Ich glaube, dass diese Erfahrung gut für uns ist, da sie uns bewusst macht, wie privilegiert wir eigentlich sind.
Du bist weit gereist, auch um dich, wie man wertneutral sagen kann, selbst zu finden. In welchen Ländern warst du und welche Erfahrungen hast du dort gemacht, die dir und uns heute, die wir auch jetzt meist nur in unseren Wohnungen oder auf unseren Sofas sitzend, weiterhelfen können?
Auf meinen Reisen konnte ich die „Willkommenskultur“von der anderen Seite erleben. In einem Land wie beispielsweise Nord-Korea, das ich 2018 bereist habe, hat die Mehrheit der Bevölkerung noch nie einen Ausländer gesehen. Neben den erstaunten Gesichtern waren es vor allem Neugier und Herzlichkeit, die mir entgegengebracht wurden und die meine Vorurteile abgebaut haben. Das hat mir gezeigt, dass man Dinge erleben sollte, bevor man sich ein Urteil macht.
Was hast du unabhängig von der heutigen Situation von deinen Reisen gelernt oder welche Erkenntnis wünschst du dir auch für uns?
Ich hoffe sehr, dass wir diese Zeit als ein kreatives Vakuum für uns positiv nutzen können. Diese Krise ist vergleichsweise banal in Bezug auf das, was uns in den nächsten Jahrzehnten noch erwartet. Der Klimawandel mit seinen kausalen Folgen geht ganz allein auf unsere Rechnung und dafür müssen wir lernen, Verantwortung zu übernehmen. Das Bewusstsein, dass der Mensch der Natur nicht erhaben ist, sondern lernen muss, ein Teil davon zu sein, wird ein elementarer Bestandteil bei der Schaffung neuer Gesellschaften werden. Darin wird sich zeigen, ob wir eine Zukunft haben oder nicht.
Du warst im vergangenen Jahr der Support der Band MIA. Wo können dich deine Fans in Zukunft live erleben, oder bis es soweit ist, dir online folgen?
Kein Musiker kann derzeit abschätzen, wann es wieder richtig losgeht. Ich freue mich jedoch riesig über jeden, der den Weg zu mir, meiner Geschichte und meiner Musik findet. Man kann mir unter Felix Räuber auf Facebook, Youtube, Instagram und Spotify folgen.